CMM-Zertifizierung


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/02

     

Die immer stärker in den Schweizer Software-Projektmarkt vordringenden Offshore-Anbieter, vor allem aus Indien, werben mit einer CMM-Zertifizierung (Capability Maturity Model) auf dem höchsten Level 5 für ihre Produkte. Schweizer Anbieter bezweifeln demgegenüber den Wert der nicht offiziellen Assessments. Ein hiesiger Vertreter der indischen NIIT Technologies und der Qualitätsverantwortliche der Zürcher Netcetera stellen sich der Diskussion.


Pro: Thomas Koller

Schweizer Hersteller zertifizieren sich nicht nach CMM, weil sie die Qualitätsstandards im Gegensatz zu den Offshore-Anbietern schlichtweg nicht erreichen. Das ist der Hauptgrund, warum sie immer noch nicht nach internationalen Qualitätsstandards oder zertifizierten Prozessen arbeiten. Sie haben, was das Qualitätsmanagement betrifft, den Zug verpasst und funktionieren nach wie vor wie in den unstrukturierten Boom-Zeiten. Beispiel: Sowohl strukturierte Methoden als auch "Best Practices" in der Software-Entwicklung werden einfach ignoriert. Im Ergebnis wird immer noch vielerorts Software basierend auf den Erfahrungen und Fähigkeiten des Entwicklungsstabs entwickelt, so dass es keine wirkliche Garantie gibt, dass ein Projekt in der geplanten Zeit, unter Einhaltung des Budgets und mit minimalen Defekten fertig wird. Vielmehr werden Verspätungen und Defekte als Teil des Entwicklungsprozesses akzeptiert.



Mythos Kulturbarriere


Dabei helfen Qualitäts- und Prozessmanagementsysteme wie CMM grundsätzlich allen Softwareunternehmen ihren Entwicklungsprozess und die Produkte zu überprüfen. Der Mythos, dass CMM nur erfolgreich bei grossen Unternehmen eingeführt werden kann, oder ein notwendiges Mittel zur Lösung von sprachlichen und kulturellen Barrieren ist, ist schlichtweg falsch. Denn als Offshore-Unternehmen ihre CMM-Zertifizierung starteten, kamen 90 Prozent und mehr ihrer Aufträge aus den USA, UK oder anderen Englisch sprechenden Nationen, bei denen keine sprachlichen Probleme existieren und Vorbehalte bezüglich kultureller Unterschiede marginal sind. Trotzdem wurde die CMM-Zertifizierung eingeführt, um eine ständige Verbesserung des Entwicklungsprozesses
sicherzustellen, um vorhersehbar sichere und stabile Applikationen zu produzieren, sowie um die Reputation des Unternehmens und so die Profitabilität zu erhöhen.




Ohne CMM keine Aufträge


Natürlich muss eine CMM-Zertifizierung, wie die meisten Qualitätsinitiativen, von einer langfristigen Perspektive aus betrachtet werden, damit die Vorteile deutlich werden. Beispiel Internationalisierung: Viele Ausschreibungen von namhaften europäischen Unternehmen gehen bereits heute ausschliesslich an CMM-zertifizierte Anbieter. Dieser Trend wird künftig noch zunehmen und ein allgemeingültiger Bestandteil werden wie in den USA. Dann werden Unternehmen ohne Adaption eines formalen Verbesserungsprozesses im starken Wettbewerb Schwierigkeiten bekommen.



Eigene formale Prozesse zum Managen von Software-Projekten und Mitarbeitern sind hier keine Lösung. Denn die meisten dieser Prozesse sind nicht auf Produktivität und eine Verbesserung mit Blick auf einen ganzheitlichen und praktischen Ansatz ausgerichtet. Der international anerkannte Standard CMM unterliegt demgegenüber ständiger Beobachtung und Weiterentwicklung durch das SEI (Software Engineering Institute) mittels regelmässiger Aufnahme von Rückmeldungen aus der weltweiten Softwaregemeinde. Dies sichert eine kontinuierliche Verbesserung der Prozesse und behebt solche, die Overhead verursachen.



Aus der Sicht des Kunden schaut ein Anbieter mit CMM-Zertifizierung nicht auf kurzfristigen Profit, sondern hat investiert, um Projekte mit sehr geringen oder ohne Fehler zu liefern.


