Endlich standardkonform
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/06
Microsofts Internet Explorer wartet zwar seit den Anfängen immer wieder mit neuen Exklusiv-Features auf, ist aber gerade deswegen bei Webdesignern verpönt, die im Sinn des W3C auf die offiziellen Standards setzen. Auch in der aktuellen Version 7 beherrscht der Browser nämlich trotz «Standards Mode» nicht die gesamte CSS2-Spezifikation, so dass sich eine im Vergleich zur Konkurrenz identische Seitendarstellung oft nur mit Tricks und speziell auf den IE abgestimmten Varianten im HTML-Code erreichen lässt.
Pünktlich zur Mix-Konferenz, wenn auch später als ursprünglich geplant, hat Microsoft nun Anfang März eine erste öffentliche Betaversion von Internet Explorer 8 (IE8) zum Download freigegeben. Die Vorabversion ist laut einem deutlich sichtbaren Warnhinweis auf der IE8-Website nicht für den produktiven Einsatz gedacht, sondern soll Webdesignern und Entwicklern von Webanwendungen dazu dienen, ihren Code rechtzeitig auf die neue Browserversion anzupassen. Microsoft hat zu diesem Zweck unter http://www.microsoft.com/windows/products/winfamily/ie/ie8/readiness/ einen «IE8 Readiness Toolkit» mit ausführlichen Informationen ins Netz gestellt.
Im Fall von IE8 bedeutet Anpassung auf die neue Browserversion unter anderem, die Hilfskonstrukte und Feinkorrekturen tunlichst zu entfernen, die bei den bisherigen IE-Versionen nötig waren. IE8 startet von Haus aus im standardkonformen Betriebsmodus. Und standardkonform heisst diesmal wirklich standardkonform, jedenfalls was HTML 4.01 und CSS 2.1 betrifft. Den Beweis tritt IE8 durch Bestehen des Acid2-Tests an: Erstmals zeigt ein Microsoft-Browser beim Aufruf der Testseite ganz korrekt den Smiley, ohne Verzerrungen und falsch dargestellte Elemente. Im Praxistest war dies zwar erst der Fall, als der Browser einmal kurz im IE7-Emulationsmodus gestartet und danach wieder in den standardkonformen Default-Modus umgeschaltet wurde, aber danach funktionierte es immer. Getestet haben wir unter Windows Vista SP1.
Für bisherige IE-Versionen bot Microsoft eine Developer Toolbar zum separaten Download an, die aber im Gegensatz zu den Firefox-Developer-Tools fast niemand kannte und nutzte.
Bei IE8 sind die Entwicklertools nun von Anfang an fix integriert: Das Developer-Tools-Fenster wird nach Anklicken des mit einem Cursorsymbol markierten Buttons ganz rechts in der Haupt-Toolbar angezeigt. Es präsentiert wahlweise die einzelnen Elemente des HTML-Codes, die CSS-Definitionen oder den gesamten Code der Seite inklusive Scripts. In der HTML-Ansicht zeigt die rechte Fensterhälfte den dem jeweiligen Element zugeordneten CSS-Stil, die zugehörigen Layout-Eigenschaften wie Ränder und Grösse oder sämtliche Properties mit Vererbungsangaben. Die Script-Ansicht bringt als eigentliches Zückerchen einen vollständigen Debugger mit Breakpoints, Variable Watcher und Anzeige des Callstack.
Ausserdem lässt sich im Developer-Tools-Fenster über das Menü «View» auch der Rendering-Modus einstellen. Zur Wahl stehen der neue «Standard»-Modus von IE8, der «Strict»-Modus von IE7 und der «Quirks»-Modus, in dem sich IE8 wie IE5 verhalten soll. Über ein weiteres Menü namens «Outline» lassen sich verschiedene Elemente direkt auf der Seite mit einer je nach Typ farblich unterschiedlichen Umrandung markieren.
Dem Endanwender zeigt sich IE8 nicht wesentlich anders als sein Vorgänger. Microsoft hat zwar mit komplett anderen Oberflächen experimentiert, darunter auch eine Variante im Ribbon-Stil von Office 2007. Zumindest für die vorliegende Beta 1 ist man dann aber doch beim vertrauten Aussehen von IE7 geblieben – das kann sich bis zum definitiven Release aber noch stark ändern, wie Windows-Guru Paul Thurrott aus «Quellen bei Microsoft» erfahren haben will. Das Fazit: Zum User Interface des IE7-Nachfolgers lässt sich noch nichts Endgültiges sagen.
Zwei «grössere» neue Features, die Microsoft schon in dieser Version herausstreicht, dürften aber bereits feststehen. «Activities» sind im Grunde eine generalüberholte Variante der mit IE5 eingeführten und mit IE6 wieder aufgegebenen «Smart Tags»: Es handelt sich um zusätzliche Optionen, die bei der Auswahl eines Seitenelements im Kontextmenü erscheinen und via Web-Services weiterführende Informationen abrufen. Wenn man in der vorliegenden Betaversion eine Textstelle auswählt, weist ein Icon mit grünem Cursorpfeil darauf hin, dass Activities zur Verfügung stehen.
Je nach Typ des ausgewählten Elements werden unterschiedliche Activities bereitgestellt: Zu einer markierten Textstelle lässt sich zum Beispiel eine Übersetzung, die Definition in der Encarta-Enzyklopädie oder eine Live-Maps-Karte anzeigen. Microsoft liefert verschiedene Activities für die eigenen Web Services mit, das API für die Funktion ist aber offen. Anbieter wie eBay, Facebook und Yahoo haben bereits eigene Activities entwickelt, die bei Microsoft.com zum Download bereitstehen.
Die zweite End-User-Neuerung in IE8 nennt sich «Web Slices»: Teile einer Webseite, die der Designer als Web Slice definiert hat, lassen sich durch Anklicken eines Icons abonnieren. Das abonnierte Web Slice wird als Lesezeichen in der Favorite Bar – eine der vielen «kleineren Neuerungen» von IE8 – abgelegt und beim Anklicken in Form eines Popup-Fensters angezeigt. Solche Web Slices sind laut Microsoft für den Surfer einfacher zu handhaben als traditionelle RSS-Feeds.
Puristen dürfte die neue, vom RSS-Standard abweichende Content-Subscription-Methode jedoch übel aufstossen, auch wenn Microsoft die Spezifikationen unter einer Creative-Commons-Lizenz freigegeben hat, so dass auch andere Browserhersteller das Feature implementieren können.
Bis zur endgültigen Version von IE8 dürfte sich nicht nur die Oberfläche noch ändern, es könnte auch weitere neue Funktionalität hinzukommen. Einige Neuerungen fallen jedoch schon in der ersten Betaversion auf:
- In der Adresszeile wird die Domain farblich hervorgehoben. Dies soll beim Erkennen gefälschter Websites helfen.
- Der Phishing-Filter heisst jetzt Saftey Filter und warnt auch vor Websites, die bekanntermassen Schadcode verbreiten.
- Automatic Crash Recovery sorgt nach einem Browserabsturz dafür, dass alle offenen Tabs inklusive Navigationshistory wiederhergestellt werden. Vor dem Crash ausgefüllte Formularfelder kann die Funktion aber nicht reproduzieren.
- Toolbars und andere Plug-ins, Search-Provider und Activities lassen sich im neuen Fenster «Manage Add-ons» zentral verwalten. Eine Filterfunktion zeigt zum Beispiel an, welche Add-ons im Moment geladen oder welche ActiveX-Controls vorhanden sind.