Surfer's Corner: Missbrauch und Misskalkulation beim Flatrate-Surfen

Die Flatrate hat ausgedient, und vielleicht ist es ja ganz gut so.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/10

     

Alles neu macht der Mai: Die Flatrate hat ausgedient, und vielleicht ist es ja ganz gut so. Der herkömmliche Dial-Up-Zugang, mit dem der Surfer per Analogmodem oder ISDN-Adapter ins Internet gelangt und dabei ständig eine eigentlich fürs Telefonieren vorgesehene Leitung belegt, ist in der Morgenröte des Breitbandzeitalters ohnehin nur noch für Landeier und andere User aus entlegenen Winkeln der Nation attraktiv, die weder über Kabelfernsehen noch über eine ADSL-fähige Telefonzentrale verfügen.




Es fördert also den Fortschritt ganz enorm, wenn die fusionierte Sunrise ihr bisheriges Freetime-Angebot just auf den Tag der Arbeit hin in Surfmax umbenennt und die schon vormals harschen Nutzungsbedingungen weiter der ökonomischen Realität anpasst. Gratis - das heisst zur Grundgebühr von dreissig Franken pro Monat - kommt man mit Surfmax nämlich nur noch zwischen fünf Uhr nachmittags und elf Uhr nachts sowie an Wochenenden und Feiertagen ins Netz.


Flatrate war gar nie

Die Angebotsminderung ist jedoch nur gering. Der Surfmax-Teilnehmer darf, anders als der bisherige Freetime-Kunde, jetzt nicht mehr die ganze Nacht ungestraft online bleiben. Eine echte Flatrate mit uneingeschränktem telefongebührenfreiem Surfen rund um die Uhr war Freetime demnach sowieso nie, und ein auch nur halbwegs professioneller Einsatz mit gelegentlichem Internet-Bedürfnis bei Tageslicht wurde durch das Angebot zu keiner Zeit unterstützt. Etwas laxer kommt das Konkurrenzprodukt von VTX Services daher: Forfait Privilege erlaubt nach wie vor zwischen 17 und 8 Uhr den vollen Surfgenuss ohne Gebührenzähler, kostet aber monatlich zwanzig Franken mehr als Surfmax und kappt die Verbindung nach vier Stunden.



Ähnlich ging es weiteren Flatrate-Anbietern hierzulande. Sowohl die Prime Line als auch der Nachzügler GTN mussten ihre offenherzigen Angebote schon nach wenigen Monaten wieder zurückziehen.





Mischrechnung misslungen

Warum herrscht überall Rückzugsstimmung? Schlicht und einfach deshalb, weil ein vollumfängliches Flatrate-Modell a priori nicht aufgehen kann. Wo eine Möglichkeit besteht, wird sie ausgenutzt: Die Annahme, ein Flatrate-Surfer werde im Schnitt bloss minim mehr online gehen als sein gebührenbehafteter Nachbar, ist Illusion. Da werden Webcams installiert, es wird nächteweise Software-Schrott heruntergeladen, und die Streaming-Server von Web-Radiostationen laufen heiss. Schliesslich bezahlt man jeden Monat dreissig Franken oder mehr.



So rechnet der Surfer. Und der Anbieter hat sich offenbar gründlich verrechnet. Grob betrachtet fallen bei jedem Dial-Up-Kunden neben administrativem Aufwand zweierlei Kosten an: Solange der Surfer online ist, wird erstens eine Dial-Up-Leitung voll und ganz belegt. Dabei handelt es sich zwar nicht um ein von Hand gestöpseltes Kabelgewirr mit individuellem Modem auf der Providerseite, aber auch die Ports eines Max 4000, oder wie der Access Switch sonst heissen mag, schlagen mit einigen hundert Franken pro Stück plus Maintenance zu Buche. Zweitens beansprucht der Surfer Bandbreite auf dem Backbone, und auch die kostet erheblich. Summa Summarum kann selbst das sprichwörtliche Milchmädchen berechnen, dass ein Kunde rasch ein paar Dutzend Franken pro Monat kostet - ganz zu schweigen davon, dass die Zahlungsmoral dieser Tage so wenig im Steigflug begriffen ist wie die Swissair.





Goodwill verspielt

Bliebe noch der Werbeeffekt: Flatrate wird vom Kunden als grosszügige Dienstleistung wahrgenommen; die Anbieter konnten zahlreiche neue Kunden gewinnen. Die Kundenbindung wird aber umso schwächer, je mehr Einschränkungen der Grosszügigkeit auferlegt werden. Und wer sich jegliche Sympathien verscherzen will, hat mit dem Statement der Sunrise-Pressesprecherin die ideale rhetorische Vorlage: "Wir mussten die Zeiten bei Freetime verkürzen, weil Missbrauch betrieben wurde". Statt zuzugeben, dass man sich verrechnet hat, einfach die Kunden beschuldigen - das, liebe Sunrise, ist alles andere als kundenorientiertes Geschäftsgebaren.



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