CIO-Interview: 'Wir wollten das Konzert dirigieren'
Quelle: Valora

CIO-Interview: "Wir wollten das Konzert dirigieren"

Valora hat jüngst mit neuen Retail-Konzepten wie der Avec Box für Aufsehen gesorgt. CIO Roberto Fedele erklärt, warum das Konzept innovativ ist und wie Innovation bei Valora grundsätzlich vorangetrieben wird.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2019/06

     

"Swiss IT Magazine": Wird es den Job des Kioskverkäufers, der Kioskverkäuferin in fünf Jahren noch geben?
Roberto Fedele: Ja, aber über das Jobprofil wird man sicherlich nachdenken müssen. Erste Veränderungen sind bereits heute sichtbar, die Abwicklung der Transaktion bei der Kundeninteraktion wird weniger im Vordergrund stehen, dafür wird die beratende Komponente wichtiger und könnte mit dem Ausbau unseres Service-Geschäfts weiter an Bedeutung gewinnen. Es ist zudem gut möglich, dass es neue Arbeiten geben wird, die heute noch gar nicht absehbar sind, weil über weitere Kanäle verkauft wird und sich Prozesse ändern. Sicher ist aber, dass sich auch in Zukunft jemand um die Verkaufsfläche, die Regale und um die Logistik kümmern muss.

Ich kann mir allerdings vorstellen, dass Ihr Verkaufspersonal die Digitalisierungsprojekte von Valora mit Argwohn beobachtet.
Sicherlich gibt es Stimmen, die der laufenden Entwicklung kritisch gegenüberstehen und bei denen die Digitalisierung des Verkaufsprozesses Unsicherheit auslöst. Wir hören diese Stimmen und versuchen stets aufzuzeigen, weshalb wir diesen digitalen Weg im Sinne der Kunden gehen müssen und dass die Veränderungen nicht im Verzicht von Personal resultieren, sondern vor allem wie eingangs erwähnt in sich verändernden Job­profilen.
Wie stark treiben Sie als IT-Leiter die laufenden Digitalisierungsprojekte wie die kassenlosen Avec Box oder den Future Store Avec X?
Es steckt sicherlich viel Passion, viel Herzblut und viel Arbeit in diesen Projekten, die doch recht deutlich aufzeigen, was wir in der IT mit unserer Techno­logiekompetenz zum Unternehmen beitragen – nicht zuletzt deshalb, weil ein relativ grosser Anteil an diesen neuen Retail-Formaten selbst entwickelt wurde. Ich persönlich bin allerdings nur ein Puzzlestein von vielen. Hinter der Umsetzung steht ein ganzes Team von Spezialisten. Wir identifizieren uns voll mit diesen Projekten.


Amazon hat mit seinen Go-Läden Anfang 2018 erstmals ein vergleichbares Konzept gezeigt. Inwieweit war Amazon Vorbild für Valora, und wie innovativ im internationalen Vergleich sind die Avec Box und Avec X?
Mit der Avec Box wollen wir in erster Linie ein besonderes Kundenerlebnis kreieren und etablieren. Das Konzept ist für die Schweiz insofern neu, als dass wir eine ganzheitliche Digitalisierung umgesetzt haben, die sich in durchgängigen Prozessen und im Kundenerlebnis entlang der Customer Journey äussert. Das beginnt beim Zugang zum Store, beim Umgang mit der App im Store, in welchem nicht durchgehend Personal anwesend ist, oder bei der Verkaufstransaktion in einem Laden ohne Kassen. Aus technologischer Sicht haben wir die Welt nicht neu erfunden. Für sich allein betrachtet findet man die eingesetzten Technologien schon verschiedentlich. Self Scanning ist nicht neu, genauso wenig wie Apps und digitales Payment neu sind. Die Kombination von bewährten Technologien aber macht den Unterschied und schafft ein auf Flexibilität und Autonomie ausgelegtes Kundenerlebnis. Das angesprochene Amazon-Go-Konzept arbeitet mit ausgereifter Kamera- und Sensortechnologie sowie viel künstlicher Intelligenz. Dies nutzen wir bislang noch nicht, das wird dann der nächste Schritt in der Evolution sein.
Wo lagen denn bislang die grossen technologischen Herausforderungen rund um die Avec Box?
Die Herausforderung aus Technologiesicht lag in erster Linie bei der Integration der verschiedenen Anwendungsmodule, wie wir sie nennen. Der Eintrittsprozess in den Store beispielsweise ist ein Modul, es gibt ein Kaffee-, ein Tabak-, ein Salatroboter-, ein Bezahl-Modul und vieles mehr. All diese Elemente müssen vernetzt sein. Dazu müssen die verschiedenen Systeme, Installationen und Apparate miteinander kommunizieren, nahtlos und ohne Unterbruch, was ziemlich anspruchsvoll ist. Vieles mussten wir zuerst bauen respektive mit Partnern mitentwickeln. Entsprechend ist unser Eigenanteil in den einzelnen Lösungen ziemlich hoch, womit wir bei Valora auch digitale Kompetenz aufbauen konnten.


