Editorial

Staatsschutz ist Datenschutz ist Staatsschutz


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/17

     

Daten sammeln macht süchtig, und einem Süchtigen soll man den Zugang zum Suchtmittel erschweren, auch wenn er einen mit allen Mitteln zum Gegenteil überreden will. Nun ist nicht jede Sucht ein Problem. Wenn ich meiner persönlichen Sammelwut nachgehe, ist das im Grossen und Ganzen meine Sache. Was aber, wenn öffentliche Institutionen und Unternehmen der Datensammelsucht verfallen?





Dafür haben wir weltweit den Datenschutz institutionalisiert, wie die internationale Konferenz in Montreux von vergangener Woche gezeigt hat. Bloss, was haben Datenschützer heute für Kompetenzen? Wenn es wirtschaftlich eng wird, kippen wir diesen «Luxus» schnell über Bord. Kürzlich so geschehen, als sich der Bundesrat für eine eindeutige, sektorübergreifende Personenidentifikationsnummer aussprach, trotz ursprünglicher Ablehnung. Der Datenschützer wird in einem solchen Fall schnell als übertrieben moralisierender Bremser hingestellt, und Datenschutz erscheint als Wohlstandsüberbleibsel, das man sich in Zeiten des globalen Wettbewerbs angeblich so wenig leisten kann wie ein gerechtes Sozialsystem.






Bisher mag der Datenschutz zu grossen Teilen wirklich eine eher theoretisch-philosophische Angelegenheit gewesen sein. Dies ändert sich jetzt aber dramatisch schnell. Nicht nur, weil die Informatik in Form von Sensoren, RFID-Chips und überall integrierten Kleinstcomputern unseren Alltag zu durchdringen und detailliert zu erfassen beginnt. Viel problematischer sind die Fortschritte bei der Datenauswertung. Konnte man bis vor kurzem noch süffisant über die – Skandal hin oder her – rekordverdächtigen Fichensammlungen des Schweizer Staatsschutzes schmunzeln, weil die Schnüffler sowieso nichts mit dem Informationsheuhaufen anfangen konnten, kommen in jüngster Zeit immer mehr Werkzeuge auf den Markt, die in der Lage sind, Struktur in die Unordnung zu bringen. Aber nicht nur die Werkzeuge werden besser, vor allem der Umgang mit ihnen ist optimiert worden. Man hat in Hunderten von gescheiterten Datawarehouse- und Knowledge-Management-Projekten gelernt, auch aus praktisch unendlich komplexen Datensammlungen durch strukturierte und gezielte Vorgehensweisen brauchbare Zusammenhänge zu extrahieren.





Damit wird der Datenschutz heute zum wirklichen Staatsschutz – zu einer zentralen Institution, die unsere verfassungsmässigen, persönlichen Freiheitsrechte der Sammelsucht von Institutionen und Unternehmen entzieht. Dafür benötigen die Datenschützer aber Kompetenzen. In einem Gesellschaftssystem mit Gewaltentrennung brauchen wir eine juristische Autorität, die Politik und Wirtschaft stoppt, wenn sie unsere Grundrechte dem freien Markt oder einem diffusen Sicherheitsbedürfnis opfern wollen.




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