Mozilla 1.0: Frischer Wind in der Browserlandschaft

Mit dem Final Release des Webbrowsers Mozilla ist dem Internet Explorer von Microsoft letztlich doch noch eine ernstzunehmende, qualitativ hochwertige Alternative erwachsen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/26

     

Die Geburtsstunde des neuen Webbrowsers Mozilla war der 22. Februar 1998, an welchem Netscape Communications als Hersteller der gleichnamigen Browser bekanntgab, dass die Entwicklungsarbeit am Nachfolger der Browsersuite Netscape Communicator 4.x als Open-Source-Projekt unter dem Namen "Mozilla" weitergeführt werden soll. Dabei sollten die freiwilligen Entwickler von den firmeneigenen Programmierern unterstützt und aufbauend auf dem Open-Source-Hype die Weiterentwicklung gesichert werden. Weiter versprach man sich dadurch eine qualitativ hochwertige und starke Alternative zu Microsofts Internet Explorer, die im Kampf um die Marktherrschaft dem übermächtigen Gegenspieler Paroli bieten könne.


Doch schon relativ früh erkannte man, dass der Quellcode des aktuellen Netscape-Browsers nicht mehr weiterzuverwenden war, da noch immer Teile des ersten graphischen Webbrowsers "Mosaic" darin zu finden waren und durch das zusätzliche, jahrelange Wachstum der Quellcode entsprechend chaotisch war. Man entschloss sich, einen völlig neuen Browser zu entwickeln, welcher die fünf wichtigsten Standards des W3C komplett beherrschen soll: HTML 4.0, CSS-1, XML 1.0, JavaScript/Ecma-Script und W3C DOM. Diese Aufgabe übernimmt die Rendering-Engine, welche auf den Namen "Gecko" getauft wurde und das zentrale Element des neuen Browsers darstellt. Die Rendering-Engine ist, gemäss dem von der Mozilla-Programmierer-Gruppe entwickelten Komponentenmodell XPCOM, modular verfügbar und lässt sich problemlos auch in andere Browser integrieren. Darum findet man das Kernstück des neuen Mozilla-Browsers auch in diversen anderen Produkten, beispielsweise in Chimera, einem Browser für MacOS X.
Diese Neukonzeption und eine lange Liste neuer Funktionen, worunter auch Kernziele wie wenig Speicherverbrauch, hohe Performance und Kompatibilität zu finden waren, sorgten dafür, dass sich die Entwicklung mittlerweile über vier Jahre hingezogen hat. Selbst AOL, die Netscape inzwischen gekauft hat, setzte in der eigenen Zugangssoftware nur noch den Internet Explorer ein, womit dieser einen immer grösseren Marktanteil verbuchen konnte, der inzwischen bei etwas unter 90 Prozent liegt.
Nun gelangte man aber doch zu einem Ende, nachdem Anfang letzten Jahres schon Netscape die Nerven verlor und einen relativ frühen und untauglichen Mozilla-Milestone als Netscape 6.0 veröffentlichte und auch eine entsprechende Presse als Quittung bekam. Trotz allem ist eines der interessantesten Produkte des Jahres herausgekommen.


Elementare Browser-Features

Wie bereits erwähnt, unterstützt der Browser, besser gesagt die Rendering-Engine Gecko, die fünf Schlüsselstandards des W3C komplett (HTML 4.01, CSS-1, XML 1.0, JavaScript/Ecma-Script und W3C DOM). Somit ist der Browser die Referenz für nachfolgende Browsergenerationen von Microsoft und Opera, wobei man hoffen kann, dass Microsoft unter dem Konkurrenzdruck, welcher durch Mozilla zweifellos entsteht, mehr daran setzen wird, diese Standards komplett umzusetzen, nachdem man doch mehr Energie für zweifelhafte Funktionen wie die Smart Tags aufgewendet hatte.
Bei Gecko enden die Fähigkeiten aber nicht bei den fünf Schlüsselstandards: Ebenfalls wird ein Grossteil von CSS 2 unterstützt und natürlich auch schon XHTML 1.0, wobei der Unterschied zu HTML 4.01 nur im "wohlgeformten" Code besteht.


Was für den Web-Developer eher weniger interessant ist, den Endverbraucher aber um so mehr interessiert, sind die Tools, welche ein komfortableres Surfen ermöglichen.
Zu den auffälligen und auch einigermassen nützlichen Gimmicks gehört sicher die Sidebar, welche zwar schon aus allen anderen Browsern bekannt ist, hier aber zuerst implementiert wurde. Sie beherbergt die History, Bookmarks sowie eine Suchfunktion, welche unter anderem Google, DMOZ oder das Auktionshaus eBay befragen kann.
Weiter finden sich unzählige Manager, die das Surfen einfacher und sicherer machen sollen. Cookie-, Passwort- und Form-Manager kennt man ebenso wie Download-Manager, wobei letzterer noch etwas mager ausgefallen ist: Er kann keine Downloads fortführen, nachdem der Browser komplett geschlossen wurde.


Ein neuer Vertreter der Manager-Spezies ist dagegen der Image-Manager. Dieses kleine Tool erlaubt es, Seiten zu definieren, von welchen nie Bilder heruntergeladen werden. Dies spart vor allem den Notebook-Besitzern, welche sich via GSM-Mobiltelephon ins Internet einwählen, teure Bandbreite. Wirklich neu ist diese Funktion auch nicht, aber in vielen Browsern nicht so komfortabel gelöst, da man damit auch gezielt Werbebanner abblocken kann.
Das bei weitem interessanteste Feature findet sich bei den Einstellungen im Menü Advanced - Scripts & Windows. Dort kann man definieren, welche JavaScript-Aktionen ausgeführt werden sollen. Das beginnt beim simplen Rollover-Effekt und endet über Cookie-Manipulation beim ungefragten Öffnen von kaskadierenden Fenstern, Popups und Werbebannern. So wird einerseits die Sicherheit des Browsers erhöht, andererseits kann man auch nicht mehr von Werbung belästigt werden. Und das Erfreulichste daran: Diese Einstellungen lassen sich auch für den Mailer des Browsers vornehmen, was gleich dafür sorgt, dass die JavaScripts in diversen Sex-Spam-Mails nicht ausgeführt werden, vor allem in der Zeit von teuren Dialern eine Erleichterung.


Brauchbare Zusatztools

Wie schon zum alten Netscape Communicator gehört auch zu Mozilla ein integrierter Mail- und News-Client, der mehrere Konten und sowohl POP3 als auch IMAP4 unterstützt. Für jedes neue Konto wird ähnlich wie bei TheBat von Ritlabs ein Satz neuer Ordner, bestehend aus Inbox, Outbox, Trash, Templates und Send, angelegt, was natürlich ziemlich viel Platz auf dem Bildschirm kostet, wenn man über mehrere Konten verfügt.
Eine Besonderheit ist die gesonderte Konfiguration der SMTP-Servers, die vor allem praktisch ist, wenn man über mehrere Konten auf ein und demselben Server verfügt. Diese zentral zu verwaltenden SMTP-Einstellungen können dann nämlich für mehrere Konten gleichzeitig verwendet werden. Muss man an den Konfigurationseinstellungen etwas ändern, modifiziert man das gesonderte Profil, und die Einstellungen übertragen sich an alle Mailkonten, welche den gleichen SMTP-Server benutzen, was bequem ist und Zeit spart.


Ausserdem verfügt der Mozilla-Mailer über E-Mail-Filter, um unliebsame Post direkt in den Abfalleimer zu befördern oder bestimmte Nachrichten, beispielsweise aus Mailing-Listen, in einem bestimmten Ordner zu sammeln. Leider sind die Filterungsmöglichkeiten etwas mager ausgefallen: Es lässt sich beispielsweise nur auf bestimmte E-Mail-Header-Bestandteile wie Subject, From, To und CC prüfen, eine Berücksichtigung des ganzen Header ist so nicht möglich. Ebenfalls lassen sich keine Regular Expressions definieren, nach welchen die E-Mails untersucht werden. Das einzige, was möglich ist, ist nach Zeichenketten an einer beliebigen Stelle zu suchen, was heute nicht immer ausreichend sein kann.
Auch ganz nett ist die Idee, jeden einzelnen Ordner mit einem anderen Zeichensatz versehen zu können, was die Autoerkennung aber ausschaltet. So kann man einen Ordner beispielsweise mit ISO-8859-1 versehen, und nachher werden alle E-Mails gemäss dieser Zeichentabelle dargestellt.


In immer mehr Mail-Clients kann man auch Templates finden, gemäss denen die E-Mails vorformatiert werden. Die Mozilla-Entwickler haben sich hier etwas Ähnliches ausgedacht: Man kann eine Vorlage verfassen, welche man später nur noch auszufüllen braucht, beispielsweise für Nachrichten an Robots. Leider gilt dies nur für ausgehende Nachrichten, und so lassen sich Antwort- und Weiterleitungs-Mails nicht vorformatieren. Hier besteht noch klar Nachbesserungsbedarf, wenn man den Komfort erhöhen will.
Sehr löblich ist der Umgang mit HTML-Mails, welche diverse Sicherheitsrisiken wie automatisch ausgeführte JavaScripts bergen können. Zwar werden HTML-Mails angezeigt, dies aber nur in entschärfter Ausführung, denn JavaScripts werden nicht interpretiert, was die Sicherheit signifikant verbessert. Wer auf aktiviertes JavaScript nicht verzichten kann, ist trotzdem in der Lage, den JavaScript-Support für den Mail-Client einzuschalten.
Für Sicherheit in Sachen digitaler Signatur und Verschlüsselung kann man bis jetzt nur mit Hilfe von Zertifikaten externer Dienste sorgen. Vergebens war leider die Suche nach einer PGP-Unterstützung, die in Zeiten von vermehrter Überwachung des E-Mail-Verkehrs immer wichtiger zu werden scheint und nicht fehlen sollte. Doch besteht die Hoffnung, dass eine Unterstützung der Open-Source-Varianten in den nächsten Versionen umgesetzt wird.
Weiter wurde der Webbrowser mit einem IRC-Client namens ChatZilla ausgestattet. Er erlaubt den Zugriff auf das IRC-NET, ist aber ein wenig rudimentär ausgestattet. Dies wird aber vor allem den Fans von Kommandozeilen entgegenkommen, denn ohne Kenntnis von Befehlen wie /attach <irc-server> und /join <channel-name> kommt man nicht weit. Hier bieten diverse andere Clients wie mIRC mehr.




Etwas überraschend ist die Einbindung des Webdesign-Tools Composers in die Browser-Suite. Dies vor allem, da der Composer sich nie grosser Beliebtheit erfreute, da die Features doch etwas knapp bemessen waren. Doch auch beim Composer hat sich einiges getan. Gemäss der Standardkonformität des Browsers wird auch hier ganz manierlicher Code gemäss HTML 4.01 sogar mit passender DTD produziert.
Unterstützt werden grundlegende Funktionen wie Bilder, Tabellen und Links, was mindestens für einfache Seiten ausreicht. Der Quellcode-Vorschau fehlt leider Syntax-Highlighting und eine Code-Vervollständigung, für ein schnelles Editieren einer Seite reicht dies aber allemal. Dem Composer mangelt es aber noch immer an Benutzerfreundlichkeit. Beispielsweise lassen sich alle Attribute für Tabellen nur via Kontextmenü erstellen, wobei die Unterteilung in einen normalen und fortgeschrittenen Modus die Bedienung nicht gerade vereinfacht. Wer mehr Funktionen benötigt, findet vielleicht eine passende Extension auf mozdev.org (siehe Kasten).





Mehr als bei der Konkurrenz

Im Vergleich zur Konkurrenz bietet der Mozilla-Browser einiges mehr. Microsofts Internet Explorer wartet zwar auch mit vielen ähnlichen Features auf, aber doch mit signifikanten Mankos und wenigen Vorteilen. Dies fängt beim Browser an, der noch immer Mühe mit den diversen Standards bekundet, vor allem nachdem Microsoft im Sprung von Version 5.5. auf 6.0 eher wenige Verbesserungen in dieser Hinsicht vorgenommen hat, was sich hauptsächlich im immer noch mittelmässigen CSS-Support äussert. Auch die vielen Sicherheitslöcher, die sogar Microsofts unzählige Patches und Service Packs nicht beheben können, sind nicht gerade als Vorteil dieses Browsers zu werten. Auf der anderen Seite ist die Plug-in-Unterstützung momentan besser gelöst, und der Browser ist auch performanter, was aber daran liegt, dass er fest mit Windows verdrahtet ist.


Wenn man den Mozilla E-Mail-Client mit Outlook Express vergleicht, liegen die Stärken klar beim Mozilla-Vertreter: Microsoft hat es eindeutig versäumt, die Sicherheit zu verbessern. So wird JavaScript noch immer ohne jegliche Nachfrage ausgeführt, entsprechend programmierte Dateien ohne Zutun des Benutzers geöffnet, und durch den Rückgriff auf das Windows-Adressbuch ist das Programm besonders anfällig auf Viren und Würmer, die sich selber weiterverteilen. Hier haben die Mozilla-Entwickler bessere Arbeit geleistet, denn HTML-Mails werden entschärft und Attachments nur mit "Hilfe" des Users ausgeführt, was die Sicherheit signifikant erhöht.
Ein Blick auf Opera aus der gleichnamigen norwegischen Browserschmiede zeigt auch hier Vorteile des Open-Source-Projekts: Eine Finanzierung über lästige Werbebanner ist nicht nötig, was für viele Leute der entscheidende Vorteil gegenüber dem Opera-Browser sein wird. In bezug auf Standardkonformität liegt Opera leicht hinter Mozilla, dafür ist die Geschwindigkeit von Opera vor allem beim Starten höher und der RAM-Verbrauch viel niedriger.
Die Zusatztools bei Opera sind im Vergleich zu Microsofts Internet Explorer und Mozilla sehr spartanisch ausgestattet. Der Mail-Client besitzt nicht viel mehr als die Grundfunktionen, der ICQ-Client kommt über Instant Messages auch nicht wirklich heraus.





Beeindruckende Neuauflage

Sehr lange hat es gedauert, über vier Jahre, aber die Neuauflage des ehemaligen Netscape-Browsers ist beeindruckend, und man muss sagen, die Entwicklung als Open-Source-Projekt hat dem Browser enorm gutgetan. Es ist endlich einmal gelungen, einen Browser nicht unter dem Aspekt zu entwickeln, den eigenen Marktanteil zu vergrössern, sondern ein standardkonformes Produkt zu erschaffen, welches unter möglichst vielen Plattformen verfügbar ist und Webseiten anzeigt, wie sie sein sollten, ohne sich auf proprietäre Tags und Technologien zu verlassen.
Dies hat vor allem punkto Sicherheit und Benutzerfreundlichkeit gewichtige Vorteile: Offensichtliche Sicherheitsrisiken wie JavaScripts lassen sich weitgehend kontrollieren und abschalten, der Browser wird nicht durch aufdringliche Werbung finanziert, und der E-Mail-Client tendiert im Gegensatz zu einigen Konkurrenzprodukten nicht dazu, Malware aus dem Internet Tür und Tor zu öffnen.


Man muss aber auch, wie bei Produkten aus mehreren Bestandteilen auch zu erwarten ist, diverse Abstriche machen. So fehlen dem E-Mail-Client noch Templates, mit denen sich E-Mails vorformatieren lassen. Auch ist der IRC-Client etwas spartanisch ausgefallen. Der Composer mag vielleicht ein nettes Spielzeug sein, wer ihn aber wirklich brauchen könnte, wird schnell an seine Grenzen stossen und beim ausgewachsenen WYSIWYG-Editor bleiben.
Im Vergleich zur Konkurrenz schneidet der Mozilla-Browser aber sehr gut ab, denn es ist den Entwicklern gelungen, Zweckmässigkeit, Plattformunabhängigkeit und Benutzerfreundlichkeit miteinander zu vereinen. Wenn es den Entwicklern noch gelingt, diverse weitere Features wie eine PGP-Unterstützung einzubauen und weiterhin für eine derart strikte Umsetzung der Standards zu sorgen, kann man sich schon auf den "perfekten Browser" freuen.



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