Näher beim Kunden mit Web 2.0

Web-2.0-Technologien ermöglichen Unternehmen einen direkteren Kontakt zu ihren Kunden. Das wiederum führt zu besseren Produkten. Lead

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/07

     

Web 2.0 sorgt bei vielen IT- und Marketingverantwortlichen für Kopfzerbrechen. Einerseits fehlen klare Konzepte und bewährte Blueprints, die man aufgreifen kann und die in der Geschäftsführung Akzeptanz finden. Andererseits attestieren Medien jeglicher Couleur den neuen Ansätzen ein enormes Potential.


Dass es sich bei Web 2.0 nicht nur um einen PR-lastigen Hype wie um Second Life handelt, unterstreicht auch Gartner in einer aktuellen Studie: Die Analysten bewerten Web-2.0-Technologien in ihrem «Hype Cycle 2007» als Top-IT-Thema der nächsten Jahre. Gartner empfiehlt Unternehmen, sich umgehend mit Web 2.0 vertraut zu machen und auszuprobieren, welche Anwendungen und Tools strategischen Nutzen bringen. Allerdings nicht ohne entsprechende Kontroll- und Sicherheitsstrategien bei deren Verwaltung zu überdenken.


Web 2.0 beschleunigt die Kommunikation

Unternehmen stehen kontinuierlich vor der Aufgabe, Informationen und vor allem Wissen besser zu vernetzen. Vorausschauende Unternehmen wollen darüber hinaus das Wissen ihrer Mitarbeiter langfristig erhalten. Wenn sich in den nächsten Jahren die Jahrgänge der Baby-Boomer in den Ruhestand verabschieden, geht mit ihnen eine Unmenge an Wissen und Erfahrungen verloren. Das wirft natürlich die Frage auf, wie Erfahrungen und ein über die Jahre gereiftes Bauchgefühl mit technischer Hilfe fixiert werden können.



Die Antwort ist ein klares «gar nicht» – die heisse Herdplatte muss schon jeder selber einmal angefasst haben. Trotzdem lässt sich ein beträchtlicher Anteil an Wissen digital abbilden, festhalten und damit für andere nutzbar machen. Etwa die Antworten auf wiederkehrende Fragen wie:




- Warum wurde eine bestimmte Produktidee nicht umgesetzt?
- Weshalb war ein bestimmter Messeauftritt erfolgreich und ein anderer nicht?

- Welche Lieferanten gelten als zuverlässig und springen auch in Notfällen ein?

- Warum wurde die Zusammenarbeit mit einem Geschäftspartner beendet?

- Warum wurde ein bestimmtes System angeschafft und was sprach gegen die Alternativen?


Bislang schlummert solches Know-how in Köpfen, Ablagen, Meeting-Protokollen und E-Mail-Archiven der Experten jeweiliger Abteilungen. Das Wissen ist streng hierarchisch und an Personen gebunden abgelegt. Der direkte Zugriff für andere ist nicht möglich. Der Einzelne hat die Wissenshoheit. Wer dieses Wissen braucht, muss zum Telefonhörer greifen oder eine E-Mail schreiben – sofern er überhaupt weiss, wer über das Wissen im Unternehmen verfügt. Einen Ausweg versprechen Web-2.0-Technologien und webbasierte soziale Netzwerke.


Annäherung an externe Zielgruppen

Eine These, für die sich immer mehr Beispiele finden. Die Begründung liegt auf der Hand: Bislang ist es teuer und aufwendig, herauszufinden, was König Kunde will. Angenommen, Unternehmen stünden mit ihren Kunden in direktem Kontakt und wüssten über deren Wünsche und Vorlieben Bescheid – wäre das nicht ein enormer Vorteil?

Unternehmen könnten direkt fragen, «mögt ihr lieber einen neuen Kiwi-Limone-Badezusatz oder Orange-Lavendel?». Oder die Kunden würden vorschlagen, «wir hätten gerne Limone-Lavendel». Leistungen der Marktforschung oder Trendscouts könnten damit zum Teil eingespart werden. Unternehmen wie Henkel haben sich bereits mit diesem Szenario angefreundet und Communities mit Web-2.0-Features aufgebaut. Im www.womensnet.de sind einige Hunderttausend Nutzer registriert, die sich rege über neue Beauty-Ideen und Styling-Tips austauschen. Diese Nutzer werden von reinen Konsumenten zu sogenannten «Prosumenten», da sie mit ihrem Verhalten, ihren Beiträgen und Kommentaren direkt auf das Produkt-Portfolio Einfluss nehmen. Henkel hört in der Community interessiert zu:



- In einem «Ideen-Pool» können Kunden ihre eigenen Produktideen an Henkel senden – die besten Ideen erhalten Sachpreise.



