Nieder mit den Barrieren!
Was das Gesetz sagt
Die Namics/Access-for-all-Studie kommt nicht von ungefähr: Nachdem in den USA schon seit 1998 die "Section 508" für behindertengerechte staatliche Online-Präsenz sorgt und auch Deutschland seit Juli 2002 ein Behindertengleichstellungsgesetz kennt, ist ein gleichnamiges Gesetz (kurz BehiG) seit Januar 2004 auch bei uns in Kraft. Das BehiG setzt Rahmenbedingungen, die Behinderten die Teilnahme am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben erleichtern sollen, und berücksichtigt dabei auch den Zugang zu Online-Informationen - aber nur zum Teil: Die zugehörige Verordnung BehiV bezieht sich punkto Internet in Artikel 10 ausschliesslich auf Dienstleistungen des Bundes sowie für Organisationen und Unternehmen, die gestützt auf eine Konzession des Bundes tätig sind. Auf die breite Masse der Schweizer Webauftritte wirkt sich das BehiG nicht direkt aus.
Universal Usability
Die Gesetzeslage erlaubt es kommerziellen Anbietern also nach wie vor, Websites mit Hindernissen nach Belieben ins Netz zu stellen. Es gibt aber sowohl moralische als auch wirtschaftlich handfeste Gründe, den Webauftritt möglichst barrierefrei zu gestalten.
Das Internet soll allen zur Verfügung stehen, unabhängig von Alter, Einkommen, kulturellem Hintergrund, Behinderung oder anderen Rahmenbedingungen. Dies ist die Grundidee des Netzes aller Netze, die namhafte Netzpersönlichkeiten wie die User-Interface-Koryphäe Ben Shneiderman oder der Web-Erfinder Tim Berners-Lee vehement vertreten: "Die Stärke des Web liegt in seiner Universalität. Zugang für alle, ungeachtet allfälliger Behinderungen, ist ein essentieller Aspekt."
Dies gilt umso mehr, als das Internet als Informations- und Kommunikationsmedium immer wichtiger wird. Es gibt heute schon viele Informationen, die exklusiv übers Web zugänglich sind, und auch transaktionsorientierte Angebote wie Online-Shopping und E-Government-Prozesse wie die Online-Bestellung von offiziellen Dokumenten versüssen nicht nur Menschen ohne Behinderung das Leben. Im Gegenteil: Gerade aufgrund ihrer Einschränkungen gehören Behinderte zu den loyalsten Kunden - wer sich einmal an eine bestimmte Site gewöhnt hat, kehrt gerne zurück. Zudem kommen immer neue Anwendungen in essentiellen Lebensbereichen hinzu. Bald werden wir zum Beispiel online abstimmen und wählen können, und davon darf kein Stimmberechtigter ausgeschlossen sein.
Nicht weniger bedeutend sind Intranet- und B2B-Anwendungen. Auch unternehmensinterne Netze und Online-Shops für gewerbliche Käufer treten die Bedürfnisse Behinderter oft mit Füssen und erschweren oder verunmöglichen damit betroffenen Mitarbeitern die Tätigkeit - ein menschlich unhaltbarer Zustand. Das Image eines Arbeitgebers steigt im übrigen, wenn er auf solche Details achtet und sich als sozial kompetenter "Equal-Opportunity"-Betrieb positioniert.
Selbstverständlich gibt es auch manches, das nicht behindertengerecht aufgemacht werden kann oder muss. Auf die neueste Nike-Produktekampagne mit viel Animationsbrimborium können die meisten Betroffenen wohl ebenso verzichten wie auf den Flash-gepowerten Werbebanner, und die blindengerechte Vollausstattung der vornehmlich visuell orientierten Site einer Netzkünstlerin ist ebenfalls weniger relevant. Dennoch sollten auch auf solchen Sites zumindest die Grundinformationen für alle Arten von Usern zugänglich sein.