Gesucht ist eine klare nationale Strategie

In Sachen E-Government-Dienste liegt die Schweiz im Hintertreffen. Daran ist auch die fehlende Unterstützung durch die Politik schuld.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/14

     

Die Schweiz befindet sich zwar in den meisten E-Readiness- und E-Governmentranglisten in den Top-10. Dies ist auf den ersten Blick kein schlechtes Ergebnis. Grund dafür ist aber weniger die Anzahl der zur Verfügung stehenden Dienstleistungen, als die verhältnismässig grossen finanziellen Mittel, die hierzulande für Informatik ausgegeben werden. Was aber die Nutzbarkeit von behördlichen Dienstleistungen über das Internet angeht, findet sich unser Land laut einer Studie von Cap Gemini Ernst & Young im letzten Drittel der europäischen Länder. Gerade einmal 55 Prozent der Behördengänge können demnach in der Schweiz wenigstens zum Teil über das Web erledigt werden. Der europäische Durchschnitt liegt bei 67 Prozent; Spitzenreiter Schweden kommt auf 87 Prozent.






Betrachtet man die Möglichkeit einer vollständigen Abwicklung, sieht das ganze noch schlechter aus. Gemäss den Beratern ist die Schweiz das einzige der untersuchten 18 westeuropäischen Länder, in dem keine der betrachteten Online-Behördendienstleistungen transaktionsfähig ist. In Dänemark sind demgegenüber bereits 72 Prozent der E-Governmentdienste transaktionsfähig, der europäische Durchschnitt liegt bei 45 Prozent. Hier zeigt sich deutlich, wie sehr eine öffentliche PKI (Public Key Infrastructure) hierzulande fehlt. Seitdem die Banken die Telekurs-Firma Swisskey vor mehr als drei Jahren abgeschossen haben, hat sich in diesem Bereich wenig bis nichts Konkretes bewegt.


Eine nationale Strategie muss her

Als Hauptgrund für unseren offensichtlichen Rückstand in Sachen E-Government-Dienste wird immer wieder der Föderalismus genannt, der die nötigen zentralistischen Projekte praktisch unmöglich mache. Das ist aber kaum die ganze Wahrheit. Schliesslich hinkt unser Land in Sachen Bildung, Armee oder Gesundheitswesen, die ebenso föderal organisiert sind, ja auch nicht dermassen hinter dem Rest von Europa her. Und Österreich, das gemäss der Cap-Gemini-Studie in den letzten Jahren die grössten Fortschritte erzielt hat, ist auch föderal aufgebaut.





Dass sich trotz Föderalismus einiges erreichen lässt, zeigt sich auch in einzelnen Kantonen wie Zürich, Genf, St.Gallen, Basel oder Tessin, die schon vieles aufgegleist haben. Die Schweiz braucht einen Chief E-Government Officer, regt denn auch Michael Salzmann, Leiter der Stabsstelle E-Government des Kantons Zürich, an. Denn was neben einer PKI und einer eindeutigen Personen- und Sachidentifikation fehlt, sind eine nationale Strategie sowie Finanzierungsmodelle für finanzschwache Gemeinden, so Salzmann. Zuviele Bundesämter, Strategieorgane, Initiativen und politische Ebenen kochen derzeit mit unterschiedlichsten Rezepten am E-Government-Brei.






Auch Lukas Summermatter vom Institut für öffentliche Dienstleistungen und Tourismus der Universität St. Gallen, der in einem E-Gov-Barometer jährlich den Stand der E-Government-Dinge in der Schweiz analysiert, sieht Handlungsbedarf auf der strategischen Ebene und dabei vor allem auch bei den zuständigen Politikern. In der Politik fehlt das Bewusstsein, das E-Government heute nicht mehr einfach eine neue Mode ist, sondern ein alltägliches Verwaltungsmanagement-Instrument, so Summermatters Analyse. Die Funktion eines nationalen Chief E-Government Officers würde Summermatter für sinnvoll erachten, um die Sache voranzutreiben. Seine Kompetenzen wären allerdings nicht ganz einfach festzulegen, so seine Befürchtung. Und ohne kräftige Unterstützung von ganz oben wird er sich auch kaum im nötigen Mass durchsetzen können, ist man angesichts einer praktisch Computer-abstinenten Landesregierung geneigt anzufügen.


Zu viele Techniker

Mehr strategisches Denken und Kompetenzen sind aber nicht nur auf nationaler Ebene nötig. 80 Prozent der Schweizer Gemeinden haben gemäss des jüngsten Barometers der Hochschule St. Gallen keine E-Government-Strategie (www.electronic-government.ch/be richt03). Ganz allgemein sei E-Government heute noch auf allen Ebenen zu fest in den Händen von Technikern, konstatiert Summermatter, obwohl es zum grossen Teil um Fragen des Verwaltungsmanagements gehe. Diese Meinung teilt auch Salzmann. Zum einen fehlen dadurch die strategischen Entscheide, um die einzelnen Projekte auch zielgerichtet voranzutreiben. Zum anderen wird der vorgängigen Charakterisierung der betroffenen Geschäftsprozesse zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Kantone könnten den Gemeinden beispielsweise Geschäftsprozessberatung bieten, bevor diese sich mit den ausführenden Informatik-Tools befassen, regt Salzmann an.