Sie haben den grossen Anteil von Eigenentwicklung verschiedentlich angesprochen. Warum haben Sie sich entschieden, die nötigen Technologien selbst zu bauen und nicht durch Partner entwickeln zu lassen?
Wenn ich von einem hohen Anteil an Eigenentwicklung spreche, bedeutet das nicht, dass wir auf Partner verzichtet hätten – im Gegenteil: Wir haben bei vielen Themen mit Partnern zusammengearbeitet. SAP zum Beispiel hat uns bei der Integration zahlreicher Prozesse in unsere SAP-Systeme geholfen. Auch in der App-Entwicklung haben wir mit externen Spezialisten zusammengearbeitet. Mit Selecta und dem Kaffeemaschinen-Hersteller Rex Royal haben wir beispielsweise das Kaffee-Modul von Grund auf in einem Co-Creation-Setup mitentwickelt, und so gab es zahlreiche weitere externe Partner, die bei der Umsetzung unserer neuen Retail-Konzepte mitgearbeitet haben. Was wir allerdings nicht wollten, ist, dass ein externer Partner das ganze Projekt übernimmt. Wir wollten im Fahrersitz sein und das Konzert dirigieren, so dass alles zusammenspielt und eine harmonische Geschichte entsteht. Und wir wollten dort auf Eigenentwicklungen setzen, wo wir uns im Mehrwert zum Kunden oder im potentiellen Angebot unserer Mitbewerber differenzieren wollen, während wir für bewährte, standardisierte Modelle und Systeme eher auf externe Anbieter gesetzt haben.
Wir treffen uns hier in Zürich, an einem Standort des Valora Lab. Können Sie das Konzept hinter diesem Innovationslabor erläutern?
Innovation ist meist etwas, das aus dem Prozess entsteht. Ideen entstehen aus Gesprächen, aus der interdisziplinären Vernetzung, was für Valora ein impliziter Teil des Innovationsprozesses ist. Wir haben nun diesen Prozess etwas expliziter gemacht, in dem wir Gremien institutionalisiert haben, deren Kernauftrag Innovation lautet. Im Valora Lab also sollen die guten Ideen aufgenommen und in einem definierten Innovationsprozess vorangetrieben werden. Heute besteht das Lab aus einer Aussenstelle in San Francisco in Kalifornien, wo Scouting betrieben, Inspiration geholt und digitale Lösungen entwickelt werden. Zusätzlich arbeiten Spezialisten am Hauptsitz in Muttenz sowie in Zürich als Teil des Labs an Innovationen.


Was sind das typischerweise für Mitarbeiter, die für das Innovation Lab tätig sind?
Typische Mitarbeiter gibt es nicht, die Profile sind sehr breit gestreut. Wir beschäftigen Molekularbiologen, Mathematiker oder Leute, die viel vom Retail-Geschäft verstehen. Ein gemeinsamer Nenner der Profile sind Technologieaffinität und Projektkompetenz. Die Zusammenarbeit dieser verschiedenen Profile im Laborumfeld ist enorm spannend, weil sich die verschiedenen Spezialisten mit ihren unterschiedlichen Blickwinkeln immer wieder herausfordern. Das erst bringt die Prozesse entscheidend weiter.
Hilft die Tatsache, dass Valora als Innovationstreiber unterwegs ist, dabei, Spezialisten zu finden?
Innovation kann nicht das einzige Argument sein, für Valora tätig sein zu wollen, aber es hilft ganz bestimmt. Ganz grundsätzlich glaube ich, dass Absolventen einer technischen Hochschule ihre Passion für Technologie beruflich auch in einem praktischen Umfeld umsetzen wollen. Als digitaler Retailer, der diesen Absolventen Raum zur Gestaltung gibt und der die Möglichkeit bietet, mit neuen Technologien an kundennahen Innovationen arbeiten zu können, sind wir ein attraktiver Arbeitgeber. Wir sind schlank aufgestellt und agil, unterhalten einen sehr breiten Technologie-Stack und bieten viel Raum für persönliche Entfaltung. Das alles tragen wir im Rekrutierungsprozess auch nach aussen, und die Argumente scheinen zu fruchten. Wir haben das Privileg, dass wir die Talente, die wir suchen, auch finden.