- Online-Umfragen, die regelmäs­sig von einem eigens angestellten Marktforschungsspezialisten durch-geführt werden, geben Aufschluss, ob neue Produktideen ankommen könnten. Das Feedback fliesst direkt in die Produktentwicklung.

- Diskussionen in Foren geben Henkel Aufschluss über Trends. Werden beispielsweise Themen wie Nachhaltigkeit immer stärker diskutiert, kann das Unternehmen mit entsprechenden Produkten, Sponsoring oder Imagekampagnen rechtzeitig reagieren und den Trend positiv nutzen.

- Über ein Testcenter werden regelmässig Probanden zum Ausprobieren und Bewerten neuer Produkte gefunden. Henkel braucht keine Agenturen zwischenzuschalten, die Freiwillige aus ihrer Zielgruppe sucht.


Ein Selbstläufer sind solche Communities jedoch nicht. Feedback muss kontinuierlich ausgewertet und die Mitglieder mit neuen Angeboten bei Laune gehalten werden. Denn der Kampf um Konsumenten, die sich in Communities engagieren, ist gross. Auch einige klassische B2B-Anbieter wie Webasto haben sich den Nutzern ihrer Produkte geöffnet. Der bayerische Automobilzulieferer setzt eine Lösung ein, über die eine ausgewählte Kunden-Community Ideen zu Produkten wie Schiebedächern, Standheizungen und Klimaanlagen weiterentwickeln kann. Die Idee, die Konsumenten zu «Prosumenten» zu machen, erklärt Alexander Lang, Marketing-Leiter bei Web­asto, folgendermassen: «Unsere Ingenieure arbeiten oft an inkrementellen Verbesserungen. Bei der Web-Community geht es aber ganz klar um diskontinuierliche Innovationen. Selbst wenn aus dem eigenen Haus völlig neue Ideen kommen, weiss man immer noch nicht, ob die wirklich auf Kundenbedürfnissen beruhen.» Ein weiterer positiver Effekt für Webasto: Mit «Approved by the customer» haben sie ein neues Vertriebsargument entwickelt.


Web 2.0 wird Alltag

Wie hätte man wohl vor zehn Jahren auf folgende Wette reagiert? «Ich wette, dass in den nächsten zehn Jahren eine lose Web-Community die gesamte Encyclopaedia Britannica (und noch mehr) quasi ohne Budget und ohne zentrale Erfolgskontrolle im Web mittels einer recht simplen Technologie abbilden und kontinuierlich weiterentwickeln wird.»
Das Beispiel Wikipedia veranschaulicht die Kraft der Veränderung, die darin liegt, Nutzermassen in Entwicklungsprozesse zu involvieren und diese so durch Nutzer lenken zu lassen. Diese Kraft wird in vielen Bereichen Auswirkungen haben.

Unternehmen werden zukünftig einen Teil ihrer Informationshoheit abgeben. Denn neben Werbung, Broschüren und Websites werden Kunden und Interessenten zusätzlich die Meinungen anderer Nutzer in freien Foren oder Blogs zu Rate ziehen, um eigene (Kauf-)Entscheidungen zu treffen. Diese Meinungen lassen sich durch beste Produkte, eine offene Kommunikationskultur nach innen und aussen sowie den Aufbau eigener Web-2.0-Angebote in Sinne des Unternehmens positiv beeinflussen.



Web 1.0 hat eine grössere Markt- und Preistransparenz gebracht. Web 2.0 macht die Qualität von Leistungen und Produkten transparenter. Dieser Prozess kann und sollte als Chance gesehen werden, wobei die technische Web-2.0-Lösung wichtig für den Erfolg ist, aber immer nur Erfüllungsgehilfe guter Konzepte sein kann.


Der Autor

Marcus Bond ist Marketing & Communications Manager bei der RedDot Web Solutions Group.




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