Lieber Kunde, integriere – aber bitte zusammen mit uns!

Mit den Integrationsplattformen Netweaver und 10G wollen sich SAP und Oracle bei den Kunden über den nächsten Infrastruktur- und Software-Zyklus hinaus verankern.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/18

     

Enterprise Application Integration (EAI) ist das Schlagwort, das einfach nicht verschwinden will, während die meisten anderen Buzzwords kommen und gehen wie die Wirbelstürme in der Hurrikan-Saison. Dass EAI ein so hartnäckiges Thema bleibt, hat gute Gründe: Die Anwendungsintegration wird vom Business diktiert. Wettbewerbsfähigkeit setzt voraus, die Geschäftsprozesse einem ständigen Anpassungsprozess zu unterziehen. Neue Produkte und Dienstleistungen müssen in kürzester Zeit entwickelt und auf den Markt gebracht werden können. Ein Beispiel dafür ist etwa die Mobilfunkindustrie. Über die Anzahl Antennen kann sich heute kein Anbieter mehr differenzieren. Vielmehr muss er in der Lage sein, ein neues Produkt wie etwa einen Preisplan innerhalb weniger Wochen auf den Markt zu bringen.
Technisch gesehen bedeutet diese Wettbewerbsfähigkeit nichts anderes als Prozessflexibilität. Um diese zu ermöglichen, müssen funktionale und anwendungsbezogene Datensilos überbrückt werden. Die Integration von heterogenen Systemlandschaften der IT bleibt die grösste Herausforderung, denn in vielen Unternehmen gleicht die Hard- und Software-Landschaft eher einem vor sich hinwuchernden tropischen Regenwald als einem gepflegten französischen Garten.


ERP-Giganten drängen in den Integrationsmarkt

In jüngster Zeit ist EAI aber nicht mehr ausschliesslich das Tummelfeld von Spezialisten (siehe Kasten). Vielmehr haben sich auch die grossen Hersteller von Business-Software wie SAP und Oracle das Zauberwort auf die Fahnen geschrieben. Mit SAP Netweaver und Oracle 10G haben die beiden Unternehmen umfassende Integrationsplattformen auf den Markt gebracht. Dieser Schritt ist wohlüberlegt und hat gute Gründe. Um ihn zu verstehen, drängt sich das Sinnbild eines Propellers auf, bei dem SAP und Oracle die beiden Propellerblätter darstellen und die Themen EAI, Applikationsserver und Web Services in der Mitte – in der Propellernabe also – angesiedelt sind.






Für Palo Stacho, der sich mit den Integrationsplattformen verschiedener Hersteller bestens auskennt und als Senior Consultant beim Berner Systemintegrator Sybor arbeitet, ist klar, dass die Software-Welt vor einem neuen Zyklus steht: «Im Bild des Propellers steht die EAI-Nabe für die Innovation. Gleichzeitig ist weder bei der Basistechnologie noch bei den Applikationen das Ende der Fahnenstange erreicht. Dort ruhen die Weiterentwicklungen, weil zuerst wieder eine neue Generation von Infrastruktur geschaffen werden muss, um einen Zyklus an den beiden Propeller-Enden loszutreten», so Stacho. Dieser Prozess sei momentan in vollem Gange. Gegenwärtig lasse sich beobachten, wie SAP und Oracle versuchen würden, sich mit applikatorischem oder eben technischem Know-how in die Infrastruktur-Nabe zu schieben, um sich dort zu verankern.


SAP will sich unersetzlich machen

SAP ist in keiner Weise zu Netweaver gekommen wie die Jungfrau zum Kinde. Dahinter steckt eine lange Entwicklungsgeschichte – und eine ausgeklügelte Strategie. Die SAP-AS genannte Netweaver-Komponente enthält den Applikationsserver. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine neue Entwicklung. Vielmehr war dieser schon innerhalb der R/3-Blackbox vorhanden. Er war allerdings eng mit den Applikationen verknüpft, und die meisten Anwender dürften nicht realisiert haben, dass es sich dabei um verschiedene Dinge handelte. SAP hat bereits vor einigen Jahren realisiert, dass die Integrationsbedürfnisse seiner Kunden weit über reine SAP-Umgebungen hinausgehen. Gleichzeitig entstand eine Fülle von neuen Standards für den Austausch von Daten. Im Rahmen eines strategischen Entscheides, künftig auf eine Service-orientierte Architektur zu setzen, beschloss das Unternehmen, seine Applikationskomponenten in kleinere Bestandteile mit der Bezeichnung «Enterprise Services» aufzubrechen. Dabei werden mehrere Web Services zu einem neuen Objekt gekoppelt, das einen betriebswirtschaftlichen Sinn ergibt. So entstand ursprünglich die Idee zur Integrationsplattform Netweaver: Damit sollen sich heterogene Landschaften zusammenführen und Geschäftsprozesse für den Anwender durchgängig abbilden lassen. SAP betont, dass der Vorstoss auf die Infrastrukturebene einzig mit dem Ziel erfolgt, Geschäftsprozesse besser abzubilden. Das mag stimmen – nur hat der Schritt noch weitere Konsequenzen, die dem Softwareriesen auch nicht ungelegen kommen dürften.


