Editorial

Die Konvergenz findet statt, aber umgekehrt


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/21

     

Heim-Elektronik macht Computer-Markt Konkurrenz», lautet eine etwas bindestrichreiche Heise-Schlagzeile. Der Hintergrund: Der neueste PC-Forecast von Gartner stellt fest, dass das prognostizierte Stückzahlenwachstum von 10 Prozent im vierten Quartal einzig von geschäftlichen PC-Anschaffungen ausgeht. Privathaushalte würden trotz Vorweihnachtszeit weniger PCs kaufen als auch schon.
Gartner-Analyst George Shiffler, so die Heise-Meldung weiter, mache dafür einerseits die geringe Attraktivität des PCs für den Heimgebrauch verantwortlich – «abgesehen von der Mobilität gibt es einen auffälligen Mangel an Funktionen bei PCs für Privatnutzer» – und verweist andererseits auf die steigende Beliebtheit neuartiger Geräte der Heimelektronik. Von der vielgepriesenen Konvergenz des PCs mit der UE scheint nach den Gartner-Erkenntnissen die UE-Industrie offenbar mehr zu profitieren als die PC-Hersteller.





Das ist, so meine ich, hoffentlich richtig und hat seine sehr guten Gründe. Erstens ist ein PC auch mit den neuesten, ganz auf Multimedia getrimmten Betriebssystemen à la XP Mediacenter Edition nichts weiter als ein PC. Die Hinderlichkeiten im PC-Einsatz als UE-Gerät beginnen schon vor dem eigentlichen Betrieb: Der PC muss aufgestartet werden, und das dauert. Es dauert lang. Viel zu lang. Oder hat jemand schon mal von einem Fernseher gehört, der minutenlang nichts anderes tut als Begrüssungsbildschirme und Passworteingabeformulare anzuzeigen? Zwar bieten die neuesten Geräte gewisse Instant-On-Möglichkeiten, aber nur für die reine UE-Funktion. Und wie jedermann weiss, ist der permanent laufende PC, der nie abstürzt und zwischendurch einfach im Sleep-Modus vor sich hin existiert, reinstes Wunschdenken.
Zweitens ist auch der grösste Widescreen-Bildschirm moderner Notebooks und Desktops um Klassen kleiner als ein durchschnittlicher Fernseher. Es mag ja eine neue Dimension der Gemütlichkeit mit sich bringen, wenn die Familie sich zwecks Visionierung der frisch gekauften DVD eng gedrängt um den Wohnzimmer-PC versammelt, eine neue Dimension der Bequemlichkeit ist das nicht.






Drittens glaube ich auch nicht an einen unmittelbar bevorstehenden universellen Siegeszug des Home Entertainment Servers. Wer so etwas in seinem Heim auf PC-Basis realisiert, ist ein Bastler oder zumindest ein erfahrener Power-User. Nur schon der Aufbau eines Netzwerks, drahtlos oder nicht, überfordert die meisten Leute, die bloss mal Musik hören wollen. Daran haben bisher auch noch so raffinierte Wizards nichts geändert – meist funktioniert genau das nicht wirklich, was man wirklich braucht.





Viertens ist eine bestimmte Funktion auf einem dedizierten UE-Gerät meist viel einfacher zu benutzen als auf einem PC. Als Beispiel mag die Aufnahme von Fernsehsendungen auf
DVD-R dienen. Ich kann hier aus eigener Erfahrung berichten: Selbst mit einer Hardwarebox, die das Videosignal direkt ins MPEG2-Format umwandelt, muss nach der Aufnahme ein stundenlanger DVD-Encodierungsprozess ablaufen. Während dieser Zeit ist der PC für jede andere Nutzung faktisch unbrauchbar. Von Abstürzen während der Aufnahme und fehlgeleiteter Synchronisation will ich gar nicht weiter reden. Nach zahlreichen Versuchen schon kurz vor dem Nervenzusammenbruch, habe ich mir einen DVD-Recorder gekauft – eine Offenbarung an Benutzerfreundlichkeit und Aufnahmequalität. Nicht nur, dass ich zur Aufnahme einer Sendung bloss den ShowView-Code eingeben, eine leere DVD einlegen und den Timer-Knopf drücken muss – sogar die korrekte Speicherung der Sender für die ShowViev-Programmierung hat das Gerät beim ersten Einschalten automatisch erledigt. So, liebe PC-Hersteller, muss es laufen, und kein bisschen anders.

(ubi)


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