David Coursey: Keine Aufsplittung - und doch kein Sieg für Microsoft
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/31
Endlich hat das Department of Justice mal etwas richtig gemacht. In der rechtlichen Debatte, die vor allem deshalb bemerkenswert ist, weil die staatlichen Anwälte zu nichts kommen, scheinen die blinden Hühner nun endlich ein Korn gefunden zu haben. Und indem sie Microsoft einen "Sieg" zugestanden haben, haben sie möglicherweise die Schlinge zugezogen.
Die jüngste Ankündigung, wonach die Bundesbehörden nicht mehr danach trachten werden, Microsoft in eine Sammlung von Nanosofts zu zerschlagen, ist für die Firma natürlich eine gute Nachricht. Aber es gibt auch eine andere Seite. Das DOJ will den Fall auf Produkte und Technologien ausweiten, die erst in der Entwicklung sind. Dazu gehören etwa .Net, Hailstorm und Passport, aber auch das mobile Computing - schlicht alles, was Microsoft als Erweiterung seines Windows-Monopols zu dominieren versucht. Statt eine Schlacht um das Aufsplittungsbegehren zu führen (und zu gewinnen), findet sich Microsoft nun in einen Krieg verwickelt, den die Redmonder verlieren könnten.
Die Hauptfrage ist die folgende: Microsoft hat ein Betriebssystem-Monopol auf dem Desktop aufgebaut. Soll es der Firma nun möglich sein, ihre Dominanz auch auf mobile Geräte und Internet-basierende Anwendungen auszudehnen? Vielleicht ja, vielleicht nein, aber das sind zumindest die Antworten, die wir letztlich suchen.
Aber dazu will ich gar nicht mehr sagen, sondern vielmehr die Sieger und die Verlierer des jüngsten Entscheids vorstellen:
Microsoft: Der strahlende Sieger, weil die Firma nun keine Unternehmens-Todesstrafe zu gewärtigen hat. Sich gegen diese Absicht zu wehren, war aufwendig, insbesondere, weil es sowieso nie wirklich zu einer Trennung gekommen wäre. Und aus diesem Grunde haben wir - seltsamerweise - einen zweiten Sieger, nämlich das...
Department of Justice: Das DOJ ist ein Sieger, weil es nun nicht Jahre damit verbringen muss, einen Prozess zu führen, den es wahrscheinlich nicht gewonnen hätte. Und das, während Microsoft und die Technologie sich fröhlich weiterentwickeln. Nun kann die Justiz sich auf Dinge konzentrieren, auf die es wirklich ankommt, und nach Lösungen suchen, die in der künftigen Wettbewerbslandschaft tatsächlich einen Unterschied machen.
Richterin Colleen Kollar-Kotelly: Eine Siegerin, weil sie nun nicht mehr den Exzessen ihres Vorgängers hinterherräumen muss und berechtigte Hoffnung haben darf, dass der Fall in einem Vergleich endet. Das muss aus ihrer Perspektive ein Vorteil sein, es sei denn, sie hätte gehofft, sie könnte ein zweiter Lance Ito* auf der Bundesrichterbank sein. Der erste, der das gehofft hatte, war...
Richter Thomas Penfield Jackson: Eindeutig der grösste Verlierer. Sogar das DOJ gibt nun zu, dass er das Microsoft-Problem weitab von allem gesunden Menschenverstand zu lösen versucht hat. Jackson sollte sich ernsthaft einen Rücktritt überlegen. Er ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, was mit Leuten passieren kann, die mit Microsoft zu tun haben. Bevor er in den Fall hineingezogen wurde, hat er Computer noch nicht einmal benutzt, und doch hat er - sobald er Microsoft zu Gesicht kriegte - sein Bestes gegeben, um die Firma zu zerstören. Microsoft sollte daraus etwas lernen: Die Redmonder können nämlich durch ihre blosse Existenz ganz gewöhnliche Menschen dazu treiben, verrückte Sachen zu tun.
Technologie: Ein Gewinner, meiner Meinung nach. Ich habe noch nie so ganz begriffen, weshalb das Bundling - also der Einbau eines Browsers oder eines Media Players in ein Betriebssystem - eine so schlechte Sache sein soll. Solche Dinge gehören schlicht zu einem Betriebssystem. Kein Mensch hat aufgeschrien, als Microsoft all die TCP/IP-Firmen aus dem Geschäft gedrängt hat. Die haben damals viel Geld für dasselbe Desktop-Networking verlangt, das Microsoft nun gratis mit dem Betriebssystem verteilt. Das war zwar schlecht für die Firmen, aber gut für die Kunden, und es hat das Wachstum des Internet kräftig angeheizt.
Kunden: Es ist nicht so ganz klar, ob die jüngste Entwicklung für die Kunden gut ist oder nicht. Mit dem Prozess voranzuschreiten und nicht jahrelang über Aufteilungsgelüste zu streiten, ist sicher gut für die Kundschaft, vorausgesetzt, die Behörden erfüllen ihr Versprechen, einen Blick auf die anderen Produkte und Technologien zu werfen. Die Zukunft muss nicht wie die Vergangenheit sein. Und vor allem muss man Microsoft nicht bereits wegen künftiger Probleme lahmlegen, bevor diese überhaupt auftauchen.
Microsoft ist schliesslich aber auch ein Verlierer, weil das Unwahrscheinliche nun vom Tisch ist und die Behörden damit Gelegenheit haben, sich um Dinge zu kümmern, bei denen sie effektiv gewinnen können. Auch ein Vergleich wird wahrscheinlicher, wenn das DOJ seine Rolle als gedungener Mörder Microsofts aufgibt. Und während sich Microsoft noch ins Fäustchen lacht, weil man der tödlichen Kugel entronnen ist, sieht sich die Gates-Company nun plötzlich mit wahrscheinlich härteren Untersuchungen als jemals zuvor konfrontiert.
Dazu kommt, dass man in Redmond auch einem neu erwachten Interesse der EU ins Auge blicken muss - die Schwierigkeiten, in der die Firma nun plötzlich steckt, sind damit wohl einiges grösser, als sie noch vor zwei, drei Wochen waren. Oder deute ich die Zeichen falsch? Die Zeit - und mit ihr eine Horde Juristen - wird es uns erzählen.
* Erfolgreicher Richter im Prozess gegen O.J. Simpson (A.d.R.)