Agassi: «Motor muss für fünfzehn Jahre Bestand haben»

Als geistiger Vater von Netweaver und treibende Kraft hinter dem Konzept gilt nicht SAP-Urgestein Plattner, sondern der 35jährige Israeli Shai Agassi, der seine Firma Top Tier für rund 400 Millionen Dollar an SAP verkauft hatte und es als erster Nicht-Deutscher in den Vorstand des Unternehmens geschafft hat. Seit einiger Zeit tourt Agassi durch die Welt und betreibt Aufklärungsarbeit bei den Kunden: Diese würden sich Prozessflexibilität wünschen, sagt er, doch gleichzeitig würden sie verlangen, dass die «Core Engines» in ihren IT-Umgebungen für die Dauer von zehn bis fünfzehn Jahren «eingefroren» seien und Bestand hätten. Nur zu gern will SAP jetzt seinen Kunden diesen «Motor» in der Form von Netweaver liefern – und sich damit für einen weiteren Zyklus den Verbleib in den Unternehmen sichern. SAP betont stets die Offenheit von Netweaver sowie dessen Interoperabilität mit Websphere und .Net. Positioniert wird die Plattform laut Berater Stacho als ideale Ergänzung: «Selbstverständlich mit der Tendenz, dass die Ergänzung in Zukunft so gross und so breit wird, dass sie einen vollwertigen Ersatz für alles andere darstellt.»






Gegenwärtig wird Netweaver mit jeder MySAP-Lösung ausgeliefert. Innerhalb einer SAP-Umgebung kann die Plattform vom Kunden kostenlos eingesetzt werden. Bezahlen muss erst, wer die SAP-Welt verlässt und Drittsysteme anbindet: Je heterogener die Umgebung, desto teurer wird es. Wie stark Netweaver im Zentrum der künftigen Entwicklungen von SAP steht, machte Agassi unlängst deutlich: «Wenn Sie ein Auto kaufen, dann kaufen Sie auch nicht einen Motor, ein Lenkrad und eine Gangschaltung separat, sondern Sie kaufen einen BMW oder einen Porsche», sagte er. Sollte es ihm gelingen, SAP beim Kunden für einige weitere Jahre unersetzlich zu machen und somit den weltweiten Marktanteil auf 35 Prozent zu halten, dürfte ihm der CEO-Posten dereinst sicher sein.


Oracle: Neuer Marketingschirm über altes Produkt

Oracle befasst sich nicht erst seit der Lancierung der Datenbank 10G mit dem Thema Integration. Damit werde lediglich ein neuer Akzent gesetzt, heisst es auf Anfrage. Auf der technischen Ebene habe man seit rund sechs Jahren entsprechende Anstrengungen unternommen, und die meisten Funktionalitäten seien schon in den Vorläuferversionen der Datenbank enthalten gewesen.





Oracle habe die natürliche Marktentwicklung von EDI (Electronic Document Interchange) zu Java, XML und Web Services verfolgt sowie auf der anderen Seite ein steigendes Bedürfnis der Kunden nach Prozessflexibilität und Serverkonsolidierung bemerkt. Auch wenn betont wird, dass das Hauptziel keinesfalls in der Integration der hauseigenen ERP-Software Applications liege, fährt Oracle eine ähnliche Strategie wie SAP: Sämtliche Integrations-Funktionalität wird einfach in die Datenbank gepackt und dem Kunden – ob er will oder nicht – zur Verfügung gestellt. Sehr weit gediehen ist die Integration einer Business-Process-Execution-Language Engine (BPEL), mittels der sich Prozesse definieren lassen, und zwar ungeachtet des eingesetzten Applikationsservers. Dieser kann – so heisst es bei Oracle Schweiz – auch IBM Websphere sein.


