In den letzten Jahren schien es, als könnten Unternehmen gar nicht genug IT-Fachleute finden. Jetzt ist plötzlich alles anders. Laut dem aktuellen Adecco Job Index ist die Zahl der ausgeschriebenen IT-Stellen im ersten Halbjahr 2025 um rund 31 Prozent gesunken. Selbst Berufe, die früher als Mangelprofile galten, wie zum Beispiel Softwareentwickler oder IT-Projektleiter, sind weniger gefragt.
Ich habe den Eindruck, dass wir gerade den ersten echten Produktivitätsschock in der Expertenarbeit erleben. Jahrzehntelang war das Problem klar: zu wenig Talente, zu viele Projekte. Heute ist es fast umgekehrt. Nicht, weil Technologie weniger wichtig wäre, sondern weil sie selbst immer effizienter wird.
Man merkt es in vielen Teams ganz deutlich: Künstliche Intelligenz verändert die Arbeit schneller, als die meisten gedacht hätten. Tools wie GitHub Copilot, ChatGPT oder Claude 3 übernehmen Routineaufgaben, schreiben Code, prüfen Fehler oder dokumentieren Projekte. Ein guter Entwickler kann mit diesen Helfern heute doppelt so viel erledigen wie noch vor zwei Jahren. Und wenn die Produktivität pro Kopf steigt, braucht man schlicht weniger Köpfe. Das hat nichts mit Konjunktur zu tun, sondern mit einem strukturellen Wandel. Wo früher fünf Entwickler sassen, reichen heute zwei oder drei, die wissen, wie man KI sinnvoll einsetzt.
Viele Firmen haben in den Boomjahren 2020 bis 2022 zu stark aufgestockt. Digitalisierung, Cloud-Migration, Security – überall wurde eingestellt, ohne gross zu hinterfragen, ob das langfristig Sinn ergibt. Jetzt werden Projekte gestoppt, Budgets gekürzt, Prioritäten neu gesetzt. Heute zählt nicht mehr, wer die grösste IT-Abteilung hat, sondern wer mit den vorhandenen Leuten am meisten erreicht.
Dazu kommt, dass Schweizer Firmen immer häufiger auf Entwickler aus Osteuropa oder Asien zurückgreifen. Remote-Work macht’s möglich, und die Kosten sind oft deutlich tiefer.
Ich bin überzeugt, dass der Schweizer IT-Arbeitsmarkt dadurch seine Sonderstellung verliert. Wer hier arbeitet, muss sich differenzieren – durch Spezialisierung, durch kreative Problemlösung, durch die Fähigkeit, Technologie strategisch einzusetzen, statt nur anzuwenden.
Wer heute in der IT arbeitet, sollte sich weniger über Programmiersprachen definieren, sondern über das, was darüber hinausgeht: Integrationskompetenz, Architekturverständnis, die Fähigkeit, KI zu nutzen – und nicht von ihr ersetzt zu werden. Meiner Meinung nach sind das die neuen Schlüsselqualifikationen.
Recruiter ihrerseits sollten weniger nach Schlagwörtern suchen und mehr auf Lernfähigkeit und Potenzial achten.
Ich glaube nicht, dass der IT-Stellenboom einfach vorbei ist. Er hat sich nur verändert. Wir brauchen weniger Hände, aber mehr Hirn. Weniger Code-Schreiber, aber mehr Gestalter.
Wer das versteht, sieht den Wandel nicht als Bedrohung, sondern als Einladung, die eigene Rolle neu zu definieren – in einer Zeit, in der Technologie uns nicht ersetzt, sondern uns dazu bringt, besser zu werden.
Fabian Dütschler
Fabian Dütschler ist Founding Partner von One Agency, einer führenden IT-Personaldienstleistungsagentur mit Hauptsitz an der Bahnhofstrasse in Zürich.
In seiner Kolumne im «Swiss IT Magazine» beschäftigt sich Dütschler mit den Herausforderungen, die sich rund um die Personalsuche und die Karriereplanung ergeben.
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