CIO-Interview: «Yin und Yang - eine Balance zwischen ­Business und IT»
Quelle: Vetropack

CIO-Interview: «Yin und Yang - eine Balance zwischen ­Business und IT»

Als CIO beim Glasverpackungshersteller Vetropack muss sich Wolfram Schulze unter anderem auch mit der Frage auseinandersetzen, wie man bei 1600 Grad Celsius vernünftig Daten sammeln kann.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2024/09

     

«Swiss IT Magazine»: Herr Schulze, Sie sind nun seit knapp einem halben Jahr CIO bei Vetropack, einem Unternehmen, das sich der Produktion von Behältern aus Glas verschrieben hat, tätig. Welche Teilbereiche verant­worten Sie in Ihrer Rolle im Unternehmen?
Wolfram Schulze
: Im Vergleich zu anderen CIOs ist mein Aufgabenbereich dahingehend anders, dass ich nicht nur für die klassische IT zuständig bin, sondern auch für die OT, also die Operational Technology mit Maschinencomputern, Robotern und Sensorik sowie für sämtliche IT-Applikationen im produktionsnahen Umfeld.

Damit kommen auch ausserhalb des klassischen IT-Geschäfts zahlreiche, nicht unbedingt CIO-typische Aufgaben auf Ihren Tisch. Welche Themen beschäftigen Sie innerhalb dieser OT-Verantwortlichkeit?
Das umfasst etwa die Manufacturing Execution Systems (Anm. d. Red.: Produktionsleitsysteme), die Qualitätskontrollsysteme, aber auch die Sicherung des 24-7-Betriebes der produktionsnahen IT Systeme mit der Gewährleistung, dass immer ein Experte verfügbar ist, falls etwas klemmen sollte.


An wen rapportieren Sie? Ist die CIO-Rolle in der Geschäftsleitung angesiedelt?
Ich berichte direkt an den CEO und bin Teil der erweiterten Geschäftsleitung. Neben der operativen Verantwortung für IT und OT habe ich auch einen starken Fokus auf die strategische Ausrichtung und Weiterentwicklung des Unternehmens. Für mich persönlich wichtig ist darüber hinaus das Thema Digitalkompetenz, also die Weiterbildung der Belegschaft im Bereich Anwendung und Affinität von digitalen Technologien. Und ich bin der Meinung, dass man als CIO auch vorne dabei sein und neue Technologien ausprobieren muss.
Wolfram Schulze
Wolfram Schulze (40) ist seit April 2024 Group CIO beim Glasverpackungshersteller Vetropack. Er bringt umfassende Erfahrung im Software-Engineering und in der digitalen Transformation mit. Karrierestationen waren unter anderem Siemens und Rentschler Biopharma SE. Bei Vetropack leitet Schulze die Group IT & OT und setzt sich für eine harmonische Integration von IT- und Geschäftsfunktionen ein.
Wie ist das zu verstehen?
In meiner früheren Tätigkeit als Software-Architekt war für mich klar, dass es nicht reicht, schöne Diagramme zu malen. Architekten müssen auch Coden können. Ich glaube daher, dass CIOs die Leute sein müssen, die die grösste Neugier für Technologie haben. Ich benchmarke auch mal selbst ChatGPT gegen Google Gemini, um zu verstehen, wohin die KI-Reise hingeht. Das stresst meine Mitarbeiter manchmal auch, muss ich ehrlich sagen! (lacht)

Ihr Aufgabenbereich unterscheidet sich wie eben erwähnt vor allem durch den OT-Bereich stark von vielen anderen CIOs. Von welchen Grössenordnungen sprechen wir da, können Sie uns einen Überblick über die OT bei Vetropack geben?
Das zieht sich über den ganzen Prozess vom heissen Ende – der grossen Schmelz­wanne, wo das Glas verflüssigt wird – bis ans kalte Ende, wo die Flasche auf die Palette kommt. Am Anfang steuern die Systeme Temperatur, Gas, Heizleistung et cetera. Dann folgt das Formen des Glases, wo erneut viele Daten anfallen. Bei der anschliessenden Qualitätskontrolle haben wir Hochgeschwindigkeitskameras und Anwendungen für die visuelle Kontrolle im Einsatz. Und zum Schluss folgt das Stapeln auf die Paletten, das Verpacken der Palette mit Folie und das Labeling mit Robotern und den entsprechenden Anwendungen. Je nach Werk gibt es dann noch Lagerroboter, die dann gar vollautomatisiert die Fahraufträge erledigen. Ich sage gerne etwas vereinfachend: Überall, wo ein Stecker dran ist, ist IT drin.


Sie haben vorhin schon den 24-7-Betrieb erwähnt. Wie viele Flaschen laufen denn bei Vetropack vom Stapel?
Das sind rund 5 Milliarden Stück sogenannte Glascontainer pro Jahr. Dazu gehören übrigens nicht nur Flaschen – wir produzieren unterschiedlichste Glascontainer in vielen Formen und Farben. Das umfasst beispielsweise auch Joghurt- und Marmeladengläser oder Salzstreuer.
Das Feld ist breiter, als man im ersten Moment wahrnimmt.
Die Entscheidung, zu Vetropack zu kommen, war unter anderem genau dadurch getrieben, dass ich das für eine sehr spannende und unterschätzte Industrie halte. Jeder nutzt diese Produkte fast täglich, aber man denkt eben eher über den Inhalt nach, statt über die Verpackung. Und das, obwohl sie so viel ausmacht: Viele Menschen, auch ich, kaufen beispielsweise Wein beeinflusst durch die Flaschenform und das Etikett. Gleichzeitig ist die Industrie aber traditionell geprägt. Und die Investmentzyklen sind lang – eine Schmelzwanne beispielsweise hält 10 bis 12 Jahre oder länger.

Was heisst das für Sie in der IT?
Das ist gerade die Ambivalenz: Die IT tickt schnell, in der Industrie werden Investitionen aber langfristig geplant. Diese beiden Dinge zusammenzubringen, ist sehr spannend. Dabei braucht es auch ein Umdenken in den Finanzierungsprozessen, weil man sich im IT-Bereich mit dem Shift in die Cloud eher vom CapEx- in den OpEx-Bereich bewegt.


…das kann zur Herausforderung werden. Wie weit ist Vetropack in diesem Umdenken?
Dass das Unternehmen hier schon recht weit ist, war ebenfalls ein Treiber für mich, den Job anzutreten. Vetropack hat bereits 2019 die Migration auf SAP S/4HANA abgeschlossen.

Das ist in der Tat recht früh.
Allerdings, selbst wenn ich heute noch mit anderen Unternehmen Gespräche führe, ist die SAP-Migration da noch auf der Roadmap. Im Bereich ERP hat man also schon weit vorausgedacht, während im Bereich Automation ebenfalls bereits viel mit den Partnern aus dem Maschinenbau umgesetzt wurde. Da konnte ich bei meinem Antritt also schon viel Fortschritt übernehmen. Nun gilt es, einen Schritt weiterzugehen.

Und wie sieht der aus?
Nun wollen wir unsere meist lokal automatisierten Produktionslinien vernetzen, deren Daten entlang der Wertschöpfungskette maschinell nutzbar machen, um sie dann im Kontext anderer Datenquellen zu verwenden.
Aktuell sammeln Sie also bloss Daten, nutzen diese aber nicht, oder noch nicht, gewinnbringend im Produktionsprozess?
Wir nutzen die Daten bereits, sind jedoch je nach Werk verschieden weit, teils sammeln wir auch noch gar keine Daten oder werten diese manuell aus. Nun folgen drei Schritte: Erstens sollen Prozesse digital abgebildet werden können, dass man also etwa Papierformulare mit der Eingabe am PC oder Tablet ersetzt und Daten mit Sensoren sammelt – die sogenannte Digitization. Schritt zwei ist die effiziente Abbildung und Automatisierung der End-to-End-Prozesse, also etwa Dashboards für die Produktion und die Interaktion der Produktion mit dem ERP oder Sales-Daten, also die Digitalisation. Schritt drei ist schliesslich die Digitale Transformation – wo wir über mögliche erweiterte Geschäftsmodelle auf Grundlage von Daten nachdenken.

Ist das derzeit Ihr grosses, allumfassendes Projekt, an dem Sie arbeiten?
Es ist eines von aktuell drei grossen Themen. Neben dem gerade genannten ist das Zweite die grundsätzliche Transformation der IT- und OT-Organisationen. Die definierte Vision ist es, dass wir so arbeiten wollen, wie ein externer Service Provider: Zuverlässig, kosteneffizient, lösungsorientiert und integriert in die Business Functions des Unternehmens. Ich stelle mir das gerne als Yin und Yang vor – eine Balance zwischen Business und IT.


Können Sie das ausführen?
Es wird viel über «die Digitalisierung» gesprochen, ohne eigentlich genau zu wissen, wer diese überhaupt treibt. Aus meiner Sicht ist die IT der Katalysator der digitalen Transformation – mit passenden Services und vorausschauenden Technologieentscheidungen. Und darin liegt die Balance: Die Geschäftsbereiche formen die IT, die ihrerseits die Geschäftsbereiche voranbringt und modernisiert – das ist die Symbiose.
Was ist das dritte grosse Projekt?
Das dreht sich um die Nutzung von Daten und KI im Unternehmen allgemein. Hierfür gab es in der Vergangenheit keinen systematischen Ansatz. Daher schaffe ich gerade eine neue Funktion namens Data Analytics & AI im Unternehmen, die sich um Data Governance sowie die technischen Aspekte dieses Themas kümmert und direkt an mich berichtet. Vereinfacht gesprochen, beschäftigen wir uns mit der Frage, wie Vetropack die Smart Factory respektive Digital Factory definiert.

Es scheint, als ob sich bei Vetropack schon einiges getan hat in diese ­Richtung. Welche Fragen beschäftigen Sie aktuell auf dem Weg zur Smart Factory?
Wir stellen uns die Frage, wie reif wir sein wollen beziehungsweise auch können und wo ein Versuch der Digitalisierung an die physischen Grenzen der Verfahrenstechnik stösst. Es gibt beispielsweise Abschnitte im Prozess, wo wir aufgrund der sehr hohen Temperaturen von über 1600 Grad Celsius nur unzureichend Daten akquirieren können oder der Prozess weniger planbar ist als andere. Ein Block Stahl ist eigentlich – und an dieser Stelle mögen mir die Fachexperten meine Vereinfachung bitte verzeihen – immer genau gleich. Bei Glas ist das aber anders.


Physikalische Grenzen der Verfahrenstechnik? Können Sie das greifbar machen?
Vielleicht ist es besser, von den Grenzen der Digitalisierung zu sprechen. Der Werkstoff Glas verändert sich im Produktionsprozess sehr stark, etwa bezüglich Viskosität in Abhängigkeit von der Temperatur. Da kann ein Luftzug durch die Halle schon einen Unterschied machen. Ich stelle mir derweil die Frage, wie wir solche Prozesse mit digitalen Technologien unterstützen und effizienter machen können – und wie dies mit dem erwarteten Nutzen korreliert.

Das klingt zumindest so, als ob für diese ganzen Projekte spezielle Lösungen spezifisch für Vetropack entwickelt werden müssen und nicht alles ab Stange passt.
Wir haben eine drei Personen starke Innovationsabteilung in Österreich, die sich unter anderem mit genau diesen Fragestellungen beschäftigt. Da wir keine eigene Entwicklungsabteilung haben, setzen wir bei der Entwicklung solcher Lösungen dann auf Partner aus unserem strategischen Netzwerk. Damit diese speziellen Lösungen auch betrieben werden können, müssen sie zu unserer Plattform-Strategie passen.
Wie gross ist Ihr eigenes Team und Ihre Infrastruktur und wie teilt sich das in etwa zwischen IT und OT auf?
(lacht) Der Grund, warum ich lache: Ich kann Ihnen das nicht mal genau sagen, weil wir mitten in der Transformation stecken. In der klassischen IT-Organisation sind es etwa 50 Leute, die sich um rund 2000 PC-Clients, sowie mehr als 350 Applikationen im Unternehmen kümmern sowie die On-Prem-Infrastruktur an den Produktionsstandorten und die Cloud-Infrastruktur betreuen. Dazu kommen recht viele externe Partner.

Und in der OT?
Beim Thema OT ist es viel schwieriger zu sagen, weil es viele Kolleginnen und Kollegen gibt, die sich an den Standorten in diese Themen eingearbeitet haben. Wir analysieren gerade, wer von ihnen künftig Teil der OT-Organisation werden könnte und wie wir die Kolleginnen und Kollegen weiterbilden werden. Das ist ein sehr spannendes Thema, da gerade die Schnittstellen zu den Kollegen der Technik im Ressort des CTO dadurch noch klarer herausgearbeitet und gestärkt werden sollen. Wichtig bei diesen Themen ist: Die Leute kommen aus den eigenen Reihen, denn es braucht deren Fachwissen.


Sie suchen sich also digitalaffine Leute aus der Produktion und bilden diese zu OT- und Applikationsexperten aus, die dann die Schnittstelle zur IT bilden?
Exakt.
Damit erwischen Sie gleich zwei Fliegen auf einmal – zum einen bekommen Sie einen OT-Experten mit jahrelangem Fachwissen, zum anderen ist die Rekrutierung aus den eigenen Reihen mit Rücksicht auf den Fachkräftemangel wohl ein schlauer Schachzug.
Technologie kann man sich meiner Meinung nach recht einfach aneignen und trainieren. Zwei Dinge kann man sich aber nicht antrainieren: Erfahrung und Mindset. Ich suche im Prinzip nach Menschen, die fast schon physischen Schmerz und Emotionen verspüren, wenn etwas ineffizient ist oder das sinnvolle Automatisierungspotenzial nicht voll ausgeschöpft wird. Wenn wir diese Leute identifizieren können, haben wir unser erwähntes Yin & Yang zwischen Prozessexpertise und Technologie im Einklang.

Sie haben heute also 50 Mitarbeiter in der IT. Wenn Sie schätzen müssten – wie viele sollen das künftig sein?
Ich würde mit Berücksichtigung auf den Forecast sagen, dass wir in fünf Jahren im IT-/OT-Bereich bei etwa 100 Leuten sein werden. Spannender als die Frage, wie viele Leute in diesem Bereich sein werden, ist für mich aber, wie viele Leute aus anderen Abteilungen zu digitalen Pacemakern werden können. Ein Beispiel: Für eine einfache Sharepoint-Seite braucht es heutzutage keine IT mehr. Stattdessen kann dies der Anwender mit den Microsoft M365 Applikationen selbst tun – inklusive Berechtigungsmanagement – das wurde also einfach ins Business verlagert. Diese Vereinfachung ist auch auf andere Bereiche anwendbar. Es ist wichtig, sich von der harten Grenze zwischen Business und IT zu lösen und sich wieder zu fragen: wie können wir als Katalysator unsere internen und externen Kunden befähigen, sich selbst zu helfen? Wenn Sie mich fragen, wie viele solche Leute wir in zehn Jahren haben, die das Thema digitale Geschäftsprozesse bearbeiten und leben, bin ich überfragt. Ich hoffe aber, dass das dann vielleicht 500 sind.


Vielleicht ist die Antwort dann auch tatsächlich: «Alle».
Bestenfalls, ja. Dabei geht es auch um die Entmystifizierung der IT: Wir wollen davon wegkommen, die Götter mit Einsen und Nullen zu sein. Wir in der IT müssen natürlich verstehen, was das Business braucht. Gleichzeitig möchten wir aber auch, dass das Business weiss, was wir tun. Gemeinsam ist man schliesslich stärker.

Wenn Sie unter Berücksichtigung der ganzen Zukunftsthemen nun nach vorne blicken – worauf freuen Sie sich persönlich am meisten?
Ich freue mich am meisten darauf zu sehen, wie mein Team und alle anderen Teams weiterentwickeln und zusammenwachsen. Und darauf, dass wir in fünf Jahren auf das geleistete stolz zurückblicken können und es kaum glauben werden, wie wir damals gearbeitet haben. Das ist in meiner Erfahrung das Schönste – denn das heisst Strategie nicht nur entwickeln und umzusetzen, sondern auch erlebbar zu machen. (win)
Zum Unternehmen
Die Vetropack-Gruppe mit Hauptsitz in Bülach ist ein Hersteller von Glasverpackungen für die Lebensmittel- und Getränke-Industrie mit rund 3800 Mitarbeitenden und einem Nettoerlös von 898,8 Millionen Franken im Jahr 2023. Das Unternehmen verfügt über Produktionswerke sowie Verkaufs- und Vertriebsbüros in der Schweiz, Österreich, Tschechien, Kroatien, Slowakei, Ukraine, Italien, Republik Moldau und in Rumänien.


Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Vor wem mussten die sieben Geisslein aufpassen?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER