Editorial

E-Government: Kleines Dorf schlägt alle Städte

Vor einigen Tagen ist Rodersdorf das gelungen, worum selbst die urbansten Gegenden unseres Landes seit längerem ohne sichtbares Ergebnis ringen: E-Government beginnt hierzulande in einer peripheren Ecke.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/15

     

Rodersdorf ist eine ländliche 1300-Seelen-Gemeinde im hintersten Leimental, Kanton Solothurn, erreichbar zum Beispiel als Endstation der basellandschaftlichen Tramlinie 10, die kurz davor interssanterweise französisches Gebiet durchquert. Die Landschaft ist geprägt von schönsten Wiesen und sanften Hügeln - ideal für den Hundespaziergang.


Erster Guichet Virtuel der Schweiz

Das ist aber nicht alles, was es über die kleine Solothurner Exklave zu sagen gibt. Just vor einigen Tagen nämlich ist Rodersdorf das gelungen, worum selbst die urbansten Gegenden unseres Landes seit längerem ohne sichtbares Ergebnis ringen: Nicht Downtown Switzerland, nicht die Calvinstadt, auch nicht diejenige, die anders tickt, und schon gar nicht der Hauptort der Schweiz, in dem ja gerüchteweise sowieso alles etwas langsam vor sich geht, bieten ihren Einwohnern seit dem 18. April verschiedene Community Services per Internet an, sondern eben gerade dieses kleine Rodersdorf. E-Government beginnt hierzulande in einer peripheren Ecke - eins zu Null für die Landschaft.



Per E-Mail waren die Rodersdorfer Gemeindebehörden natürlich schon lange erreichbar. Neu gelangen per Internet abgegebene Einwohnerbegehren wie die Meldung von Um- und Wegzug und die Bestellung von Wohnsitzbestätigung, Heimatausweis, Leumunds- oder Handlungsfähigkeitszeugnis direkt ins Verwaltungssystem der Gemeinde und werden umgehend verarbeitet. Ausserdem bietet die Website www.rodersdorf.ch den Ansässigen Informationen aller Art vom Veranstaltungs- bis zum Abfallkalender und darüber hinaus auch Auskünfte über Geburten, Heiraten, Scheidungen oder Todesfälle, für die man bis anhin persönlich beim Einwohnermeldeamt vorzusprechen hatte. Genial: Beim Einstieg in die E-Government-Sektion der Gemeindehomepage wird einem nicht etwa eine amtsschimmlige Liste von Jargonbegriffen präsentiert, sondern erstens eine spezielle Suchmaschine und zweitens ein nach "Lebenslagen" zwischen Geburt und Tod gegliedertes Verzeichnis von Möglichkeiten.




Die Sicherheit steht auf dem Level von E-Banking, und sie wird durch ein zweistufiges Konzept gewährleistet: Wenig sensitive Informationen erhält man per online bestellbares Passwort; für emfindlichere Daten ist der auf dem ordinären Postweg erhältliche persönliche Zugangscode einzugeben.




Dorf schlägt Städte

Das Erstaunlichste am virtuellen Rodersdorfer Gemeindeschalter, der laut BaZ "ein Phänomen" ist: Das Ding wurde in kaum mehr als einem halben Jahr durchgezogen. Die technische Basis bildet die verbreitete Gemeindesoftware der Firma Ruf, die im Herbst 2001 einen Prototypen präsentierte; viel wichtiger ist jedoch die Einstellung der zuständigen Gemeindeorgane. Ich zitiere hier nochmals den Artikel der Basler Zeitung, laut dem der Rodersdorfer Gemeinderat Kurt Stoll deutlich gemacht hat, man müsse halt "liefern statt lafern" - "Eine schnelle Technologie fordert schnelle Entscheide."



Nun ist es wohl schon so, dass ein vergleichsweise kleines Landdörfchen bei der E-Government-Implementation weniger komplexe Probleme hat als eine Stadt vom Kaliber Zürichs, dies nur schon wegen der bereits vorhandenen und oftmals veralteten IT-Infrastruktur. Dennoch wäre es kaum schädlich, wenn sich die Behörden der grösseren Agglomerationen und erst recht die für noch weitergehende Projekte wie E-Voting verantwortlichen Organe von Kantonen und Bund eine Scheibe vom Spirit of Rodersdorf abschneiden würden.




Das wohl meistgehörte Argument der E-Government-Skeptiker: Die Sache ist zuwenig sicher. Das ist Unsinn. Technologien wie Verschlüsselung und Zugangskontrolle via User-ID und Passwort machen Online-Transaktionen mindestens so sicher wie ein Couvert, das per Post verschickt wird.




Sicherheitsprobleme lösbar

Auch die elektronische Unterschrift, nötig für Transaktionen wie Online-Abstimmungen und Bestellung von Pass und Identitätskarte, gäbe es bereits in höchst sicherer, standardisierter Technik, so dass zumindest aus informatorischen Gründen nicht lange um Produkte und Implementationen diskutiert werden müsste. Aber da hätte sich eben der Staat von Anfang an selbst ins Zeug legen müssen, statt die Vergabe von Zertifikaten für die digitalen Identitäten einer Privatfirma zu überlassen, die ein paar Jahre nach der Gründung aus Mangel an Rentabilität wieder eingeht: Behördliche Notwendigkeiten sind nun einmal von Natur aus nicht immer wirtschaftlich profitabel.



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