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Lehre zu verkaufen

GCT bietet privat zu finanzierende Informatiker-Lehrstellen an – und stösst auf heftige Gegenwehr.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/14

     

Wer keine Informatikerlehrstelle hat, kann sich eine kaufen. Die auf die Informatiker-Ausbildung spezialisierte Firma GCT (Global Communication Technology) bietet in Zürich eine vierjährige Lehre zum Applikationsentwickler an (siehe Kasten). Die Ausbildung kostet 50'000 Franken und muss privat finanziert werden. Nachdem das Projekt vom Mittelschul- und Berufsbildungsamt des Kantons Zürich (MBA) bewilligt wurde, löste es höchst kontroverse Diskussionen aus.
Während die einen in dem Projekt einen Versuch sehen, dem herrschenden Mangel an Ausbildungsplätzen entgegenzuwirken, kritisieren andere, dass das Konzept die Ausbildung kommerzialisieren könnte.


Sündenfall des Kantons Zürich

Das Konzept der privaten Finanzierung ist nicht neu und gibt es in anderen Berufen schon seit geraumer Zeit. Neu ist allerdings, dass die Lehrlinge die öffentlichen Berufsschulen besuchen. Dies ist auch einer der Hauptkritikpunkte, die etwa Jean-Pierre Kousz sauer aufstossen. Kousz ist Präsident der kantonalen Prüfungskommission für die Informatikberufe, Geschäftsleiter der Wirtschaftsinformatikschule Schweiz (WISS) und Präsident der FDP des Bezirks Bülach. Kousz ist überzeugt, dass das Projekt nicht bewilligt hätte werden dürfen und bezeichnet es als «Sündenfall des Kantons Zürich». Ausserdem kritisiert er, dass die Bewilligung erteilt wurde, ohne dass den Auszubildenden ein betriebliches Praktikum auferlegt werde. Kousz glaubt, dass den Lehrlingen nach dem Abschluss die nötige Praxiserfahrung fehlen wird.





«In der Theorie werden die Lehrlinge
sicher gut ausgebildet, denn sie werden wie alle Lernenden im Kanton Zürich die 30 handlungsorientierten Module absolvieren», sagt Alfred Breu, Präsident der Zürcher Lehrmeistervereinigung Informatik (ZLI). Damit sei schon einiges sichergestellt. Trotzdem steht Breu der Sache zwiespältig gegenüber: «Wenn ich von meiner wiederholt gemachten Feststellung ausgehe, dass den im langjährigen Jahresdurchschnitt benötigten 2000 bis 3000 gut ausgebildeten Nachwuchsleuten für die Informatik und Kommunikation im Kanton Zürich nur gerade 700 Lehrlinge gegenüberstehen, begrüsse ich zwar jede Lösung. Allerdings ist mir der Weg über die duale Lehre und über die Informatikmittelschule deutlich sympathischer.»
GCT-Chef Max Holliger selbst war erstaunt über das grosse Echo, nimmt die ganze Sache aber gelassen: «Schliesslich ist das nur eine Variante der Ausbildung.»

KV fordert Rückzug der Bewilligung

Sollte das Projekt Schule machen, befürchten die Gegner, dass es Nachahmer auf den Plan rufen könnte. «Die Gefahr besteht, dass es Firmen gibt, die denken, dass sie damit sozusagen nebenbei Geld verdienen können», befürchtet Jean-Pierre Kousz.
Der KV Schweiz erachtet eine solche «Kommerzialisierung der Berufslehre» als inakzeptabel und fordert sogar den Rückzug der Ausbildungsbewilligung durch die kantonale Behörde.
Vom MBA selbst war vorerst keine Stellungnahme mehr erhältlich. Man will in Anbetracht der politischen Brisanz die wichtigsten Fragen zunächst intern klären.
In einem Punkt sind sich alle einig, nämlich darin, dass etwas verbessert werden muss. «Man muss ganz seriös überlegen, ob man nicht mehr machen muss, damit die Informatikbranche gewillt ist, sich in der Ausbildung stärker zu engagieren», so Jean-Pierre Kousz.


GCT-Ausbildung

Global Communication Technology (GCT) beschreitet neue Wege bei der Lehrlingsausbildung. 50'000 Franken müssen die Eltern für ihren Sprössling bezahlen, wollen sie ihn zum Applikationsentwickler ausbilden lassen. Eine Lehrstelle kaufen kann man sich bei GCT aber nicht. Denn längst nicht jeder wird aufgenommen. Die Kandidaten müssen über eine gute schulische Vorbildung verfügen. So wurden denn bis jetzt auch erst acht (Stand bei Redaktionsschluss) von den gewünschten 14 bis 16 Lehrlingen gefunden – Lehrstart ist der 16. August. GCT-Besitzer Max Holliger ist aber zuversichtlich, dass die restlichen Lehrlinge noch gefunden werden. Der Mangel an Fachkräften im Informatikbereich hat Holliger auf die Idee der Schule gebracht. Das grosse Geld verdient er dabei nicht. Die Firma soll durch private Aufträge mitfinanziert werden. Kommen diese herein, muss er die Ausbildungsgebühr senken. Die Lehrlinge sollen eine Ausbildung erhalten, die ein durchschnittliches KMU nicht bieten kann. Ein GCT-Absolvent soll in der Lage sein, Entwicklungen vom Kleinst- bis zum Grosssystem auszuführen. Als Ausbilder stehen sieben Fachkräfte zur Verfügung, die je nach Bedarf eingesetzt werden und zusammen ungefähr 150 Stellenprozente belegen (www.gct-ag.ch).




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