Corel WordPerfect Office 2002
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/24
Wie sagte doch Corel-CEO Derek Burney schon im Januar: "Mit Office 2002 haben wir nicht vor, im Zweikampf gegen Microsoft Office anzutreten." Es ist auch besser so: Die neue Ausgabe von Corel WordPerfect Office besteht zwar aus bodenständigen Paketen mit einem Funktionsumfang, der allen üblichen Kundenbedürfnissen mehr als genügt, vermag aber punkto Integration und ausgefeilter, durchgestylter Benutzeroberfläche dem Marktleader Microsoft Office nicht das Wasser zu reichen - auch der neueste Release der Corel-Suite wird wohl keinen einzigen MS-Office-Anwender zu einem Wechsel veranlassen, es sei denn, er arbeite nach wie vor unter Windows 95, das von MS-Office XP nicht mehr unterstützt wird.
Die Pressemitteilung deutet an, dass Corel vom eigenen Produkt nur halbherzig überzeugt ist. Burney verkündet daselbst zwar, man sei stolz auf die neue Version. Aber: "Da unsere Kunden jetzt aus erster Hand erfahren können, warum WordPerfect noch immer eine überragende Bürosuite ist, werden sie unsere Begeisterung verstehen." Es geht also offensichtlich in erster Linie darum, wenigstens die bestehenden WordPerfect-Kunden bei der Stange zu halten; man begnügt sich damit, "noch immer" im Spiel zu sein. Davon profitieren nicht zuletzt altgediente WordPerfect-Anwender, die nun eine zukunftsfähige Neufassung ihrer Software erhalten.
Auch wenn Version 2002 keine revolutionären Neuerungen bringt, umfasst die Suite alle Softwarefunktionen, die man im Büroalltag braucht. Die Standard-Edition enthält die Textverarbeitung WordPerfect 10, die Tabellenkalkulation Quattro Pro 10, das Präsentationsprogramm Corel Presentations 10 sowie Corel Central 10, eine Kombination von Agenda, Adressbuch und Mail-Client. In der Professional-Edition kommen die Datenbank Paradox 10, die kaum Änderungen gegenüber der Vorversion aufweist, und das Spracherkennungstool Dragon Naturally Speaking 5 hinzu.
Das Gesamtpaket ist auf absehbare Zeit ausschliesslich in Englisch erhältlich: Handbuch, Hilfesystem und Benutzerführung stehen nicht in deutscher Sprache zur Verfügung. Gleiches gilt für das in die Textverarbeitung integrierte Wörterbuch (Pocket Oxford Dictionary mit 30'000 englischen Wortdefinitionen und phonetischen Angaben zur Aussprache) und schmerzlicherweise auch für die Spracherkennung: Die mitgelieferte Dragon-Version beherrscht nur Englisch. Damit kommt Corel WordPerfect Office 2002 hierzulande für manche Anwender von vornherein nicht in Frage. Eines gilt es allerdings zu bedenken: Zwar sind Menüs und Dokumentation nur in Englisch zu haben; Rechtschreibe- und Grammatikprüfung erledigt die Suite aber in über dreissig Sprachen tadellos.
Das Paket enthält ein 430-seitiges Handbuch, drei CD-ROMs (Anwendungen der Suite, Cliparts/
Fotos/Fonts und Dragon Naturally Speaking), ein Headset zum Gebrauch mit der Spracherkennungssoftware und eine Kurzreferenz zur Belegung der Funktionstasten in den verschiedenen Applikationen.
Wir haben die Professional Edition auf einem Windows-2000-System installiert und getestet. Mit Ausnahme einiger Abstürze des Tabellenkalkulationsprogramms lief die Software stets stabil und in ansprechender Geschwindigkeit. Die Quattro-Pro-Fehler brachten im übrigen ein interessantes Feature zu Tage: Der Application Recovery Manager fängt Programmabstürze ab, erlaubt vor dem Beenden die Sicherung der offenen Dokumente und sendet auf Wunsch einen Problem-Report an den Hersteller. Die ebenfalls vorhandene Option "continue working with the application" führte allerdings jeweils bloss zum selben Programmfehler zurück.
