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Kolumne: Das Altersparadoxon im IT-Arbeitsmarkt

Guido Sieber spricht sich in seiner aktuellen Kolumne für mehr Altersdiversität im IT-Bereich aus aus.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2025/12

     

IT-Profis über 50 bringen jahrzehntelange Erfahrung mit. Sie erinnern sich an piepsende Modems, haben 450-Megahertz-Prozessoren gefeiert und 32 MB Speicher als grosszügig empfunden. Sie sind nicht als Digital Natives gestartet, sondern haben sich mit der Technologie weiterentwickelt. Trotzdem geraten sie im boomenden IT-Arbeitsmarkt ins Hintertreffen. Häufig entscheiden Schweizer HR-Verantwortliche aufgrund des Geburtsjahres, dass ältere Bewerber in modernen Frameworks oder Cloud-Architekturen nicht mehr sattelfest seien. Ebenso hält sich das Vorurteil, ihnen fehle die Bereitschaft, Neues zu lernen oder agil zu arbeiten.

Gerade in Start-ups und skalierenden Unternehmen führt dies zu Zurückhaltung: Man befürchtet, ältere Fachkräfte könnten die Dynamik junger Teams bremsen, der «Cultural Fit» sei nicht gegeben. Gleichzeitig ziehen sich viele erfahrene IT-Profis nach wiederholten Absagen zurück und entwickeln ein Gefühl des «Nicht-mehr-Gebrauchtwerdens». Sie verzichten im Zweifelsfall auf Bewerbungen, für die sie bestens qualifiziert gewesen wären.


Zusätzlich fehlen gezielte Angebote für eine berufliche Neuausrichtung. Wer mit Mitte 50 in Cloud-native Umgebungen oder KI-Infrastrukturen einsteigen möchte, trifft schnell auf subtile Barrieren: mangelndes Mentoring, unpassende Lernformate oder fehlende Offenheit in Teams.
Auch die Gehaltsfrage bleibt für Schweizer Unternehmen in Bezug auf ältere IT-Experten ein grosses Thema. Sie fürchten, dass ältere Mitarbeiter höhere Löhne einfordern könnten, was wiederum zu internen Spannungen im Teamgefüge beitragen könnte.

Tatsächlich ist das eine der Herausforderungen, denen sich Unternehmen stellen müssen. Eine andere ist allerdings, dass mit jeder übersehenen oder aussortierten Fachkraft wertvolles Know-how verlorengeht. Ältere IT-Spezialisten haben komplexe Systeme migriert, technologische Umbrüche begleitet und Projekte unter Druck erfolgreich abgeschlossen. Erfahrung ist kein Ersatz für moderne Skills, aber sie ist auch nicht beliebig austauschbar. Gerade ältere Arbeitnehmer zeigen durch Weiterbildungsmassnahmen besonders starke Effekte, die folglich zu mehr Innovationskraft in den Unternehmen führen können.


HR-Prozesse in Schweizer Unternehmen sind dazu vornehmlich immer noch auf Young Professionals ausgerichtet. Formulierungen wie «junges, dynamisches Team» oder Anforderungen wie «maximal fünf Jahre Berufserfahrung» wirken für über 50-Jährige wie implizite Ausschlusskriterien.
Eine Branche, die sich als Motor der Transformation versteht, sollte auch ihre Arbeitskultur weiterentwickeln. Altersdiversität ist kein Akt der sozialen Verantwortung, sondern ein betriebswirtschaftlicher Vorteil: stabilere Teams, geringere Fluktuation und höhere Problemlösungskompetenz.

Dafür braucht es altersneutrale Rekrutierungsprozesse, kompetenzorientierte Auswahlkriterien und Weiterbildungsangebote, die an die Lebensrealität älterer Fachkräfte angepasst sind – praxisnah, flexibel und auf Augenhöhe. Wertvoll sind auch Mentoring-Modelle in beide Richtungen: Jüngere geben technologische Impulse, ältere vermitteln Erfahrung in Architektur, Führung und Prozessen.


Das Altersparadoxon im IT-Arbeitsmarkt ist kein Naturgesetz. Wer starke Tech-Teams aufbauen will, muss das gesamte Potenzial des Arbeitsmarkts nutzen. Unternehmen, die ältere Fachkräfte aufgrund von Stereotypen ausblenden, vergeben eine zentrale Ressource – und damit auch ihre eigene Chance auf nachhaltige Innovationskraft.

Guido Sieber

Guido Sieber ist Managing Director und Senior Regional Director bei Robert Half. Er hat mehrere auf IT spezialisierte Personalberatungen als CEO aufgebaut und geleitet. Der Tech-Experte berät seit Jahren branchenübergreifend Unternehmen zu allen Aspekten der IT und ihrer Digitalisierungsprogramme mit Schwerpunkt Consulting und Personalgewinnung, darunter Weltmarktführer und DAX40-Unternehmen.


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