Gut analysiert ist halb gewonnen

ERP-Projekte sind meist ehrgeizig angelegt und zu komplex konzipiert. Gescheiterte ERP-Installationen sind deshalb keine Seltenheit.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/12

     

Die softwaretechnische Abbildung der gesamten Unternehmensprozesse, sprich die Einführung eines ERP-Systems, führt in der Regel zu hoch komplexen, länger andauernden und umfangreichen Projekten, was natürlich eine Reihe an Risiken und potentiellen Gefahrenquellen mit sich bringt. Die Folge: Immer wieder liest und hört man von gescheiterten Implementationen. Zielsetzungen, Budget- und Zeitplanungen wurden nicht erreicht oder eingehalten, Mitarbeiter äussern sich frustriert über die neue Software.



In der Tat sind viele Projekte oft zu ehrgeizig angelegt und zu komplex. Zuviel soll in zu kurzer Zeit realisiert werden. Management- und Unternehmenszielsetzungen sind zu weit gegriffen oder nicht genau genug formuliert. Viele Unternehmen verlieren denn auch im Projektdschungel den Fokus, denn bei einer Software-Implementation sollte es immer noch vordergründig um eine Vereinfachung, um eine Rationalisierung der Geschäftsprozesse, um eine höhere Transparenz, und um die Umsetzung neuer Managementsysteme gehen. Aber vor allem geht es auch um eine Kostenreduktion.




Geht man zudem davon aus, dass in einem ERP-Projekt die evaluierte Softwarelösung mit der Organisation gesamthaft und nahtlos verschmelzen muss, dann wird schnell klar, wo die Problemquellen liegen können. Denn nicht jeder Prozess im Unternehmen lässt sich durch eine Software abbilden, was zur Folge hat, dass ein ERP-Projekt in der Regel zu einem gegenseitigen und gemeinsamen iterativen Adaptionsprozess zwischen Software und Unternehmen führt. Genau in diesem Prozess kommt der Projektleitung und der gesamten Kommunikation eine entscheidende Bedeutung zu. Oliver Gürtler, Sales Director bei Step Ahead: "Software und Organisation müssen - geführt und gesteuert von der Projektleitung - zu einem Team werden und ein gemeinsames Ziel verfolgen. Dabei sollte die Software die Organisation optimal unterstützen, aber andererseits kommt es vor, dass sich die Organisation auch der Software anpassen muss."


Ohne eine saubere Analyse geht gar nichts

Man lernt es eigentlich in jedem Projektmanagementkurs, doch wird sie immer wieder sträflich vernachlässigt: Die saubere, minutiöse und gemeinsam erarbeitete Analyse ist der Einstieg und die Grundlage eines jeden Projekts. Und trotz des Wissens um die hohe Komplexität eines ERP-Projektes wird gerade in dieser Phase zu schnell, zu oberflächlich und zu ungenau gearbeitet. Häufig stehen die Projektverantwortlichen vor einem Dschungel von Informationen. Eine Vielzahl von Beteiligten redet im Projekt mit, verschiedene Wünsche und Zielsetzungen im Unternehmen stehen ungeordnet und ungewichtet im Raum. Ein professionelles - mit entsprechendem Methoden-, IT- und Fachwissen - und gemeinsames Projektmanagement seitens des Implementierungspartners und des Kunden ist gefragt. Und es lohnt sich die Zeit zu nehmen, denn die Phase von den ersten Kundenkontakten bis hin zur eigentlichen Vertrags- und Projektunterzeichnung ist entscheidend für den Projekterfolg. Christine Schlüter, Senior Marketing Manager E-Business Suite bei Oracle Software: "Als Grundregel gilt: Für ein erfolgreiches Projekt müssen 80 Prozent der Anforderungen des Kunden standardmässig durch das Produkt erfüllt werden. Deshalb sind genaueste Abklärungen im Vorfeld notwendig, seitens des Anbieters wie auch vom Kunden selbst."





Das gemeinsame Ziel muss allen klar sein

Wichtig für alle Projektbetroffenen ist ein klar erkennbarer Handlungsbedarf: Durch das gemeinsame Problembewusstsein wird die Motivation zur Projektmitarbeit positiv beeinflusst. Dabei gilt es im Vorfeld nicht nur zu definieren, was das Unternehmen heute braucht, sondern auch in die nähere und weitere Zukunft zu blicken. Nur wenn sich Kunde und Lieferant in gleichem Ausmass über die Zielsetzung, den Umfang, die Umsetzungsdetails und auch über mögliche Auswirkungen, Risiken und Krisenszenarien im klaren sind, ist eine beidseitig zufriedenstellende Implementierung möglich und können Budget- und Zeitvorgaben eingehalten werden. Lars Frutiger, Marketingleiter bei Ramco Systems: "Der wichtigste Faktor für ein erfolgreiches ERP-Projekt ist und bleibt ein klares gemeinsames Commitment."





