Editorial

Zur Not tut es auch Linux

Die grossen Hersteller setzten sich an der LinuxWorld ausnahmslos in Szene, was das Zeug hielt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/28

     

Not macht erfinderisch, und zur Not tut es auch einmal Linux, um im Gespräch zu bleiben. Zu dieser Einschätzung kommt, wer auf die letzte Woche durchgeführte LinuxWorld zurückblickt. Es mag das Sommerloch gewesen sein, oder es ist das Geschäft überhaupt, das in diesem Jahr so gar nicht in Gang kommen will. Oder es ist beides zusammen. Die Mischung sorgte auf jeden Fall dafür, dass die grossen Hersteller ausnahmslos die Gunst der Stunde nutzten und sich an der LinuxWorld in Szene setzten, was das Zeug hielt. Und niemand, aber auch gar niemand wollte im Abseits stehen, nicht einmal Microsoft. Das Unternehmen, das Linux so gerne verteufelt, hatte zum ersten Mal auch einen Stand an der LinuxWorld. Und alle zogen sie einander gegenseitig durch den Dreck: IBM wetterte gegen Sun, Sun gegen Microsoft, Oracle gegen Sun, IBM und den Rest der Welt, und so war die Welt in Ordnung. Wenn auch eine kleine Welt. 15'000 Besucher wurden gezählt - und man ist versucht, im Vergleich mit anderen Messen von einer Veranstaltung für eine Randgruppe zu sprechen.



Aber das ist es vielleicht auch, was dem Open-Source-Betriebssystem nach wie vor den Nimbus von etwas Verschwörerischem anhaften lässt. Dieser Glanz und dieser Geek-Mythos fasziniert auch jene Unternehmen, bei denen die Gewinnsteigerung oberstes Prinzip ist. Sie wollen, dass etwas davon auf sie abfärbt. Ausser Microsoft wahrscheinlich - der Erzfeind war wohl nur anwesend, um Präsenz zu markieren, hat aber damit gleichzeitig den Beweis angetreten, dass in Redmond Linux als Bedrohung sehr ernst genommen wird.




Als Bedrohung galt Linux auch lange Zeit für Sun. Relativ spät hat sich nun auch Sun entschieden, vom ganzen Brimborium um das Open-Source-Betriebssystem profitieren zu wollen. Und um die Ernsthaftigkeit des eigenen Vorhabens zu unterstreichen, wurden gleich auch grosse Töne gespuckt, die ihre Wirkung sicherlich nicht verfehlten: Sun will das schaffen, was bis jetzt kläglich gescheitert ist - nämlich Linux auf den Desktop zu holen. Das versuchten erfolglos schon viele andere. Man denke nur einmal an Dell und Nautilus. Weshalb sollte es also ausgerechnet Sun gelingen?



Auch wenn Sun mit StarOffice eine Alternative zu Microsoft Office bereithält, was sicher die Ausgangslage für das Desktop-Vorhaben verbessert, braucht es noch ein wenig mehr als nur markige Worte. Und gerade Sun hat auf der Desktop-Seite immer wieder viel Kredit eingebüsst. Die JavaStation in der NetPC-Ära war bekanntlich alles andere als ein durchschlagender Erfolg gewesen. Und so manches weitere Alternativkonzept zum Desktop, wie man ihn heute kennt, ist auch sang- und klanglos untergegangen. Thin-Client-Systeme kommen zwar hier und da zum Einsatz - das bekannte Client/Server-Konzept haben sie aber in den Unternehmen nicht zum Verschwinden gebracht.



Man kann es drehen und wenden wie man will: Microsoft hat mittlerweile einen praktisch uneinholbaren Vorsprung auf dem Desktop. Und Sun muss zuerst einmal noch beweisen, was hinter dem plötzlich entfachten Interesse für Linux steckt. Wenn es lediglich auf eine weitere Schmierenkampagne gegen Microsoft hinausläuft, ist das vielleicht amüsant zu verfolgen, aber trotzdem nur eine Notlösung, um im Gespräch zu bleiben. Und dem Kunden bringt es herzlich wenig.




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