Gleiches Ziel – unterschiedliche Strategie

Klar ist, dass SAP und Oracle mit ihren Integrationsbemühungen vor allem eines beabsichtigen: Man will sich tiefer als bisher – eben auf der Ebene der Computing-Infrastruktur – in den Unternehmen verankern und sich auf diese Weise unersetzlich machen. Während Oracle das Thema allerdings technisch kommuniziert und versucht, die Informatikleute dafür zu gewinnen, redet SAP von seinem grossen betriebswirtschaftlichen und applikatorischen Know-how – und will das Thema Integration in den Köpfen der CEOs festnageln. Es bleibt abzuwarten, wessen Botschaft beim Empfänger eher Gehör finden wird.
Auf diesen unterschiedlichen Sichtweisen des Themas baut denn auch die Kritik der beiden Konkurrenten aneinander auf: Oracle sei Technik-verliebt und habe keine Ahnung vom Business, heisst es bei SAP. Und Oracle bezeichnet SAP und Netweaver als nicht ernstzunehmende Konkurrenz, da die Walldorfer keine Ahnung von der Technik hätten.
Noch sind auch nicht beide Plattformen gleich weit gediehen. Viele Netweaver-Komponenten existieren heute erst auf dem Reissbrett und sind noch nicht verfügbar. Das Konzept überzeugt zwar, muss sich aber erst noch in der Praxis bewähren. Derweil brüstet sich Oracle mit ersten Integrationsprojekten, die erfolgreich abgeschlossen wurden: Vor allem mit dem Abschluss von Projekten, die in «reinen SAP-Shops» durchgeführt wurden – etwa beim deutschen Automobil-Zulieferer Freudenberg-Simrit – schmückt man sich wohlverstanden gerne und medienwirksam.


Peoplesoft versucht Gegenangriff

Eher bescheiden nahmen sich bislang die Integrationsbemühungen von Peoplesoft aus. Mit Appconnect stellte das Unternehmen zwar einige Funktionalitäten bereit, es war aber gegenüber seinen Konkurrenten ins Hintertreffen geraden. Vor wenigen Wochen hat aber Peoplesoft eine weitreichende Kooperation mit IBM angekündigt, in deren Rahmen die Applikationen des ERP-Herstellers für den Einsatz mit IBMs Websphere-Plattform optimiert werden sollen. Mit diesem Deal wirft sich Peoplesoft an die Brust des Marktführers und verschafft sich Zugang zu einer Integrationsplattform, was als geschickter Schachzug verstanden werden darf. Gleichzeitig wischt das Unternehmen Oracle eins aus und verabreicht dem Datenbankhersteller, der die Hoffnung auf eine feindliche Übernahme noch nicht aufgegeben hat, eine «technische Giftpille». Denn die Integrationsbausteine von Oracle konkurrieren mit denjenigen von IBM. Ob’s helfen wird, um Oracle den Appetit zu verderben, bleibt allerdings abzuwarten.


Von Werkzeugkästen zu Integrations-Suiten

In den Anfängen war EAI das Gebiet von Spezialisten wie etwa Webmethods, Tibco und Vitria. Diese Firmen bieten Software-Werkzeugkästen an, mit denen sich Applikationen innerhalb der Firma und über deren Grenzen hinweg miteinander verknüpfen lassen. Gegenüber der althergebrachten «Punkt-zu-
Punkt»-Integration, bei der in aufwendiger Kleinarbeit Schnittstellen für die Kommunikation zwischen Anwendungen erstellt werden mussten, bedeutet dieser Ansatz mit seinen pfannenfertigen Konnektoren einen echten Fortschritt. In heterogenen Umgebungen hat die Schnittstellen-Pflege nämlich bis zu 80 Prozent des IT-Budgets aufgefressen, wie Marktforscher herausgefunden haben. Moderne EAI-Konzepte gehen noch einen Schritt weiter und stellen einen Integrationshub ins Zentrum, der gleich einem Verkehrspolizisten an einer Kreuzung sämtlichen Verkehr zwischen allen Anwendungen und Datenbanken regelt und dafür sorgt, dass alle Nachrichten ankommen und nirgendwo ein Stau entsteht. Dieser Hub enthält neben Mapping- und Routing-Informationen für die Kommunikation der Anwendungen untereinander zusätzlich auch das gesamte Prozesswissen. So können die Anzahl Verbindungen wirksam reduziert und die Betriebskosten gesenkt werden.






Ein solcher Ansatz erlaubt es schliesslich auch, einzelne Applikationen einfach auszutauschen, ohne dass dabei das ganze Wissen über die darüberliegenden Geschäftsprozesse verlorengeht. In jüngster Zeit hat auch die Entwicklung und Etablierung zahlreicher Standards dazu beigetragen, dass die IT-Welt an Komplexität verliert und man sich über die Unternehmensgrenzen hinaus besser zu verstehen beginnt: Auf Formate wie XML, UDDI, Soap und Web Services hat sich die Industrie heute weitgehend geeinigt, wie auch auf das Konzept der sogenannten Service-orientierten Architektur (SOA). Diese definiert, welche Dienste wo angesiedelt sind und stellt einen integralen Bestandteil für das erfolgreiche Management von Geschäftsprozessen dar. Als unbestrittener Leader in dieser Domäne gilt nach wie vor IBM, deren rund um den Applikationsserver Websphere errichtete Integrations-Architektur wohl als umfassendste und kompletteste auf dem Markt erhältliche Lösung betrachtet werden darf.




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