Können Sie etwas zu den Projekten verraten, an denen das Innovation Lab aktuell arbeitet?
Das im April lancierte Convenience-Format Avec Box und der Future Store Avec X sind ein erster gut sichtbarer Fussabdruck, doch die Entwicklung wird weitergehen und die Lernkurve geht noch steil nach oben. Denn Anpassungsbedarf gibt es auf jeden Fall. In die laufende Optimierung dieser neuen, digitalen Modelle fliessen aktuell und in absehbarer Zukunft viele Ressourcen – die App muss weiterentwickelt werden, wir wollen zum Beispiel neue Zahlungsmittel integrieren, und wir wollen Computer-Vision-Technologien in den Avec X bringen und NFC-Technik in den Regalen einbauen. All das kaufen wir nicht ein, sondern bauen wir auf unserer Plattform mit unseren Partnern auf, was eine grosse Aufgabe ist. Und nicht zuletzt beschäftigen wir uns auch mit Digitalisierungsprojekten, die nach innen gerichtet sind und die das Ziel haben, unsere eigenen Prozesse zu optimieren.
Ich möchte noch ein wenig über ihre IT-Infrastruktur abseits von Innovation und Digitalisierung sprechen. Wie ist Ihre IT ganz grundsätzlich aufgebaut und welche sind ihre Besonderheiten?
Die Basis unserer IT im klassischen Sinn besteht aus einer Plattform, die sowohl die Infrastruktur als auch die Kernapplikationen auf Konzernebene konsolidiert. Die IT-Plattform versuchen wir weitgehend standardisiert zu gestalten. Die Idee ist, dass aus dem ganzen Unternehmen auf diese Plattform angedockt werden kann, um sämtliche Vorteile der leistungsfähigen Infrastruktur und Applikationen nutzen zu können. Im Retail-­Geschäft in der Schweiz wird diese Plattform schon durchgängig genutzt, Länder wie Deutschland werden aktuell integriert, und über die kommenden Jahre streben wir eine Vollintegration aller Länder und der verschiedenen Konzernbereiche an.

Betreiben sie diese Plattform selbst?
Nein, wir haben Partner, die uns unterstützen. Infrastruktur-seitig setzen wir sogar weitgehend auf Outsourcing und wollen das auch so beibehalten. Wir wollen keine Maschinen in eigenen Datacentern mehr unterhalten, sondern setzen auf bewährte Infrastruktur-Services aus der Cloud. Erwähnenswert ist hier beispielsweise Vapos, eine Cloud-basierte Anwendung, über die wir unsere Points of Sale (POS) vernetzen und zahlreiche vertriebs­orientierte Prozesse abwickeln. Vapos nutzt die Infrastruktur der Google Cloud, während wir die Applikation selbst entwickelt haben.
Und wo liegt ganz grundsätzlich die grosse Herausforderung für ihre IT?
Sicherlich in der hohen Dezentralität. Wir unterhalten gut 2800 Läden und sind in mehreren Ländern tätig. In diesem Umfeld ein hochverfügbares, performantes IT-Setup anzubieten, welches das Business optimal unterstützt und das mit dem raschen Tempo im Retail mitgehen kann, ist ohne Zweifel eine Herausforderung, der wir allerdings gerecht werden wollen.


