Editorial

Windows XP: Hinter dem Mond wenig Neues

Sie kennen sowohl Windows 2000 als auch Windows Me? Sehr gut. Dann kennen Sie auch Windows XP.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/14

     

Sie kennen bestimmt Windows 2000, Microsofts Betriebssystem für professionelle Anwender, das uns seit Frühling 2000 mit höchstmöglicher Stabilität, Zuverlässigkeit und Skalierbarkeit begeistert. Aber kennen Sie auch Windows Me? Das Consumer-Betriebssystem auf Windows-9x-Basis brachte im letzten Herbst neue Multimedia-Features unters Volk, dazu einige Sicherheitsfunktionen und - wie böse Zungen behaupten - nicht zuletzt auch eine Menge neuer Bugs (Me steht in dieser Auslegung für More Errors).



Sie kennen sowohl Windows 2000 als auch Windows Me? Sehr gut. Dann kennen Sie auch Windows XP. Das, was Microsofts Chef-Softwarearchitekt Bill Gates als das grösste und wichtigste Update seit Windows 95 bezeichnet, ist nämlich in Tat und Wahrheit nichts anderes als eine Kombination der beiden Vorgänger - ohne grosse Erweiterungen und fein säuberlich in eine brandneue Oberfläche namens "Luna" verpackt.




Natürlich hat Gates Recht, wenn er Windows XP mit Windows 95 vergleicht. Schon damals hat Microsoft eine neue Oberfläche mit altbekannter Technik dahinter (nämlich DOS) mit Erfolg als revolutionär verkauft.



Die neue Oberfläche ist denn auch wirklich revolutionär. Doch sie dient fast nur dem Einsteiger in die Windows-Welt. Noch nie zuvor hatte dieser ein derart komfortables GUI vor sich. In keinem bisherigen Windows konnte ein unbedarfter Anwender so schnell auch komplexe Aufgaben ausführen.



Der gestandene Windows-User allerdings fühlt sich wie hinter dem Mond. Die mühsam erarbeitete Kenntnis über die Manipulation der Systemeinstellungen führt oft ins Leere. Hinter den säuberlich abgerundeten Dialogboxen, den grellen Farben und den hübschen Animationen verbirgt sich nicht selten das Unerwartete. Hier ein Klick mehr, da ein Umweg - die Lernkurve für fortgeschrittene Anwender ist steiler als die Kurssprünge der Microsoft-Aktie.



Natürlich konnte (und wollte) Microsoft das Rad nicht neu erfinden. Das hätte ja auch wenig Sinn gemacht, schliesslich konnte man auf zwei bewährte Betriebssysteme zurückgreifen und das Beste daraus unter einen Hut bringen. Und dann hat Windows XP mitsamt der "Luna"-Oberfläche auch durchaus Vorzüge und hübsche Seiten, etwa die neue Multi-User-Funktion mit Schnellwechsel, die das Leben für diejenigen Benutzer deutlich erleichtert, die sich zusammen einen Computer teilen. Gefallen haben auch der neue Internet Explorer, diverse kleine Erweiterungen wie etwa im Taskmanager sowie die verstärkte Integration des Media Players ins Betriebssystem, der nun nicht mehr nur allerlei streamende Medien abspielt, sondern auch Audio-CDs rippt und brennt sowie DVDs zeigt. Tschüss WinOnCD! Tschüss Power DVD! Und: Hallo, Department of Justice!



Abgesehen von der neuen Oberfläche hält sich Microsofts Innovationskraft aber offenbar in Grenzen (das neue MacOS X hat ja auch nicht mehr allzu viele neue Features, die es sich zu kopieren lohnt). Das Ergebnis einen "Major Windows Release" zu nennen, wie es Bill Gates getan hat, ist dagegen schon fast frech. Mit "Major", grösser, ist dabei wohl vor allem der Aufwand an Marketing-Dollars gemeint, den Microsoft für das neue OS aufzuwenden gedenkt.



Ausserdem ist es fraglich, ob Windows XP wirklich den gewünschten Erfolg haben wird. Bei den Heimanwendern dürfte das kein Problem darstellen, die lecken sich schon lange die Finger nach einem Betriebssystem, das nicht mehr bei jeder sich bietenden Gelegenheit abstürzt. Und das obendrein alle multimedialen Goodies besitzt, die man sich derzeit nur wünschen kann.



Dasselbe Windows soll allerdings auch im Büro laufen. Und da ist es doch einigermassen unsicher, ob die Chef-Etage von den besagten Multimedia-Features so begeistert sein wird, dass sie das gesamte Unternehmen unverzüglich auf Windows XP aufdatieren will.




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