Mehr Marktmacht für die Versicherten durch Transparenz und Unabhängigkeit
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/08
Die meisten Leistungsnehmer sind in Fragen rund um die Krankenversicherung überfordert und fühlen sich den Krankenkassen sowie den Leistungserbringern mehr oder weniger hilflos ausgeliefert.
Seit 1994 existiert die Informatik-Lehre, vom damaligen ASM entwickelt, dem Verband der Maschinen-industrie. Diese Lehre hat sich inzwischen sehr bewährt, wird heute in einem Modulsystem in der Regel in drei Schwerpunkten angeboten: Support, Systemtechnik und Applikationsentwicklung. 1994 bis 2000 entwickelte sich diese extrem rasch, bald wurden 2000 neue Lernende jährlich gezählt. Sie wurde ent-sprechend rasch zur normativen Kraft: der Einstieg in die Informatik ist heute ohne diese Grundbildung mit eidg. Fähigkeitszeugnis kein Thema mehr. Doch auch hier fielen die jährlichen neuen Betriebs-Lehrverträge beispielsweise im Kanton Zürich von 500 auf 240!
Das beginnt bereits bei der Wahl der richtigen Krankenversicherung. Zwar stellt sich bei der staatlich normierten Grundversicherung für viele nur noch die Frage nach dem vorteilhaftesten Anbieter, aber bereits die diversen Sparmöglichkeiten und Zusatzmodule machen die Angelegenheit viel zu komplex. HMO? Hausarztmodell? Welche Franchise? Spätestens bei den Zusatzversicherungen fühlen sich die meisten Versicherungsnehmer ausserstande, die richtigen Produkte zu wählen.
Für erstaunlich viele ist bereits das Modell der getrennten Grundversicherung und Zusatzversicherungen nicht transparent, und viele wissen nicht einmal, wann sie die Versicherung überhaupt wechseln können. Das mag zum Teil daran liegen, dass das Thema Krankenversicherung für die meisten Menschen ein «notwendiges Übel» darstellt, man möchte sich so wenig wie möglich mit dem Thema beschäftigen.
Dienste wie comparis.ch helfen zwar bei der Wahl der Versicherung, aber sie können nur allgemeine Empfehlungen wie etwa Preis-/Leistungsunterschiede abgeben. Spezifische, auf die individuellen Bedürfnisse des Versicherungsnehmers zugeschnittene Lösungsvorschläge sind nicht möglich, da die individuelle Krankengeschichte und Familiensituation weitgehend unbekannt bleiben.
Die Wahl des richtigen Leistungserbringers im Krankheitsfall ist für viele Menschen die nächste Hürde. In immer selteneren Fällen ist der Hausarzt der umfassende Berater für sämtliche Belange. So steht der Patient bei der Wahl eines geeigneten Spezialisten oft alleine da. Er muss den für ihn richtigen Arzt finden und sich zusätzlich darum kümmern, ob seine Versicherung dessen Leistungen überhaupt vergütet bzw. ob sein persönliches Versicherungspaket die Leistungen deckt.
Um diese Schwierigkeit zu mindern, halten Krankenversicherer heute für ihre Kunden Ärzte- bzw. Spitallisten bereit. Hier kann nachgeschlagen werden, ob die Leistungen bestimmter Ärzte vergütet werden, und welche Versicherungspakete welche Leistungen beinhalten. Eine Beurteilung, welcher Arzt gut und für den Versicherungsnehmer geeignet ist, können die Krankenversicherer genauso wenig vornehmen, denn auch sie kennen die Krankengeschichte des Versicherungsnehmers nicht. Empfehlungen von Krankenkassen bezüglich einzelner Leistungserbringer sind ausserdem nicht nur politisch heikel: Viele Versicherte misstrauen der Objektivität und Neutralität der Krankenversicher und vermuten Interessenkonflikte.
Krankheitsgeschichte, Gesundheitsverhalten, Risikofaktoren, Familiensituation, eigene Ansprüche, finanzielle Situation und andere Faktoren bestimmen wechselseitig die Auswahl der optimalen Versicherungsdeckung einerseits, die Wahl der optimalen Leistungserbringer andererseits. Es erstaunt nicht, dass die meisten Versicherten vor der Komplexität dieser Aufgabe kapitulieren müssen. Es fehlt sowohl am Wissen über diese Zusammenhänge, als auch an der Verfügbarkeit der entsprechenden Daten und Informationen. Viele Versicherungsnehmer kennen weder die Leistungen ihres Versicherungspaketes, noch wissen sie, wo diese Informationen zu finden sind. Detailinformationen zur eigenen Krankheitsgeschichte liegen – wenn überhaupt – dezentral beim Hausarzt und bei verschiedenen Spezialisten.
Ein Zusammenzug sämtlicher relevanten Informationen des Versicherungsnehmers (Versicherungsdaten, Krankheitsgeschichte, Familiensituation etc.) in einer unabhängigen Beratungs- und Datenmanagementinstanz böte dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit, alle wichtigen Daten an einer Stelle transparent einzusehen und zudem wieder selbst Eigentümer seiner Krankheits- und Versicherungsfakten zu werden
Dazu würde neu eine Beratungsinstanz geschaffen, die strukturell aus zwei Hauptkomponenten besteht:
1. Aus der Datenmanagementinstanz: Sie sammelt sämtliche Daten des Versicherungsnehmers bezüglich seiner Krankheitsgeschichte, Familiensituation und Krankenversicherung
2. Aus der Beratungsinstanz: Sie bietet je nach Präferenz auf elektronischem, telefonischem oder persönlichem Weg eine objektiv-neutrale Beratung an, die sowohl auf der Grundlage der persönlichen Daten erfolgt, als auch über die Angebotsportfolios der Krankenversicherer und Leistungserbringer verfügt.
Die Ärzteschaft pflegt das Dossier hinsichtlich der Behandlungseinträge eines Versicherungsnehmers in der Datenmanagementinstanz. So ist gewährleistet, dass die Daten in standardisierter Form vorliegen, bei einem Arztwechsel nicht verloren gehen oder mühsam beschafft werden müssen.
Krankenversicherer übertragen die Leistungsmerkmale des Versicherungspaketes des individuellen Versicherungsnehmers in die Datenmanagementinstanz. Ebenso mit dem Vorteil, dass die Informationen bis zu einem vernünftigen Mass standardisiert und von den Leistungserbringern schnell und problemlos abgerufen werden können.
Um den gläsernen Patienten zu vermeiden, sind die einzelnen Datensätze nicht gegenseitig einsehbar. So hat z.B. der Krankenversicherer keinen Zugang zur Krankheitsgeschichte des Versicherungsnehmers: Die Datenschutzgrenze verhindert dies. Die persönlichen Daten werden vom Versicherungsnehmer in der Datenmanagementinstanz selber verwaltet und nachgetragen.
Auf diese Weise befinden sich sämtliche Informationen an einem Ort. Die Grundlage für die optimale Beratung hinsichtlich der Wahl der Versicherung und der Leistungserbringer ist geschaffen.
Weil alle Daten in standardisierter Form und an einer einzigen Stelle vorhanden sind, wird der Versicherungsnehmer zum «Content-Owner» über seine Belange. Mühsames und zeitraubendes, oftmals auch unvollständiges Einsammeln von Daten entfällt.
Die Beratungsinstanz besteht aus Menschen, die die Versicherungsnehmer persönlich beraten. Elektronische Expertensysteme, über welche sich der Versicherungsnehmer selber informieren kann, sind ebenso denkbar. In jedem Fall sind in der Datenmanagementinstanz alle Informationen vorhanden, um eine optimale Beratung zu garantieren. Die Beratung ist strikt neutral, es bestehen keine Interessenskonflikte.
Wenn der Versicherungsnehmer beispielsweise einen Arzt für eine Sportverletzung sucht, schlägt ihm die Beratungsinstanz auf kompetenter Grundlage einen geeigneten Arzt vor: Denn sie kennt die Leistungen des Versicherungspaketes, die vom Krankenversicherer anerkannten Leistungserbringer und die Krankheitsgeschichte des Versicherungsnehmers. Wenn der Versicherungsnehmer den Krankenversicherer wechseln will, kennt die Beratungsinstanz seine Krankheitsgeschichte, seine Familiensituation und schlägt so ein geeignetes Versicherungspaket vor.
Ein nicht unwillkommener Nebeneffekt dieser Lösung, besteht in der Intensivierung des Wettbewerbs sowohl unter den Krankenversicherern, als auch unter den Leistungserbringern
Für den Versicherungsnehmer selbst wäre mit diesem Modell eine grundlegende Verbesserung seiner Situation gegeben: Er hätte einen Single Point of Contact zum Gesundheitssystem sowie eine objektiv-neutrale Beratung auf der Basis einer umfassenden Informationsgrundlage.
Eine der Aufgaben von eHealth ist, die bestehenden Prozesse im Gesundheitswesen elektronisch abzubilden. Zugleich müssen wir aber auch über neue Dienstleistungskonzepte des Gesundheitsmarktes gegenüber den Versicherungsnehmern nachdenken und die Beseitigung einiger grundlegender Missstände in Angriff nehmen.
Mathias Gläser, Stimmt AG, Zürich