IT Realities: Der Arbeitsmarkt ist zum Karussell geworden

Im Herbst 2000 ist der Arbeitsmarkt in der IT-Branche zu einem Karussell geworden, das sich mit rasender Geschwindigkeit dreht. Auf- und Absprünge folgen sich im Monatsrhythmus. Kündigungen erfolgen oft, bevor sich Mitarbeiter an der neuen Stelle richtig eingearbeitet haben.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2000/35

     

Remo Müller, IT Leiter eines grösseren Unternehmens, wirkte sichtlich enttäuscht, als ich ihn in der vergangenen Woche zum Essen traf. Seit Ende der Sommerpause hielt er nach einem Visual-Basic-Programmierer Ausschau - und noch immer war die Stelle unbesetzt. Die Inseratekosten hatten die Höhe dessen längst überschritten, was als Monatssalär für den Programmierer im Budget stand, doch qualifizierte Bewerber schienen vom Markt verschwunden zu sein. Und von seinem früheren Programmierer hatte Remo gehört, der Lohn an der neuen Stelle sei um mehr als die Hälfte gestiegen und erreiche fast 10'000 Franken im Monat. Netto.



Was mir Remo berichtete, ist alles andere als ein Einzelfall. Insidern der IT-Branche ist bestens bekannt, dass in der Schweiz gegenwärtig 10'000 Informatiker fehlen. Immer mehr IT-Spezialisten wissen die Situation aufs kräftigste zu nutzen. Selbst Mitarbeiter mit noch wenig Erfahrung halten nicht nur am Wochenende nach Möglichkeiten zum Absprung Ausschau, sondern auch während der Arbeitszeit. Ganze Teams begeben sich geschlossen auf Stellensuche, in der sicheren Erwartung, den Lohn handfest steigern zu können. Wer dem Unternehmen die Treue hält, riskiert, bei manchen Bekannten als hoffnungslos realitätsfern zu gelten. Zu verlockend scheinen die Berichte über Löhne in luftigen Höhen - weit oberhalb dessen, was nach den Erhebungen der Branchenverbände SVD (Schweizerische Vereinigung für Datenverarbeitung) und WIF (Wirtschaftsinformatik-Fachverband) angemessen ist.




Jobhopping nannte sich der schnelle Stellenwechsel Ende der achtziger Jahren. Im Vergleich mit der heutigen Situation haftet dem Ausdruck Beschaulichkeit an. Im Herbst 2000 ist der Arbeitsmarkt in der IT-Branche zu einem Karussell geworden, das sich mit rasender Geschwindigkeit dreht. Auf- und Absprünge folgen sich im Monatsrhythmus. Kündigungen erfolgen oft, bevor sich Mitarbeiter an der neuen Stelle richtig eingearbeitet haben.



Kein Wunder, dass auch Headhunter gierig über der Beute kreisen: Für jeden Abschluss winkt eine komfortable Prämie, oft in der Höhe eines Vierteljahressalärs. Mit Verwunderung erzählte mir ein frisch angestellter Webconsultant, er sei bereits nach zwei Wochen bei einem neuen Arbeitgeber von einem wildfremden Stellenvermittler angerufen worden, der über seinen beruflichen Werdegang bis ins Detail Bescheid wusste. Auftraggeber war nicht eine Winkelfirma, sondern eines der weltweit renommierteste Beratungsunternehmen.



Es gehört zum Wesen der Marktwirtschaft, dass Arbeitnehmer ihre Kenntnisse zum bestmöglichen Preis verkaufen. Völlig zu recht. Wer eine teure Ausbildung hinter sich hat und zum Erfolg des Unternehmens beiträgt, soll auch von einem guten Salär profitieren können.



Das Mass der wirtschaftlich erträglichen Fluktuation ist aber längst überschritten. Wenn Stellenwechsel lediglich dazu dienen, das Entgelt für ganz alltägliche
Leistungen in astronomische Höhen zu treiben, verzerren sich die wirtschaftlichen Gesamtrelationen und es entstehen soziale Spannungen.



Unter der Situation leiden jene IT Unternehmen am meisten, die ihren Mitarbeitern kaum Pluspunkte zu bieten haben und Bewerber nur mit hohen Salären zu ködern vermögen. Löhne und Vermittlungsgebühren werden für derartige Betriebe rasch zu einem gewichtigen Kostenfaktor. "Schmerzensgeld" nennt die Branche entsprechende Zahlungen mit gutem Grund.



Sind Unternehmen der Situation einfach ausgeliefert? Keineswegs. Mit den richtigen Massnahmen lassen sich Mitarbeiter überzeugen, dass sich ein Verbleiben an einer Stelle lohnt. Fortschrittliche Unternehmen gewähren ihren Mitarbeitern Optionen auf die Firmenaktien und lassen sie am Gewinn teilhaben. Gute Sozialleistungen mit grosszügig bemessenen Ferien gehören zu den zusätzlichen Punkten, die eine rasche Fluktuation vermindern. Attraktive Arbeitgeber zeichnen sich zudem durch ein gutes Betriebsklima aus. Flache Hierarchien wirken motivierend - die Mitarbeiter können schneller Verantwortung übernehmen.



Langfristig denkende IT-Spezialisten wissen natürlich, dass sie sich mit einem allzu raschen Stellenwechsel ins eigene Fleisch schneiden. Ist noch zu wenig Können vorhanden, um den hohen Lohn zu rechtfertigen, liegt beim Arbeitgeber das Wort "Kündigung" dann auch nicht mehr fern.




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