Editorial

Beamtenclichés sind wahr

Internet-Nutzung während der Arbeitszeit beweist das Vorurteil.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/08

     

Selten ernten Firmen viel Verständnis, wenn sie ihren Mitarbeitern das private Websurfen oder Mailen am Arbeitsplatz verbieten oder zumindest stark einschränken.



Viele Angestellte werten diese Massnahmen als massive Einschränkung oder erkennen darin sogar pure Schikane. Nicht ganz zu Unrecht finden sie insbesondere die Nutzung privater E-Mail als durchaus vertretbar, schliesslich darf man in den meisten Firmen ja auch in einem gewissen Masse privat telefonieren.




Das sehen die Unternehmen natürlich anders. Für sie ist das Internet nach wie vor primär ein Hort für Schweinkram, eine Brutstätte für Viren und anderes Gesindel, vor dem es insbesondere die Firma und natürlich ein wenig auch die Angestellten zu schützen gilt.


Schweiz europaweit führend

Nun ist allerdings die Schweiz laut den Pan European Internet Surveys 2002 europaweiter Spitzenreiter bei der Internetnutzung. Knapp 50 Prozent der Schweizer Bevölkerung im Alter über 15 Jahren nutzen demnach das Web und E-Mail, über die Hälfte davon täglich oder zumindest mehrmals wöchentlich. Und - was angesichts der Firmen-Policies nun wirklich wenig erstaunt - eine grosse Mehrheit surft vor allem über einen Heimanschluss.



Da stellt sich natürlich die Frage, was die Hälfte der Schweizer Bevölkerung zuhause im Internet so treibt. Aufschluss gibt hier die soeben veröffentlichte Studie "Internet Nutzung 2002", die von der Universität St. Gallen Ende letzten Jahres in 13 Schweizer Städten durchgeführt wurde. In erster Linie und mit deutlichem Abstand will der Schweizer Surfer demgemäss mit anderen kommunizieren, während das Bedürfnis auf Spass und Amüsement erst an zweiter Stelle folgt und den Wunsch nach Weiterbildung nur knapp übertrifft. Und Online-Shopping? Folgt auf Rang neun, unmittelbar hinter "Zeit totschlagen". Bedenken bezüglich Sicherheit und Datenschutz halten nach wie vor einen Grossteil der Schweizer Surfer vom Einkaufen im Netz ab.





511 Beamte überflüssig

Deutsche Beamte kennen diese Bedenken offenbar nicht: Wie eine kürzlich bei Spiegel Online vorveröffentlichte Studie des Landes Niedersachsen verrät, surfen die 20'000 Angestellten des deutschen Bundeslandes während ihrer Arbeitszeit mit Vorliebe im Internet. Nicht weniger als 44 Prozent der über 33 Millionen Webzugriffe während der zehntägigen Studiendauer hatten nichts mit der Arbeit dieser Beamten zu tun, sondern dienten dem Besuch von Online-Shops und Internetauktionen. Am zweithäufigsten waren Zugriffe auf Lifestyle-Seiten mit Ferienangeboten und Modetips, an dritter Stelle lagen - honi soit qui mal y pense - Websites mit erotischem Inhalt. Insgesamt widmeten die 20'000 niedersächsischen Beamten über 753'000 Arbeitsstunden ihrem privaten Vergnügen. Auf Personen umgerechnet ergibt das, dass die Ämter auf nicht weniger als 511 Bedienstete problemlos verzichten könnten.



Und was lernen wir daraus?




Erstens: Beamtenclichés entsprechen den Tatsachen.



Zweitens: Der Staat lernt nichts von der Wirtschaft.



Quod erat demonstrandum.



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