ITSM 3-dimensional
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/10
Wer sich mit der Einführung von ITSM primär auf die Reorganisation der Service Delivery und Support Prozesse nach ITIL fokussiert, kann in seiner Erwartungshaltung abhängig von der Ausgangslage ziemlich enttäuscht werden. ITIL thematisiert wichtige Bereiche einer IT Service Organisation und einige davon können nicht als Nebenschauplätze einer Prozess-Reorganisation behandelt werden. ITIL ist mehr als nur Prozesse; Service Delivery und Support Prozesse setzen die Definition anderer Organisationsbereiche voraus. Erfahrung bei der Einführung von IT Service Management haben gezeigt, dass ITIL «3-dimensional» wirkt.
Neben den Prozessen als eine Dimension müssen zwei weitere Themenbereiche bewusst auf die gleiche Stufe gebracht und innerhalb des Einführungs-Projektes auch entsprechend positioniert werden. Damit wird erreicht, dass die Prozesse sehr zielorientiert implementiert werden und nicht zum Fremdkörper inkompatibel zum Rest avancieren.
Im Folgenden wird diese 3-Dimensionalität als einer der wichtigen Erfolgsfaktoren bei der Einführung von IT Service Management nach ITIL näher erläutert.
Prinzipiell geht es um Service Management, das heisst, der Service und die Service- Orientierung sollten eigentlich im Mittelpunkt stehen. Da Service Management schon als Mindset meist schwer in eine IT- Abteilung einzubringen ist, wird dieser Umstand noch zusätzlich dadurch erschwert, dass sehr unterschiedliche Meinungen darüber herrschen, was denn ein IT- Service genau ist. Oft wird dann noch dieser Service Mindset dadurch zerstört, dass der IT-Service sehr technisch definiert wird (inside-out, d.h. aus Sicht des IT-Dienstleisters), anstatt ihn mit der Sichtweise des Kunden (outside-in) und anhand der Kundenprozesse zu definieren. Letzteres setzt eine Auseinandersetzung mit der Kundensituation und dem Nutzen, welchen ein IT-Service zu erbringen hat, voraus.
Ein Prozess geht gemäss Definition als Ablauf quer durch die Linien-Organisation. Orthogonal zur Organisation heisst aber nicht, dass die Linien-Organisation bei der Einführung der Prozesse ausser Acht gelassen werden kann, da sonst das Prozess-Management zu einem ´zahnlosen´ Gebilde wird.
Bevor mit der Prozess-Einführung gestartet wird, sind die Grundsätzlichkeiten bezüglich der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für die definierte IT-Service-Architektur festzulegen. Das bewirkt positiven Druck auf die Linie, sich für die ITIL-Prozesse zu interessieren, weil durch die neue Verantwortung für einen Service die Prozesse zum willkommenen Ansatz für die Umsetzung dieser Verantwortungen werden.
Die Verantwortlichkeiten werden kongruent zu der Service-Architektur angelegt, indem sie diese Architektur in klare Zuständigkeitsbereiche aufteilen und in einer SLA-, OLA-Struktur manifestieren. Auf diese Art wird das ganze Service Management führbar gemacht und es erleichtert die Zuordnung der Rollen «Prozess Owner» und «Prozess Manager» aus dem ITIL Prozessmanagement an die Funktionen der Linien-Organisation. Damit ist auch die Basis für die Zuordnung der restlichen Rollen innerhalb der ITIL-Prozesse an die konkreten Personen der verschiedenen Organisations- Einheiten gelegt.
Bei der Ausgestaltung der Mikro-Prozesse sollen genau jene Personen einbezogen werden, die an der Ausführung der Prozesse beteiligt sind. Aus dem Projekt erhalten diese Mitarbeitenden die folgenden Informationen:
1. den IT- Service, der in ihrem Arbeitsbereich bearbeitet wird
2. die Service Levels, welche zu erreichen sind
3. Best Practice Informationen zur Gestaltung der Prozesse
ITIL-Einführungen sind schwierig, wenn bei der Gestaltung der Mikro-Prozesse nicht die Betroffenen zu Beteiligten gemacht werden können.
Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten so organisieren, dass Organisationseinheiten, Funktionen, Rollen, Rollen-Cluster, Funktionsdiagramme, etc. mit der Service-Architektur und den Service-Levels zusammen gebracht werden können, ist nicht einfach. Aber auch hier unterstützen die Best Practice Ansätze das Projekt-Team und liefern zusammen mit den ersten beiden Dimensionen zusätzlich die Vorraussetzung für die ISO 20000 resp. BS 15000 Compliance
Mit der Service-Architektur und der ITSM-Organisation mit definierten Zuständigkeiten sind die Vorbedingungen erfüllt, die Best Practice-Ansätze von ITIL auf einer guten Grundlage nutzen zu können. Es gilt allerdings ein paar Regeln zu beachten:
Es hat sich bewährt, ITIL von der Kundenperspektive her einzuführen und ausserdem dort, wo grosser Handlungsbedarf besteht (d.h. Kundennahe Prozesse wie SLM, Incident Managment mit der Funktion des Service Desk zuerst). Auf keinen Fall sollte zuerst alles fertig definiert werden und dann am Schluss mit der grossen Implementation gestartet werden. Es dauert viel zu lang und ermüdet das Projekt. Wichtig ist, dass das Einführungsprojekt in Teillieferungen etappiert wird, die jeweils für sich «lauffähig» sind.
Eine Etappierung hat folgende Vorteile:
Implementation in Phasen (Ansatz mit Teillieferungen) bietet die Möglichkeit, frühzeitig Erfolge ausweisen zu können, und motiviert das Projekt .
Eine schnelle Implementation gibt sofort Feedback bezüglich des praktischen Erfolgs. Viele Erkenntnisse erfolgen erst durch die Umsetzung. Das Feedback erfolgt frühzeitig und wirkt sich auf die weiteren Phasen sofort aus.
Viele Mitarbeiter, hauptsächlich aus den technischen Bereichen, sind nicht gewohnt, mit Prozessdefinitionen umzugehen; auch nach vielen ITIL-Schulungen ist ihnen Sinn und Zweck nicht klar. Eine schnelle Umsetzung fördert gerade bei diesen Mitarbeitenden den Aha-Effekt.
Durch das Vorgehen in Etappen wird eine möglichst realitätsbezogene, auf die Kernproblematiken fokussierte, schlanke Einführung mit dem Ziel ermöglicht, dass die Projektresultate sich früh in der Praxis bewähren können. Der pragmatische Weg ist oft erfolgreicher, indem man die Prozesse nicht bis zum Exzess detailliert, sondern früh in der Organisation und auch in einem entsprechenden Tool zur Automatisierung implementiert. Das Prozessmanagement muss von der ersten Teillieferung an funktionieren. Die Prozess- Resultate werden gemessen und die Unterschiede (vorher – nachher) deutlich gemacht.
Weder die Service Architektur noch die ITSM-Organisation sind Nebenschauplätze der ITIL-Prozesse sondern eigene, gleichwertige Disziplinen. Der Autor sieht ITSM-Einführung 3- dimensional und nutzt in allen Dimensionen gegebene Methoden und die Best Practices für die Umsetzung. Am Anfang eines ITIL-Projekts stehen in der Regel Maturitäts-Assessment zur Feststellung des Reifegrades der Organisation und seiner Abläufe. Nach diesem Assessment (im Idealfall über alle 3 oben genannten Dimensionen) und der Analyse des GAP’s gegenüber den strategischen Erfolgsfaktoren der IT startet man ein Einführungs- oder Umsetzungsprojekt idealerweise entlang der 3 Dimensionen gestaffelt und führt das Projekt output-orientiert, d.h. mit Teillieferungen, hinter welchen eine klar definierte Kundenerwartung steht.
Bezüglich Service Mindset muss jeder Mitarbeiter verstehen, was ´seine´ Services sind, die er managen soll und welchen Beitrag er zum Service Management konkret liefert. Damit bleibt für ihn das Service Management nicht als abstrakter Begriff stehen. Sowohl die Service-Architektur als auch die ITSM-Organisation sind für Betroffene und Beteiligte IT Mitarbeiter griffiger als die ITSM–Prozesse selbst. Ist durch die ersten beiden Dimension einmal die Grundlage gelegt, sind ITIL-Prozesse viel einfacher zu realisieren.