Der Harddisk-Bedarf der Gesamtsuite ist enorm: Die typische Installation verschlingt 307 Megabyte, die sogenannte Kompaktvariante kommt mit 240 Megabyte aus. Ein Setup mit allen möglichen Optionen belegt fast ein halbes Gigabyte. Wie der Microsoft-Installer erlaubt das Corel-Installationsprogramm in der Custom-Variante die detaillierte Angabe der zu installierenden Komponenten. Wahlweise lässt sich auch definieren, ob die einzelnen Teile auf der Harddisk installiert oder bei Bedarf von der CD gestartet werden sollen. Damit lässt sich im Notfall Harddisk-Platz sparen.
Eine der besten Nachrichten, mit denen Corel aufwartet: Das Dateiformat hat sich nicht geändert. Bestehende Dokumente können somit nahtlos übernommen und vor allem nach dem Editieren in Version 10 auch von früheren Programmversionen noch gelesen werden.
Auch der Umgang mit Word-Dokumenten fällt WordPerfect leicht. Elemente wie Anmerkungen und Korrekturen werden beim Öffnen vollständig übernommen. WordPerfect kann Dokumente auch in den Formaten Microsoft Word 4 bis Word 2000 sichern - bei einem als .doc geöffneten Dokument erscheint dabei aber lästigerweise jedesmal ein Dialog mit der Option, entweder im WordPerfect- oder im Word-Format zu sichern, was das Handling von Word-Dokumenten etwas sperrig macht.
Ein zweites von Corel propagiertes Feature ist eigentlich nichts Neues: Nach wie vor zeigt die Textverarbeitung mit dem Befehl "Reveal Codes" sämtliche Steuerzeichen in einem separaten Fensterbereich. Dies ist besonders nützlich, wenn in längeren Dokumenten mit komplexer Struktur Fehler auftauchen, deren Ursache in der WYSIWYG-Ansicht nicht zu ermitteln ist. Neu sind die Variablen: Angaben, die beim Erstellen des Dokuments noch nicht bekannt sind, können zunächst in Form von Platzhaltern eingesetzt und nach erfolgter Recherche auf den aktuellen Stand gebracht werden. Die Variablen erlauben auch die einfache Nachführung von Informationen, die an mehreren Stellen im Dokument vorkommen.
Einige weitere Neuerungen in WordPerfect 10: Die Funktionen zur Publikation im HTML- und PDF-Format wurden stark überarbeitet. Mit Trennzeichen wie Tabulatoren oder Kommas eingeteilte Textstellen wandelt das Programm nun auf Wunsch automatisch in Tabellen um. Das Tabellen-Handling ist überhaupt vereinfacht worden: Endlich sind alle Befehle für die Erstellung und Manipulation in einem Menü zusammengefasst - bei MS-Word schon längst eine Selbstverständlichkeit.
Interessant ist ferner der Befehl "New XML Document". Das so generierte Dokument stellt WordPerfect im integrierten XML-Editor dar, der in einer separaten Spalte die XML-Struktur anzeigt und über verschiedene Dialogboxen die Wahl der passenden DTD und das Einsetzen von XML-Elementen unterstützt.
Die Corel-Tabellenkalkulation glänzt mit einer runderneuerten Charting-Engine; weitere Neuerungen sind nicht zu vermerken. Das Erstellen der Diagramme wird durch einen neu gestalteten Wizard erleichtert; weitergehende Einstellungen wie das Drehen von 3D-Diagrammen müssen dagegen über das Chart-Menü vorgenommen werden.
Zu den sattsam bekannten Balken-, Kuchen- und Liniendiagrammen kommen in Version 10 attraktive neue Chart-Typen wie Histogramm, Gantt, Spektrum sowie interessante Kuchendiagramm-Varianten wie "Pie of a Pie", "Multiple Pie" und "Column of a Doughnut" hinzu.
In komplexen 3D-Diagrammen kann Quattro Pro eine Balkengruppe sogar transparent darstellen, so dass dahinterliegende Daten sichtbar werden - eines der coolsten Features der Corel-Spreadsheetsoftware, die sogar Excel nicht beherrscht. Eine weitere Neuerung von Quattro Pro 10, die mehrfache Undo-Funktion, zugänglich über das kleine Dreieck neben dem Undo-Pfeil in der Toolbar, kennt die Microsoft-Tabellenkalkulation dagegen schon seit Generationen.
