cnt
Start-up Correntics: Klimarisiken kalkulierbar gemacht
Quelle: Correntics

Start-up Correntics: Klimarisiken kalkulierbar gemacht

Das Zürcher Start-up Correntics übersetzt Wetter- und Klimadaten in betriebsrelevante Kennzahlen – von der nächsten Woche bis 2050. Das hilft Unternehmen, Risiken früh zu ­erkennen, finanzielle Folgen zu beziffern und gezielt gegenzusteuern.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2025/11

     

Extreme Wetterereignisse wie Überschwemmungen, Dürren oder Stürme treffen auch Unternehmen immer härter. Produktionsausfälle, Lieferkettenunterbrüche und finanzielle Schäden sind die Folge, wenn etwa ein Kraftwerk aufgrund von Hochwasser stillsteht oder eine Dürre die Ernteerträge schmälert. Das Zürcher Start-up Correntics will genau hier ansetzen: Es hat eine Software entwickelt, die Wetter- und Klimadaten in konkrete Risiken für Unternehmen übersetzt und so hilft, Schäden durch Klimaextreme zu verringern.

Vom Problem zur Plattform

Die Gründer von Correntics – CEO Michael Gloor und CTO Gaudenz Halter – sind technisch versiert und haben ihr Know-how in der Industrie und der Klimarisikoforschung gesammelt. Michael Gloor war fünf Jahre lang bei Swiss Re im Naturgefahren-Risikomanagement tätig, wo er aus erster Hand lernte, wie sehr Klimarisiken nicht nur Versicherungen, sondern vermehrt auch Industriekonzerne belasten. Ein Beispiel ist der Schweizer Zughersteller Stadler Rail, dessen Werke in den letzten Jahren mehrfach von Überschwemmungen betroffen waren. Solche Vorfälle und steigender regulatorischer Druck, Klimarisiken offenzulegen, motivierten Gloor 2021 zur Gründung von Correntics in Zürich.


Von Anfang an verfolgten die Gründer den Ansatz, komplexe Risikoanalysen in eine skalierbare Softwarelösung zu giessen. «Statt Consulting setzen wir auf Software, die global tätigen Unternehmen hilft, vorausschauend zu planen und die richtigen Massnahmen abzuleiten», erklärt Gloor. Im ersten Jahr entstanden aus eigenen Ersparnissen finanzierte Prototypen, bis 2023 die erste marktreife Plattform fertiggestellt wurde. Zu den ersten Nutzern gehörten namhafte Firmen wie der Agrarchemie-Konzern Syngenta oder das Berner Energieunternehmen BKW.

Wenn das Wetter zum Geschäftsrisiko wird

Die grundlegende Problemstellung adressiert Gloor: «Viele Grossunternehmen besitzen grosse, ortsgebundene Anlagen – etwa Kraftwerke oder Chemiefabriken – die extremen Wetterereignissen ausgesetzt sind». Verschärfend komme hinzu, dass diese Anlagen oft jahrzehntelang am selben Standort stehen. Überflutungen, Stürme oder Hitzewellen können daher laut Gloor langfristig kritische Auswirkungen haben. Gleichzeitig verlangen neue Richtlinien, etwa im Rahmen von Environmental, Social, and Governance (ESG) und Klimaberichterstattung, dass Unternehmen ihre physischen Klimarisiken quantifizieren und offenlegen. Doch wie lässt sich etwa das Überschwemmungsrisiko eines bestimmten Werks – heute und in Zukunft – in geschäftsrelevante Kennzahlen übersetzen?


Hier will die Lösung von Correntics ansetzen. Das Start-up bietet eine Software-as-a-Service-Plattform für Klima­risiko-Analysen, die Wetter- und Klimadaten aufbereitet und mit Unternehmensdaten verknüpft. Die Plattform quantifiziert, welche Folgen Wetterextreme für ein konkretes Geschäftsmodell haben. So sollen Nutzer simulieren können, wie sich etwa eine Jahrhundertflut oder eine Serie von Hitzetagen finanziell auf ihre Standorte auswirken würde.

Wissenschaftliche Prognosen

Damit diese Vorausschau gelingt, arbeitet Correntics mit verschiedenen Zeithorizonten: Kurzfristige Wettervorhersagen (Tage), saisonale Klimatrends (Monate) und globale Klimamodelle (Jahrzehnte) bis 2100 fliessen in die Analysen ein. Die umfangreichen Rohdaten werden statistisch aufbereitet und in verständlicher Form dargestellt. Entscheidend ist aber die Übersetzung der Klimaeffekte in betriebswirtschaftliche Kennzahlen. «Ein wesentlicher USP ist unsere Quantifizierung: Wir sagen nicht nur, wie sich Wetter oder Klima verändern, sondern übersetzen das in finanzielle Auswirkungen für Firmen», betont Gloor. Klassische Wetterdienste melden vielleicht «Starkregen» oder «40 Grad Hitze am Wochenende» – Correntics gehe den entscheidenden Schritt weiter und berechne, welche Kosten durch den Starkregen entstehen könnten oder wie viele Tage Produktion bei 40 Grad ausfallen. Diese Verknüpfung von wissenschaftlichen Klimadaten mit wirtschaftlichen Effekten sei das Herzstück der Technologie. Dafür setzt das Team auch auf Ensemble-Modelle (mehrere kombinierte Klimamodelle) und statistische Methoden, um Wahrscheinlichkeiten und Unsicherheiten verlässlicher abzubilden.