Die Kommunikation liegt im Argen

Gerade wenn man Mitarbeiter befragt, die eine ERP-Implementation in ihrem Unternehmen miterleben oder miterlebt haben, schwingen sehr häufig grosse Unzufriedenheit und Missmut mit: Das Ganze ist viel zu komplex. Äusserungen wie diese verweisen deutlich auf einen weiteren wichtigen Baustein einer erfolgreichen ERP-Implementierung hin: der Faktor Mensch und die Kommunikation. Nur zu oft stehen Businessprozesse und die Technologie im Vordergrund, die interne und externe Projektkommunikation sowie die Mitarbeiterausbildung wird jedoch auf Sparflamme gehalten. Sehr häufig sind sowohl die betroffenen Mitarbeiter als auch das untere und mittlere Kader nur unzureichend über den Projektumfang, die Projektdauer und vor allem über die Zielsetzungen, den Nutzen und die Gründe, die zu dieser Massnahme geführt haben, informiert. Demotivation und sinkende Akzeptanz sind die Folge.



Doch gerade wenn man die hohe Komplexität der Businessprozesse betrachtet, die es softwaretechnisch anzubinden gilt, braucht es die motivierte Mitarbeit und das Mitdenken aller Verantwortlichen im Unternehmen. SAP-Marketingleiter Hansruedi Kuster: "ERP ist die Mission-Critical-Application eines Unternehmens. Gerade in der Implementierungsphase muss deshalb die ganze Belegschaft motiviert werden, ihre Arbeitsweise zu überdenken, Prozesse zu verbessern, um einen gesamthaften Konkurrenz- und Kostenvorteil zu erzielen."





Das Wichtigste: Der richtige Implementierungspartner

Schliesslich ist natürlich der Implementierungspartner, das Systemhaus oder der Vertriebspartner gefragt, welcher das ERP-Projekt führt und die Software beim Kunden installiert. Insbesondere in diesen Unternehmen braucht es ein vielschichtiges Kompetenzprofil, denn hier fliessen die Fäden der Verantwortung zusammen. Ob nun die Projektverantwortung bei mehreren Personen des Implementationshauses liegt, wie das bei grossen Projekten der Fall ist, oder in nur wenigen Händen: Wenn es um ERP-Projekte geht, steht nicht nur das IT- bzw. EDV-Know-how im Vordergrund, sondern das Verstehen und Abstrahieren von Businessprozessen innerhalb der Branche des Kunden, professionelle Projektmanagement-Kenntnisse, eine optimale Projektkommunikation und Teambildungsfähigkeit sowie ein ausgereiftes Krisenmanagement. Denn während des Projektes gilt es, immer wieder Probleme zu meistern, IT- und Supportfälle zu lösen und unternehmerische Neuerungen oder Änderungen effizient und plausibel in der Software umzusetzen.



Gerade aus der Sicht des Kunden ist ein "passender und guter" Softwarebegleiter besonders viel wert, denn die Installation eines ERP-Systems ist in der Regel eine Investition auf längere Sicht. Und eine auf lange Sicht zufriedenstellende Lösung ist nicht immer nur von der Qualität des Softwareprogramms abhängig, sondern steht und fällt mit der Kompetenz des Partners.





Dem Produkt kommt wenig Schuld zu

Ein ERP-Projekt bringt grundsätzlich drei potentielle Risikofaktoren, aber auch wichtige Erfolgsfaktoren ins Spiel:




• die Softwarelösung, die möglichst flexibel und vielschichtig die Unternehmensprozesse optimieren und unterstützen soll,




• das implementierende Softwarehaus, das in der Regel die Software einführt und die Projektleitung übernimmt,




• der Kunde respektive das Unternehmen, das sich für die Einführung eines Systems entscheidet.



Ob man nun Kunden, Unternehmen oder Softwarehersteller befragt, mehrheitlich wird klar: An der Qualität der Softwarelösungen liegt es selten alleine, wenn ein Projekt seine Ziele verfehlt oder gar scheitert. Das unterstreichen auch aktuelle Untersuchungen: In einer Studie von Cap Gemini im Jahr 2002 werden die Stabilität, die Qualität und die Ergonomie der ERP-Systeme von den Unternehmen weitgehend als gut bewertet. Einer spontanen Befragung der Hersteller durch InfoWeek zufolge, liegen die kritischen Ursachen vor allem in den Bereichen saubere Projektanalyse, professionelle Projektkommunikation und -leitung inklusive Krisenmanagement und dem Organisationszustand des Kunden.



Auch das Zentrum für Prozessgestaltung Aargau (ZPA) der Fachhochschule Aargau ging in einer umfangreichen Untersuchung den Gründen für das Scheitern von ERP-Projekten nach. Am häufigsten wurden dabei von den befragten Unternehmen die ungenügenden Ressourcen für das Projekt genannt: Das Projekt benötigt mehr Zeit und Mittel als angenommen. Zudem lastet ein Grossteil der Aufgaben immer auf den gleichen Mitarbeitern, und oftmals wird das Tagesgeschäft vom Projektteam prioritär behandelt.



Weitere häufig genannte Misserfolgsfaktoren sind die mangelnde Sozialkompetenz der Mitarbeiter im Projektteam, das heisst insbesondere die fehlende Team- und Konfliktfähigkeit. Unrealistische zeitliche Vorgaben oder ein zu ambitionierter Zeitplan kann die Mitarbeiter überfordern und daher demotivierend wirken. Dr. Marcel Siegenthaler, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Berater am Zentrum für Prozessgestaltung: "Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass primär nicht technische Gründe das Scheitern der Projekte verursachen."




Der Autor Jörg Rüdiger ist Inhaber einer Kommunikations- und Marketingagentur in Baar.



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