Kontra: Dr. Vital Meyer

Der Begriff Zertifizierung ist von den ISO-Standards geprägt, wo auch klar definierte Zertifizierungen angeboten werden. Für die IT-Branche hat sich aber gezeigt, dass ISO-Zertifizierungen keine Garantie für gutes Qualitätsmanagement geben. Im Zusammenhang mit CMM ist demgegenüber der Begriff "Zertifizierung" nicht korrekt. Das Software Engineering Institute (SEI), unter dessen Lead CMM entwickelt wurde, schreibt dazu: "The terms SEI certified and CMM certification are simply incorrect since there is no such thing."



Die Grundidee von CMM besteht nämlich darin, den Organisationen eine Orientierungshilfe zur eigenen Prozessverbesserung zu geben, wobei die kritische Selbsteinschätzung und Bewertung im Vordergrund steht. In diesem Sinn gibt es eine Reihe Schweizer Hersteller, die sich an den Richtlinien von CMM orientieren. Netcetera etwa hat sich bereits 1999 gegen eine ISO-Zertifizierung und für eine CMM-Orientierung entschieden.
Im Gegensatz zu den Schweizern wurden indische Anbieter immer wieder damit konfrontiert, keine gute Qualität zu liefern. Das Anpeilen eines möglichst hohen CMM-Levels ist darum auch als Antwort auf diese Vorwürfe zu sehen. Ein weiterer Grund dafür, dass indische Unternehmen in der CMM-Umsetzung führen, liegt darin, dass sie sich vor allem in den letzten 10 Jahren rasant entwickelt haben, während ähnlich grosse Anbieter in USA/Europa schon vor 30 Jahren Qualitätssysteme aufgebaut haben.




Ziel ist optimale Kombination


Die Frage nach kontrollierbarer und nachvollziehbarer Qualität im Software-Entwicklungsprozess gewinnt aber zweifelsohne an Gewicht. Die optimale Produktivität darf darüber jedoch nicht aus den Augen verloren werden. Als Schlüsselgrösse sehen wir nicht die Maximierung des CMM-Levels, sondern die Kombination eines agilen Softwareentwicklungsprozesses wie zum Beispiel "Extreme Programming" innerhalb der Projekte mit optimal angepassten Prozessen der Stufe der Organisation (siehe z.B. www.sei.cmu.edu/activities/cmm/papers/xp-cmm.pdf).



CMM ist dabei ein geeignetes Werkzeug, das einen Leitfaden gibt, was für die Organisationsentwicklung getan werden soll. Über das wie im Sinne der Software-Entwicklungsmethodik macht CMM nur beschränkt Aussagen. In der Praxis müssen die Prozesse flexibel genug implementiert sein, um auch spezielle Kundenbedürfnisse zu berücksichtigen.



Beschränkte Aussagekraft


Ein CMM-Assessment (statt Zertifizierung) an sich garantiert dem Kunden aber keinesfalls einen hohen Qualitätsstandard. Der Hauptfokus liegt darin, Schwerpunkte für die weitere Prozessoptimierungen zu bestimmen. Nur in zweiter Linie dient ein Assessment als "Messung des CMM-Levels". Die Ergebnisse eignen sich daher auch nur beschränkt als "Beleg gegen aussen". Da die Ergebnisse zudem keinen offiziellen Stempel tragen sind die Resultate immer mit der nötigen Vorsicht zu interpretieren.



Weiter verführt die einfache und eingängige CMM-Skala dazu, die sehr komplexe Fragestellung nach der Qualität der Ergebnisse stark zu vereinfachen. Zudem haben für den Erfolg eines Softwareprojektes neben dem Qualitätsstandard des Lösungs-Anbieters auch der Qualitätsstandard auf Kundenseite einen entscheidenden Einfluss.


Die Kontrahenten

Thomas Koller verantwortet bei NIIT Technologies (früher AD Solutions AG) alle Kundenprozesse und Kundenprojekte in der Schweiz und in Österreich.






Dr. Vital Meyer, Senior Engineer, ist beim auf Internet-Technologien spezialisierten Zürcher Software-Unternehmen Netcetera für das Qualitätsmanagement zuständig.




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