Wir haben bislang vor allem über Innovationsprojekte gesprochen. Mit welchen traditionellen IT-Projekten beschäftigen Sie sich aktuell?
Wir wollen in erster Linie den Plattformgedanken weiter vorantreiben. Sprich wir wollen die verschiedenen Geschäftseinheiten weiter auf unserer Plattform integrieren. Das sind dann quasi unsere grossen Roll-out-Projekte, die viele Ressourcen erfordern. Daneben gibt es weitere Projekte, die etwas spezifischer sind. Unter anderem wollen wir verschiedene interne Prozesse automatisieren und digitalisieren. Und am POS wollen wir die systematische Vernetzung der Filialprozesse mit den zentralisierten Shared Services über Vapos weiter vorantreiben.
Gibt es einen bestimmten Grund, wieso sie sich rund um Vapos 2017 für die Google Cloud Platform entschieden haben, und was bedeutet für sie der Start der Google Cloud Platform (GCP) Region Zurich?
Dem Entscheid für Google ist eine Evaluation vorausgegangen, in deren Rahmen sich gezeigt hat, dass Google der passendste Partner ist, da der Konzern mit der Kombination der Cloud Platform und darauf aufbauend der Applikations-­Suiten, von denen wir für Vapos einige mitverwenden, sowie der Entwicklungsumgebung Firebase ein spannendes und intelligentes Modell verfolgt. Das Ganze kommt aus einem Guss, aus einer Hand, und das hat uns überzeugt. Es ist allerdings nicht so, dass wir bezüglich Cloud ausschliesslich auf Google setzen. Wir haben auch Office 365 im Einsatz, setzen also auch auf Microsofts Cloud und auf Azure, dort, wo es Sinn macht. Zur zweiten Frage bezüglich GCP Region Zurich: Wir haben das mit Interesse verfolgt und werden über kurz oder lang allenfalls auch prüfen, ob die lokale Google Cloud für uns spannend sein könnte. Allerdings ist für uns der Cloud-Standort Schweiz als international tätiges Unternehmen weniger entscheidend, als er dies vielleicht für eine Bank oder eine Versicherung ist.

Betreuen Sie Ihre Standorte im Ausland eigentlich von der Schweiz aus oder haben Sie Teams in mehreren Ländern?
Wir unterhalten eine weitgehend zentrale Organisation in Muttenz in der Schweiz, die auch für unsere ausländischen Einheiten tätig ist. Daneben beschäftigen wir Teams in Zürich und Emmenbrücke sowie in Hamburg, Mainz und in Luxemburg. Alles in allem arbeiten etwas mehr als 100 Mitarbeiter in der Valora-IT.
Und wie sind diese Mitarbeiter in Teams aufgeteilt?
Wir sind als Service-orientierte IT-Organisation aufgestellt. Grundsätzlich gibt es vier Service-Bereiche innerhalb der IT. Ein Bereich kümmert sich um das Thema zentrale Applikationen, wobei hier SAP einen grossen Teil ausmacht. Ein zweiter Bereich kümmert sich im Wesentlichen um das dezentrale Geschäft – sprich die POS-Lösungen– sowie das konzernweite Client Management. Diese beiden Bereiche binden in etwa gleich viele Ressourcen. Etwas kleiner ist der Bereich der zentralen IT Support Services einschliesslich Security Management. Der vierte Bereich umfasst das Demand- und Projekt-Management, wo die Anforderungen aus dem Business in IT-Projekte übersetzt werden.

Und Sie sind als CIO Teil der Geschäftsleitung?
Der erweiterten Konzernleitung, ja. Das ist durchaus auch sinnvoll, da die IT als Treiber von Themen und als Partner im Unternehmen auch eine Mitsprache haben soll. Gleichzeitig soll sie sich auch einbringen, weshalb dieser Dia­log auf GL-Ebene wichtig ist.

Roberto Fedele

Roberto Fedele ist nach einer kaufmännischen Grundaus­bildung über den zweiten Bildungsweg in die IT gekommen. Seine Karriere startete der 46-Jährige auf der Bank, bevor er nach dem Bachelor in Betriebsökonomie in die Beratung wechselte, wo er intensiver mit der IT-Thematik in Berührung kam. Später folgten ein Nachdiplomstudium in Wirtschaftsinformatik und ein Masterstudium. Nach über 10 Jahren Beratertätigkeit wechselte er 2009 in die Linie als CIO der SV Group. 2014 folgte dann der Wechsel als CIO zur Valora Gruppe.


Zum Unternehmen

Valora ist eine international tätige Schweizer Handelskette mit rund 15’000 Mitarbeitern und rund 2800 Verkaufsstellen. Hierzulande ist das Unternehmen vor allem für die Avec-Shops und die Formate K Kiosk, Press & Books, Brezelkönig sowie Caffè Spettacolo bekannt. Jüngst eröffnete Valora in Zürich die kassenlosen Läden Avec Box und Avec X, die ein digitales Einkaufserlebnis bieten sollen. (mw)


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