Dass eine solche Hilfestellung durchaus Sinn machen würde, unterstreicht ein zentraler Befund des jüngsten E-Government-Barometers: Häufig würde das Einsparpotential von E-Government nicht genutzt, weil weiterhin die herkömmlichen Verwaltungsprozesse verwendet würden, statt diese an die elektronischen Möglichkeiten anzupassen, so die Autoren.
Der immer noch zu grosse Einfluss der Techniker trifft sich mit einer weiteren Analyse Salzmanns: E-Government befindet sich seiner Ansicht nach in der Schweiz an einem ähnlichen Tiefpunkt wie die Unternehmensinformatik vor zwei Jahren nach dem Ende der E-Blase. In der Zwischenzeit hat in den Unternehmen das Management das Primat der Technik abgelöst. Das gleiche muss nun auch in der Verwaltung passieren.


Kantone als Helfer

Für Summermatter ist die Rolle der Kantone als Helfer für ihre Gemeinden zentral. Sie müssten diese bei der Hand nehmen und ihnen die Möglichkeiten und Fallstricke aufzeigen, ohne allerdings ihre Souveränität zu beschneiden. Im Alleingang seien die meisten unserer relativ kleinen Gemeinden überfordert. Auch sollten die Kantone helfen, dass sich die Gemeinden in IT-Dienstleistungszentren ähnlich wie im Bereich der Kehrichtverbrennung zusammenschliessen. Nur so können die nötigen finanziellen, personellen und auch fachlichen Ressourcen aufgebracht werden. Der Kanton Zürich hat in diesem Zusammenhang damit angefangen, E-Governmentdienste zentral für die Gemeinden zur Verfügung zu stellen. Als erstes wurde ein Formularserver aufgebaut (siehe Kasten Seite 35). Nun ist man am Abklären, ob auch ein zentrales CMS (Content Management System), auf dem die Gemeinden dann ihre Websites aufbauen können, sinnvoll und erwünscht ist.






Viele kleinere oder finanzschwache Gemeinden benötigen zusätzlich Hilfe für die Finanzierung ihrer E-Government-Aktivitäten. Salzmann denkt dabei an Modelle, bei denen der Kanton die Investitionen vorschiesst. Summermatter kann sich auch Modelle vorstellen, bei denen die Privatwirtschaft das Geld aufbringt und dafür über eine gewisse Zeit Gebühren verlangen darf, wie dies in europäischen Nachbarländern zum Teil beim Autobahnbau getan wurde.


Zu viel Prestige

Die Politiker sind durch ein zweites Charakteristikum ein Hemmschuh für E-Government. Sie verkennen nicht nur die Bedeutung der IT für effizientere Verwaltungsabläufe, sie forcieren auch oft nur E-Government-Projekte, die Prestige versprechen. Zu diesen zählt Summermatter etwa die E-Voting-Versuche. Man würde seiner Meinung nach besser Geld in effizientere Abläufe stecken, statt sich an einem datenschützerisch und sicherheitstechnisch dermassen komplexen Projekt festzubeissen. Ganz abgesehen davon, dass eine allfällige Einführung von E-Voting auch grosse politische Widerstände auslösen dürfte. In England und den USA ist das Abstimmen über Internet nicht nur aus sicherheitstechnischen Gründen, sondern auch wegen grundsätzlicher demokratischer Vorbehalte heftig unter Beschuss gekommen.


PKI nicht unabdingbar

Neben Führungs- und Politproblemen hemmen aber auch zwei technische Mängel den Fortschritt der Digitalisierung unserer Verwaltungen: Es gibt in der Schweiz keine öffentliche PKI, und auch eine einheitliche und eindeutige Nummer zur Personenidentifikation fehlt bis auf weiteres. Diese zwei Hürden dürften allerdings nicht so schnell aus dem Weg zu räumen sein. In Sachen PKI wird der schwarze Peter zwischen Staat und Privatwirtschaft hin- und hergeschoben.




Summermatter ist in diesem Fall der Ansicht, dass es Aufgabe des Staates ist, die rechtlichen Grundlagen zu schaffen, die PKI-Infrastruktur aber durch die Privatwirtschaft aufgebaut werden sollte. Schliesslich würde sie im Verhältnis zum einzelnen Bürger wesentlich mehr von den Möglichkeiten der elektronischen Unterschrift profitieren können. Er sieht die fehlende PKI aber auch nicht allzu tragisch. Wenn es ein wirtschaftliches Bedürfnis gebe, werde eine PKI sehr schnell kommen, ist er überzeugt. Zur Zeit gebe es aber einfach zu wenig sinnvolle Anwendungen.






Dies widerspiegelt das typische Huhn-Ei-Problem vieler Infrastrukturtechniken: Ohne Technik keine Anwendungen, ohne Anwendungen kein Technikbedarf. Andere Länder lösen dies, indem der Staat die Infrastruktur aufbaut, in der Meinung, dass die dann entstehenden Anwendungen wirtschaftsfördernd sind. Für Salzmann ist das Fehlen einer PKI denn auch ein eindeutiger Bremsklotz. Zwar könne man gewisse Transaktionen auch ohne PKI durchführen, Token oder Passwörter seien aber für die Anwender relativ aufwendig. Ein gutes Beispiel, wie ein transaktionsfähiges System ohne PKI aussehen kann, ist die Seite www.arbeitsbewilligun gen.zh.ch des Kantons Zürich. Über diese Seiten können angemeldete Arbeitgeber rund um die Uhr und in wenigen Sekunden Bewilligungen für ausländische Arbeitskräfte beantragen und erhalten. Die Transaktionssicherheit wird dabei durch per Post verschickte Passwörter sichergestellt. Andere Datentransaktionen wie die Bildungsdaten der einzelnen Schulgemeinden werden durch Token-basierte Systeme abgesichert. Laut Summermatter sind solche Lösungen für viele Anwendungen ausreichend. Eine eigentliche Unterschrift brauche es längst nicht auf allen Dokumenten. Sie sei auf der Papierform oft nur da, um sicherzustellen, dass jemand das Dokument auch gelesen habe. Vor allem für kleinere Dienste werde der Aufwand mit solchen PKI-freien-Systemen allerdings unverhältnismässig, gibt Salzmann zu bedenken. Man versuche darum, auch diese zahlenmässig überwiegenden Miniprozesse in Paketen für einzelne Leistungsgruppen zu bündeln, so Salzmann.


Eindeutige Nummer

Die AHV-Nummer, die jeder Schweizer bei der Geburt zugewiesen bekommt, ist redundant, womit keine eindeutige Zuordnung möglich ist. Eine eindeutige Personennummer würde vor allem aus Sicht der Datenintegrität Sinn machen. Falsch oder in einer anderen Form geschriebene Namen würden nicht mehr zwangsläufig zu voneinander isolierten Files führen. Der Umzug in einen anderen Kanton könnte beispielsweise verwaltungstechnisch wesentlich einfacher vollzogen werden. Hier machen aber die Datenschützer den Verwaltungsplanern einen dicken Strich durch die Rechnung. Eine solche Nummer verstosse gegen das Grundrecht auf Datenschutz, monieren sie, der Bund habe zudem für die Einführung einer solchen Nummer gar keine verfassungsrechtliche Grundlage. Somit bleibt ein einheitliches Identitätsmanagement in der Schweiz bis auf weiteres eine Utopie.






Aber nicht nur Personen, auch Sachen müssten für ihre effiziente elektronische Verwaltung mit eindeutigen Nummern versehen werden. Hier dürfte es weniger Datenschutzbedenken geben, dafür ist die praktische Umsetzung enorm aufwendig.


Zentrale Dienstleistungspakete vom Kanton

Der Kanton Zürich versucht dem E-Government in seinen 171 Gemeinden unter anderem mit zentral zur Verfügung gestellten Service-Paketen auf die Sprünge zu helfen. In einem ersten Projekt wurde dabei ein zentraler Formularserver für die kantonalen Ämter und Gemeinden aufgebaut. Auf diesem sind häufig gebrauchte Formulare zentral abgelegt. Endanwender können dabei wie bisher über die Webseite der entsprechenden Gemeinden oder Ämter die jeweiligen Formulare wie beispielsweise ein Baugesuchsformular beziehen, wobei automatisch das Gemeinde-eigene Logo angefügt wird. Mit dieser Dienstleistung können die Gemeinden nicht nur Infrastrukturkosten sparen, sie führt auch zu einer Harmonisierung der Formularvielfalt. Mit einem weiteren Projekt wurde zudem den Gemeinden ermöglicht, den Status ihrer an den Kanton weitergeleiteten Baugesuche selbst via Intranet zu überprüfen. Ferner steht den Gemeinden seit Anfang 2003 eine einheitliche webbasierte Plattform für die Eingabe ihrer statistischen Daten und eine gemeinsame Plattform für die Ausschreibung offener Stellen zur Verfügung. Derzeit laufen Abklärungen, wie diese ersten zentralen Dienstleistungen ausgebaut werden könnten. So ist ein zentral gehostetes CMS im Gespräch, auf dem die einzelnen Gemeinden dann mit ihrem eigenen Design ihre Webauftritte aufbauen könnten. Solchen Projekten kommt der Spardruck zugute, der immer stärker auf den öffentlichen Institutionen lastet.




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