Neben Unterstützung für MP3- und Windows-Media-Sounds sowie animierten GIF-Grafiken ist der Export im Flash-Format eine der Hauptattraktionen des neuen Präsentationsprogramms: Der Internet-Publisher, über den eine Präsentation in verschiedenen HTML-Layouts aufs Web gebracht werden kann, bietet nun die zusätzliche Option "Flash". Sie generiert aus den Slides ein Flash-Movie, fügt automatisch Texteffekte hinzu und plaziert das Movie auf einer HTML-Seite, die auf Wunsch zusätzlich ein Frame mit einer Outline-Darstellung aller Slide-Titel enthält. Die Outline dient leider nur der Information - die Titel lassen sich nicht anklicken, um zum entsprechenden Slide zu verzweigen. Ansonsten funktioniert der Flash-Export ohne jedes Problem und erzeugt ansprechende Resultate.
Interessant ist auch die "Showit"-Funktion: Die Slideshow wird, zusammen mit allen Transitions- und Soundeffekten in einem speziellen Format vereint, in eine HTML-Seite eingebettet. Zum Betrachten benötigt der Surfer den kostenlos erhältlichen Showit-Player. Das Feature gleicht der Web-Archiv-Funktion von Powerpoint 2002.
Nicht ganz so problemlos geht der Import von Powerpoint-Dateien über die Bühne. Zwar lassen sich Powerpoint-Dateien im Open-Dialog öffnen; beim Import mit dem Inso-Filter passieren aber immer wieder Missliebigkeiten wie falsch positionierte Grafiken und unkorrekt gesetzte Textattribute. Wer Wert auf die Ästhetik legt, kommt um eine genaue Kontrolle des Importergebnisses nicht herum.
Der PIM nennt sich im Corel-Office "Central", erweist sich aber bei näherer Betrachtung als wenig zentral und erscheint recht zusammengewürfelt: Kalender und To-Do-Liste, Adressbuch, Mail-Client und die zusätzlich enthaltene einfache Datenbank Cardfile sind einzelne Applikationen, die getrennt gestartet und beendet werden. Die enge Integration, wie sie von Outlook her bekannt ist, kennt CorelCentral zumindest äusserlich in keiner Weise. Auch fortgeschrittene Groupware-Features, die in MS-Office XP in Form der Sharepoint Team Services reichlich vorhanden sind, fehlen weitgehend. Einzig die gemeinsame Nutzung von Terminkalendern und Adressbüchern übers Netzwerk ist möglich.
Der Mail-Client ist gut gelungen. Er bietet nicht nur eine übersichtlich gestaltete Oberfläche, sondern gestattet auch die Einrichtung mehrerer Mail-Konten, die getrennt abgerufen werden können. Im Gegensatz zu Outlook ist es im Corel-Mailprogramm sogar möglich, bei mehreren vorhandenen Konten für jede abgehende Meldung die Absenderadresse zu wählen. CorelCentral Mail bietet darüber hinaus umfassende Security-Optionen wie Unterstützung für S/MIME-Verschlüsselung, Zertifikate und elektronische Unterschrift.
Terminkalender und Aufgabenliste erscheinen beim Start von CorelCentral als Balken am rechten Bildschirmrand, erfüllen ihre Basisfunktionen ordentlich, bieten aber keine spektakulären Features. Ein nettes Zückerchen ist dagegen die Cardfile-Applikation: Einfache Flat-File-Datenbanken wie zum Beispiel ein Softwareverzeichnis mit Seriennummern lassen sich damit unkomplizierter und rascher erstellen als in der eher für Entwickler gedachten Paradox-Umgebung. Cardfile ordnet die Informationen in Karteikarten, die verschiedenen Gruppen zugeteilt werden können. Datenfelder können entweder auf allen Karten vorhanden (global) oder aber nur auf einer einzelnen Karte sichtbar sein. Einzelne Textstellen lassen sich per Hyperlink mit anderen Cardfiles, E-Mail-Adressen oder URLs verknüpfen.
Mit Ausnahme einiger Glanzlichter wie der neuen Chart-Engine von Quattro Pro und der Variablenfunktion von WordPerfect bringt der Upgrade für bisherige WordPerfect-Office-User wenig, und auch Anwender von Microsoft Office haben keinen Grund zum Umstieg - dies nicht zuletzt wegen der ziemlich happigen Upgrade-Preise. Günstiger kommt die Suite für Neukäufer zu stehen, die für unter tausend Franken ein komplettes Office-Paket inklusive Profi-Desktopdatenbank und Spracherkennungssoftware erhalten.