David Rosenthal: Das absurde Vertrauen in die Technik

Was sich jeder kaufen kann, kann langfristig nicht zu einem Vorsprung im Wettbewerb führen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/32

     

Es war die FAZ, die vergangene Woche mit der Meldung aufwartete, die Geheimdienste in den USA und England hätten sehr wohl Hinweise auf die bevorstehenden Terroranschläge in den USA gehabt. Geliefert haben soll sie das geheimnisumwitterte, weltweite Abhörnetzwerk "Echelon", das jede elektronische Kommunikation auf der Erde, die sich anzapfen lässt, wie ein Staubsauger in sich aufnimmt. Ausgewertet werden sollen die Datenmengen über Programme, die nach bestimmten Schlüsselwörtern suchen.



Das besondere an der Meldung war jedoch nicht Echelon. Es war das, was die US-Geheimdienste mit dessen Ergebnissen angeblich getan haben. Die Behörden in den USA nahmen die Warnungen dem Bericht zufolge zwar ernst, konnten sich aber nicht darüber einig werden, was sie gegen die diffuse Bedrohung hätten tun können. Die Warnungen waren da, haben aber letztlich nicht wirklich geholfen. Die Folgen sind bekannt.




Die Echelon-Episode scheint die gegenwärtige Kritik an den US-Geheimdiensten zu bestätigen. Statt in Menschen wurde vor allem in Informationstechnik investiert: In leistungsstarke Computersysteme, in Spionage-Satelliten, Horchstationen und andere Systeme zur Überwachung der elektronischen Kommunikation. Es ist eine saubere und bequeme Spionage, ein Nachrichtendienst, der vom heimischen, sicheren Büro aus vor dem Bildschirm betrieben werden kann.


Genügend Geld soll es richten

Wer deswegen Kritik an den US-Geheimdiensten üben möchte, sollte sich besinnen: Die meisten Betriebe der Wirtschaft erliegen heute derselben Bequemlichkeit, wie es die Nachrichtendienste in den USA sind. Sie vertrauen ihrer Informatik und darauf, dass neuere und noch bessere Systeme die bisherigen Unzulänglichkeiten schon richten werden. Die Anbieter pflegen diesen Tenor: Sie verkaufen ihre neuen Produkte just mit dem Argument, diese würden die Produktivität und den Wissensvorsprung eines Unternehmens erhöhen und damit dessen Wettbewerbsfähigkeit.



Doch letztlich geht es nur um ein Stück Software oder Hardware, das, so teuer und ausgeklügelt es auch ist, immer davon abhängig ist, was ein Mensch damit anfängt. Die hier vertretene These ist klar: Was sich jeder kaufen kann, kann langfristig nicht zu einem Vorsprung im Wettbewerb führen.




Das hat mehrere Gründe. Wird eine IT-Infrastruktur nicht in einer passenden Organisation eingesetzt, wird sie nicht vom Benutzer getragen und ist er dazu nicht in der Lage, nutzt sie nichts. Die beste Firewall erfüllt seinen Dienst nicht, wenn sie nicht richtig konfiguriert und überwacht wird und dessen Verwalter bei der Analyse des Logbuchs ein Gespür dafür hat, wann er sich eine Aktivität genauer anschauen sollte.



Es gibt sicherlich Fälle, in denen derjenige, der den schnelleren Computer hat, deswegen im Vorteil ist. Im Börsenhandel können durch gezielte, automatisierte Analysen der verschiedenen Angebote der menschlichen Händler winzige Ineffizienzen aufgespürt und durch blitzschnelles Handeln in bare Münze umgewandelt werden. Der erste, der ein solches System hat, kann profitieren. Der zweite vielleicht auch noch. Doch sobald mehrere über ein solches System verfügen, ist dieser Vorteil verspielt. Es ist wertlos geworden.



Das ist der zweite Grund, warum sich die Investitionsspirale im IT-Markt zwar immer weiterdreht, sie ihn letztlich aber nicht auf einen grünen Zweig führt.




Auf den Menschen kommt es an

Wer IT-Investitionen dagegen als Offensiv-Strategie benutzt, wird übermässig viel Geld ausgeben müssen, um seinen Vorsprung zu wahren. Denn dieser wird laufend wieder abgebaut. Das kann für die eine oder andere Firma aufgehen. Doch diese Strategie funktioniert nur dann, wenn wenige sie praktizieren.



Was also ist die Alternative? Es ist, so platt dies klingen mag, der Mensch, der hinter der Informationstechnik steht. Er ist deshalb die grosse Chance, weil er eben nicht durch fixe Parameter begrenzt ist, sondern den Informationen und anderen Resultaten, welche die IT, das Internet und all die anderen elektronischen Quellen, die nötige Prise an Kreativität, Inspiration und Intuitivität zufügt. Der Mensch ist der unscharfe Faktor, der letztlich darüber entscheidet, ob sich auch eine Investition in Informationstechnik auszahlt oder nicht. Die Informationstechnik ist dagegen nur Infrastruktur.




Manche US-Politiker haben das noch immer nicht begriffen und machen wieder die alten Fehler: Unmittelbar nach den Anschlägen in den USA ist der Ruf nach einem Verbot von Verschlüsselungssystemen selbst im Inland und nach mehr Überwachungsbefugnissen für die Behörden laut geworden. Der Senat schaffte gar das Erfordernis einer richterlichen Genehmigung zur Internetüberwachung ab; der Widerstand ist gering. So wird in den USA die persönliche Freiheit und Privatsphäre wieder Schritt für Schritt der fixen Idee geopfert, wenn nur genügend Behörden-Computer die Computer der Bürger überwachen könnten, dem Verbrechen und Terror Einhalt geboten werden könnte.



Diese Vorstellung der "Falken" ist zwar bequem, aber Unsinn, keine Lösung und gefährlich. Denn im Gegensatz zu gewissen Behörden und Politikern haben die Terroristen den Wert des Faktor Menschen sehr wohl erkannt. Die jüngsten Ereignisse haben das in tragischer Weise demonstriert.



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