Editorial

Hemmungsloses Einschliessen

Die Integration des Browsers ist in «Longhorn» nur noch ein unbedeutender Nebenaspekt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/20

     

Es ist gerade mal ein Jahr her, dass sich das amerikanische Justizministerium mit Microsoft im Kartellrechtsverfahren aussergerichtlich geeinigt hat. In der Zwischenzeit ist offensichtlich viel Wasser den Rhein hinuntergeflossen - sehr viel. Wenn man die jetzt unter dem Code-Namen "Longhorn" vorgestellten Betriebssystempläne von Microsoft genauer anschaut, deutet wenig bis gar nichts darauf hin, dass vor wenigen Monaten noch eine Diskussion um Monopolmissbrauch geführt wurde.



Im Verfahren war die Bündelung des Browsers mit dem Betriebssystem noch der Hauptanklagegrund. Jetzt plant Microsoft, den eigenen Browser fest ins künftige Windows zu integrieren. Aber das ist inzwischen nur noch ein unbedeutender Nebenaspekt. Auch Kommunikationstechnologien in Form von Indigo, Grafikpräsentationen als Avalon und - dies dürfte die entscheidendste Verzahnung sein - die .Net-Entwicklung mit dem Programmiermodell WinFX werden künftig fest ins Betriebssystem eingebunden. Dazu kommen die Sicherheitstechnik "Palladium" sowie das Datenbank-basierte Dateisystem WinFS. Gartner-Analyst Michael Silver spricht von einem verstärkten "lock-in".




Vor allem die Entwicklung von .Net-Applikationen wird die Unternehmen, wenn "Longhorn" in der jetzt präsentierten Form Realität wird, fest an Microsoft ketten. Auch Browser-gestützte Anwendungen, deren ursprünglicher Sinn unter anderem einmal die Plattform-Unabhängigkeit war, werden - so die Gartner-Einschätzung - nur noch mit dem Microsoft-Client und dem dazugehörigen Betriebssystem voll funktionsfähig sein.



Damit zeigt "Longhorn" vor allem eines: Die Redmonder haben keine Angst mehr, von der derzeitigen US-Regierung in irgendeiner Form kartellrechtlich belangt zu werden. Hätte der Vergleich vom letzten Jahr wenigstens eine regulierende Wirkung gehabt, würde es Microsoft heute nicht wagen, derart hemmungslos die Verzahnung von Betriebssystem und Applikationen an die Öffentlichkeit zu tragen.



Nun wird auch bis zum ersten "Longhorn"-Release, der frühestens 2005 erwartet wird, noch viel Wasser den Rhein hinunterfliessen. Einiges wird sich noch ändern und gewisse Features wird man auf Druck von aussen offener einbinden, als dies heute geplant ist. Trotzdem muss sich ein Unternehmen heute schon die Frage stellen, ob es sich über den .Net-Umweg in die "Longhorn"-Abhängigkeit begeben will.



Wie sehen Sie die Integration von Applikationen in Windows durch "Longhorn" und die daraus entstehenden Abhängigkeiten? Senden Sie mir ein E-Mail.




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