Ein weiterer Aspekt ist der Einsatz von KI-Sprachmodellen, um die Flut an Zahlen für die Nutzer leichter greifbar zu machen. Künftig soll die Software komplexe Risiko-Kennzahlen automatisch in Text und Handlungsempfehlungen übersetzen. Das Ziel: Die Kunden benötigen keine Klimaexperten mehr, um die Reports zu verstehen.

Mehr als Wettervorhersagen

Angesichts des steigenden Bewusstseins für Klimarisiken ist es kein Wunder, dass bereits andere Anbieter auf den Plan getreten sind. Einige Wettbewerber konzentrieren sich auf Nischen, etwa auf Finanzportfolios von Banken oder auf Ernteprognosen für Agrarbetriebe, erklärt Gloor im Gespräch. Correntics dagegen positioniere sich breiter und zugleich spezialisiert auf die Bedürfnisse von Gross­industrie und Betreiber kritischer Infrastruktur. Die SaaS-Plattform lasse sich per Schnittstellen nahtlos in die IT-Landschaft grosser Konzerne integrieren. Vor allem wird im Gespräch klar, dass es nicht bei der reinen Klima- und Wetteranalyse bleibt, sondern dass Geschäftskennzahlen und Lieferkettenbereiche im Vordergrund stehen. «Klassische Wetteranbieter melden ‹windig oder heiss› – wir übersetzen das in den Firmenkontext. Diese Übersetzung ist unsere Kernkompetenz», sagt Gloor. Damit will Correntics für seine Kunden einen greifbaren Mehrwert schaffen, der über das hinausgeht, was ein regulärer interner Wetterbericht oder allgemeine Klimastudien liefern können.

Erste Kunden und Anwendungsfelder

Ob Chemie, Energie, Agrar oder Logistik, überall dort, wo teure Anlagen und verzweigte Lieferketten involviert sind, kann die Correntics-Lösung ihr Potenzial entfalten. Rund 15 bis 20 Firmen setzen die Software aktuell ein, darunter multinationale Konzerne mit Standorten in Europa, Nordamerika, Asien und Afrika. Ein Beispiel aus der Frühphase ist ein weltweiter Logistikkonzern, der besonders an der Prognose tropischer Wirbelstürme interessiert ist. Herkömmliche Tools zeigten diesem Kunden nur allgemeine Windgeschwindigkeiten, Correntics hingegen konnte nach eigenen Aussagen konkreter vorhersagen, ob ein LKW-Konvoi auf einer bestimmten Route in den nächsten Tagen fahren kann oder mit welcher Wahrscheinlichkeit Verzögerungen drohten.


Auch Beratungsunternehmen gehören zu den Nutzern: Grosse Consulting-Firmen verwenden Correntics, um die Klimarisiken für ihre Industriekunden zu modellieren. Zudem laufe ein mehrjähriges Projekt mit der Schweizer Bundesverwaltung, in dem Correntics seine Modelle verfeinert und neue Anwendungen entwickelt.

Team und Finanzierung

Aktuell besteht Correntics aus rund 14 Mitarbeitenden. Das Kernteam vereint Experten aus Klimawissenschaft, Softwareentwicklung und Industrie. Michael Gloor bringt, wie zuvor erwähnt, Erfahrung aus der Versicherungsbranche und der Luftfahrtindustrie ein, Gaudenz Halter steuert die technische Umsetzung mit seinem Team von Modellierern und Entwicklern.


Unterstützt werden die Gründer von Fachleuten, darunter mehrere Klima- und Datenwissenschaftler, Softwareingenieure sowie Projektmanager und Business Developer. Auch finanziell sei Correntics gut aufgestellt: Nach der frühen Selbstfinanzierung holte das Start-up namhafte Geldgeber an Bord – etwa die Zürcher Kantonalbank und spezialisierte Venture-Investoren.

Wachstum mit Weitblick

Die nächsten Schritte hat Correntics klar vor Augen. In den kommenden Monaten und Jahren will das Team international weiterwachsen und sich in seinen Kernindustrien als führender Anbieter etablieren. Besonders der US-Markt soll dabei verstärkt in den Fokus rücken.

Für die Expansion sei ein deutlicher Wachstumsschub und möglicherweise weitere Investitionsrunden geplant. Inhaltlich steht die Weiterentwicklung der Plattform im Vordergrund: Weitere Industriezweige sollen abgedeckt und die Integration in Unternehmensprozesse vertieft werden. Nicht zuletzt soll die KI-Komponente das Nutzererlebnis verbessern, sodass das Klimarisiko-Management für Unternehmen so intuitiv und selbstverständlich wird wie ein Finanzcontrolling. Die Vision formuliert Gründer Gloor ehrgeizig, aber überzeugt: «In Europa wollen wir ein führender Player in unserem Bereich werden – ambitioniert, aber erreichbar.» (dow)


Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Was für Schuhe trug der gestiefelte Kater?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER