Start-up Well Gesundheit: Eine heilende App
Quelle: Well

Start-up Well Gesundheit: Eine heilende App

Die Schweiz verfügt über eines der besten Gesundheitssysteme, welches in Sachen Digitalisierung jedoch noch grosse Lücken aufweist. Well Gesundheit möchte diese Lücken schliessen und bietet mit der Well-App eine All-in-One-Lösung für Gesundheitsdienstleistungen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2022/07

     

Die Schweiz verfügt bekanntlich über eines der besten Gesundheitssysteme weltweit. Ein dichtes Netz an Leistungserbringern, vergleichsmässig schneller Zugang zu qualitativ hochwertigen Behandlungen und eine obligato­rische Privatversicherungspflicht zeichnen das Schweizer Gesundheitswesen aus. Aus diesen Gründen qualifiziert sich die Schweiz bei unterschiedlichen, unabhängigen Studien, die weltweit verschiedene Gesundheitssysteme unter die Lupe nehmen und vergleichen, regelmässig für die Top drei. In einem Punkt hinkt die Schweiz aber hinterher: der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Spitäler und Arztpraxen setzen für Begutachtungen und Patientendossiers weiterhin auf Flutwellen von Papierakten. Auch die Einführung des elektronischen Patientendossiers (EPD) änderte daran nur wenig – die Implementation scheiterte grösstenteils. So gestaltet sich der Überblick über die Gesundheitsdaten für Ärzte und Patienten unübersichtlich, kompliziert und ermüdend. Dies möchte das Start-up Well Gesundheit ändern. Mit der Well-App bietet das Unternehmen eine All-in-One-Lösung für Gesundheitsdienstleistungen: «Wir haben ein Gesamtpaket kreiert, das es so noch nie gab, und bauen das Angebot für unsere Nutzerinnen und Nutzer stetig aus», wie Alexander Bojer, CEO von Well, das Projekt beschreibt.

Mehr als nur ein Symptom-Checker

Die App setzt sich zum Ziel, die Nutzer während des gesamten Behandlungspfads zu begleiten. Die Reise beginnt beim Symptom-Checker, der Beschwerden prüft und gleich einen Ratschlag bezüglich des weiteren Vorgehens liefert. So schlägt er geeignete Hausmittel und Medikamente vor oder rät zu einer Konsultation mit einer Fachperson. Diese muss nicht mehr zwingend in einer Arztpraxis geschehen. Die App bietet Kommunikationsmöglichkeiten via Telemedizin oder per Doktor-Chat, wo mit ausgewiesenem Fachpersonal digital kommuniziert werden kann. Wer eine klassische Behandlung vor Ort bevorzugt oder gar benötigt, kann diesen Termin selbstverständlich auch in der Well-App koordinieren. Weiterhin möchte Well auch den digitalen Austausch von Gesundheitsdaten ermöglichen. So sollen Patientendossiers oder Rezepte per App kommuniziert werden – auch Medikamente lassen sich per App bestellen. Dabei soll der Nutzer stets Herr seiner Daten bleiben. Er allein bestimmt, wer Zugriff auf welche Daten erhält. Dies alles ist dem Credo unterstellt: selbstbestimmt, sicher und digital.

Datensicherheit an erster Stelle

Gesundheitsdaten können sehr privat und intim sein. Für Alexander Bojer steht die Datensicherheit deshalb an vorderster Front: «Ich glaube, dass die Datensicherheit im digitalen Gesundheitswesen eine zwingende Grundvoraussetzung ist und Daten-Leaks für unser Unternehmen schwerwiegende Folgen hätten. Deshalb haben wir die Standhaftigkeit unserer Cybersicherheit vor dem nationalen Rollout durch mehrere Penetrations-Tests überprüfen lassen.» Für einen dieser Tests hat Well eine White-Hat­-Hackergruppe des Chaos Computer Clubs angeheuert. Die Hackergruppe fand laut Alexander Bojer keine grösseren Sicherheitslücken, was glücklich stimmte, denn «für mich hätten Mängel in der Datensicherheit einen nationalen Rollout verhindert.»


Alle individuellen Gesundheitsdaten seien verschlüsselt und auf Schweizer Servern gespeichert. «Über Green.ch haben wir Zugang auf die Google Healthcare API. Diese Cloud-Lösung verfügt bereits über FHIR-Schnittstellen, die den digitalen Austausch von strukturierten Gesundheitsdaten ermöglichen.» Die Cloud Healthcare API basiert dabei auf den Datenschutz- und Sicherheitsfeatures von Google Cloud. Allerdings ist der Zugang zu strukturierten Daten derzeit noch von geringem Nutzen, da die allgemeine Digitalisierung des Schweizer Gesundheitswesens noch Aufholbedarf hat. «Wir nutzen die FHIR-Schnittstellen noch nicht in ihrem vollen Potential und legen unsere Daten unstrukturiert ab, da wir im Moment nur unstrukturierte Daten erhalten. Arztpraxen verfügen noch nicht über genügend ausgereifte Informationssysteme.» Hier steht noch eine ganze Menge an Arbeit in Sachen Digitalisierung und Kooperation an, um das volle Potential des Projekts auszuschöpfen.

Von Partnerschaften und Kooperationen

Diese Kooperation lebt Well selbst vor: Das Start-up wurde als Joint Venture von den Versicherungen CSS und Visana, dem Telemedizin-Anbieter Medi24 und der Online-Apotheke Zur Rose im November 2020 ins Leben gerufen. Ziel der Partnerschaft war die Etablierung einer integrierten, digitalen Gesundheitslösung, die den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen vereinfacht und dabei eine effiziente, attraktive und kostengünstige Lösung bieten soll. Die Umsetzung einer integrierten Gesundheitslösung war zu Beginn nicht einfach, wie Alexander Bojer betont: «Die Gesundheitsbranche war mit Partnerschaften und Kooperationen wenig vertraut – Partikularinteressen hielten die Oberhand. Man war es sich nicht gewohnt, zusammenzuarbeiten. So war es zu Beginn schwierig, ein Netzwerk aus geeigneten Partnern zu finden. Besonders unter den eigentlichen Leistungserbringern herrschte vorerst Mistrauen und Unsicherheit bezüglich des Projekts.» Zwei wichtige Schritte brachten die Lösung: «Die Gründung von Well Gesundheit als eigenständige Firma mit hauseigenem Management und die erste Version der eigentlichen Well-App haben die Umsetzung des Projekts wesentlich vereinfacht.» Im Mai 2021 kam dann der erste «Friends and Family Release». Den Ärzten war der Nutzen der App für sie zu Beginn noch nicht direkt klar. Nach einem holprigen Start kam der Ball aber allmählich ins Rollen. «Die ersten Partnerschaften mit Ärztenetzwerken und der digitale Datenaustausch zogen immer mehr Partner an, so dass wir heute bereits 4000 Ärzte an Bord haben – Tendenz steigend.»

Nationaler Rollout

Die Beta-Testphase ist vorbei: Well verfügt bereits über eine fünfstellige Kundenanzahl, ein wachsendes Netzwerk an Partnerschaften mit Leistungserbringern und die erwünschten Sicherheitsstandards. Somit ist alles bereit für den nationalen Rollout der Vollversion. Bojer: «Im Mai kamen noch zwei neue Features auf die App; namentlich erleichterte Terminbuchung und beidseitiger Dokumentaustausch. Parallel fahren wir eine Marketing-Kampagne und die CSS sowie Visana aktivieren ihre Kundenbestände, um die App an ein breites Publikum zu bringen.» Der Erfolg der App ist nebst der Anzahl Nutzer jedoch auch auf ein weitreichendes Netzwerk und die allgemeine Digitalisierung des Gesundheitswesens angewiesen. «Um unsere bestehenden Angebote für ein breites Publikum anzubieten, bemühen wir uns stetig, unser Netzwerk an Partnerschaften weiter auszubauen. Wir zielen auf eine Partnerschaft mit rund 5000 Ärzten ab, so dass wir gegen 80 Prozent des Marktes abdecken können. Auch die Zusammenarbeit mit weiteren Apotheken und Laboren wird gefördert. Ausserdem möchten wir weitere Telemedizin-Anbieter an Bord holen», so der CEO. So erfolgt die Annäherung an eine integrierte Gesundheits­lösung. In Sachen Digitalisierung ist Well jedoch auf Schützenhilfe angewiesen. Der Austausch strukturierter Daten benötigt eben einheitliche Standards für das gesamte Netzwerk oder zumindest einen Grossteil davon.

Finanzielle Unabhängigkeit

Ein Start-up steht selten direkt auf eigenen Beinen, besonders nicht bei einer solch ehrgeizigen Zielsetzung. So ist auch Well Gesundheit auf Investoren ­angewiesen. Diese Rolle übernehmen die Gründungsorganisationen. Über den Traffic auf der Well-App möchte das ­Unternehmen bis 2024/25 ausreichend Umsatz generieren, um finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen. Bojer: «Über die Well-App bieten wir diversen Krankenversicherer die Möglichkeit, alternative Versicherungsmodelle zum Verkauf anzubieten. Weiterhin können gesundheitliche Selbstzahlerleistungen wie Check-ups oder Impfungen direkt über die App getätigt werden – ein Teil des Geldflusses spült dabei in Wells Tasche.» Die finanzielle Unabhängigkeit steht, wie der Erfolg der App, noch in den Sternen. Um einen erfolgreichen Kurs einzuschlagen, möchte Bojer an den bisherigen Errungenschaften festhalten, respektive diese weiter ausbauen. Es geht also weiter wie bisher – nur eben in einem grösseren Format. (rf)


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