Prestige gegen die Know-how-Lücke


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/08

     

Das Netzwerk ist die Grundlage der modernen Informatik. Wenn es nicht einwandfrei funktioniert, ist das ganze Unternehmen in seiner Arbeit behindert. Latenzzeiten addieren sich schnell zu erklecklichen, unproduktiven Lohnsummen auf. Hinzu kommt, dass heute auch die Kunden kaum mehr Geduld aufbringen. Wenn Dienste oder Websites nicht augenblicklich zur Verfügung stehen, klicken sie weg und der Kontakt ist verloren. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir heute einwandfrei funktionierende Netzwerke einfordern, schlägt sich auch in der Einstellung des Managements zu diesem Thema nieder. Man will sich um das ICT-Netzwerk so wenig kümmern wie um die Strom- oder Wasserversorgung. Das heisst einerseits, dass die Verantwortlichen auf wenig Verständnis hoffen können, wenn Probleme auftreten. Andererseits sagt kaum jemand danke, wenn alles tadellos läuft. Diese ausgeprägte Konsumhaltung der Teppichetage beruht nicht zuletzt auf den vollmundigen Versprechen der Hersteller, mit denen man dem Management suggeriert hat, die heutigen ICT-Netzwerke funktionierten mit ihren intelligenten Geräten praktisch von alleine.



Intelligent sind die Werkzeuge heutzutage tatsächlich. Bloss, von alleine tun sie selten das Richtige. Ihre Konfiguration und vor allem die Architektur eines performanten und sicheren Netzwerks erfordern ein umfassendes Know-how. Genau hier orten Spezialisten, die von den Unternehmen geholt werden, wenn gar nichts mehr geht, das grösste Problem. Viele Netzwerktechniker hätten zwar Hersteller-Zertifikate, um deren speziellen Geräte bedienen zu können, sie verstünden aber die zentralen Grundlagen der Protokolle kaum mehr. Und dieser Mangel an qualifizierten Fachleuten beschränkt sich nicht nur auf KMU, deren Job-Profile wenig attraktiv sind. Auch in Grossunternehmen und sogar bei spezialisierten Outsourcern sei die Know-how-Dichte zum Teil erschreckend gering, meinen Insider.



Wie gross der Mangel an qualifizierten Netzwerkern ist, zeigt auch eine aktuelle Untersuchung des US-Stellenvermittlers Bluewolf. Demnach können erfahrene Netzwerk-Manager 2009 trotz Wirtschaftskrise mit einem markanten Saläranstieg – bis zu 14 Prozent mehr bei einem Stellenwechsel – rechnen.



Besonders ausgeprägt ist der Mangel bei Analysten und an der Schnittstelle zur Applikationsebene. Als Folge davon wird die Netzwerkverwaltung in den meisten Betrieben rein reaktiv betrieben. Periodische Analysen, die eigentlich zum normalen Maintenance-Standard gehören, werden nicht einmal jährlich durchgeführt. Angesichts der rapide steigenden Anforderungen durch SOA, Web 2.0 oder Collaboration-Lösungen ist dies geradezu fahrlässig. Durch die fehlende Kommunikation zwischen den Applikationsverantwortlichen und den Netzwerkern dauert es zudem oft unnötig lange, bis die Ursachen von Performance-Problemen eruiert sind.



Mitverantwortlich für den weit überdurchschnittlichen Fachkräftemangel im Netzwerkbereich ist die ausgeprägte Konsumhaltung von uns Anwendern und des Managements. Netzwerkspezialisten sind die prototypischen Rechenzentren-Informatiker, die von Dingen reden, welche sowieso niemand ausser sie selber versteht. Kaum ein anderer Beruf im Informatikbereich hat ein graueres Image. Prestige ist aber, das zeigen alle Untersuchungen, ein wichtiger Entscheidungsgrund bei der Studien- und Berufswahl. Um qualifizierte junge Leute für die Netzwerkerei zu begeistern, müsste man erst einmal ihre Stellung in den Unternehmen verbessern. Leider deutet aber wenig darauf hin, dass das Management durch seine abstrakten Prozess-Watteschichten die Wichtigkeit und Komplexität der grundlegenden Netzwerkinfrastruktur erkennen würde. Obwohl klar ist: Ein fähiger Netzwerktechniker bringt einem Unternehmen viel mehr – oder besser gesagt, er verhindert viel mehr Probleme – als die meisten hochtrabenden Business-Berater.



Daniel Meierhans








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