IPv6 – Eine Grundlage für Innovation

Laufende Projekte und Prototypen zeigen, wie auf dem kommenden Internetprotokoll IPv6 neuartige Dienste und Produkte entwickelt werden können.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/11

     

IPv6 ist eine Weiterentwicklung des heute breit eingesetzten IPv4 und damit das Internetprotokoll der Zukunft (siehe auch InfoWeek 02/2004). Eine Vielzahl von Integrationsmechanismen ermöglichen eine sanfte Einführung von IPv6 bei gleichzeitigem Parallelbetrieb mit IPv4.
Die meisten Diskussionen drehen sich heute um die Frage, ob wir IPv6 überhaupt brauchen und ob es geeignet ist, das bewährte und robuste IPv4 abzulösen. Diese Fragestellung lässt ausser acht, dass IPv6 mit seinen erweiterten Funktionen viel mehr sein wird als nur ein Ersatz von IPv4. IPv6 integriert alles, was sich bei IPv4 bewährt hat, und ist zusätzlich auf die Kommunikationsbedürfnisse von morgen ausgerichtet. Es stellt die Grundlage für die Entwicklung von neuartigen Diensten und Produkten dar. Damit eröffnet IPv6 neue Märkte und Marktchancen. Innovation ist angesagt.





Welche neuen Möglichkeiten eröffnen sich durch IPv6? Anhand von konkreten Beispielen wird klar, dass die Hersteller schon länger sehr aktiv an der Entwicklung von IPv6-fähigen Geräten und Technologien arbeiten und in welche Richtungen ihre Pläne führen.


Asien geht voran

Betrachtet man die globale Ausbreitung von IPv6, so stellt man fest, dass die Verbreitung in Asien aufgrund des dort akuten Adressmangels viel weiter fortgeschritten ist als in anderen Teilen der Welt. Seit der Ankündigung des amerikanischen Verteidigungsministeriums (DoD) im Sommer 2003, das gesamte DoD-Netzwerk bis im Jahr 2008 auf IPv6 umzustellen und ab sofort nur noch IPv6-fähige Hard- und Software einzukaufen, hat sich der Markt jedoch stark beschleunigt und auf die ganze Welt ausgedehnt. Hersteller entwickeln IPv6-fähige Produkte, Internet Service Provider bereiten sich intern auf eine Einführung vor und reservieren grosse Adressblöcke.





Ein Beispiel eines Providers, der bereits global kommerzielle IPv6-Dienste anbietet, ist NTT/Verio. Er begann 2001 in Japan, heute stehen die Dienste auch in Europa, in den USA sowie in einigen asiatischen Ländern zur Verfügung. NTT/Verio betreibt dafür zwei Network Operation Center (NOC), eines in den USA, das andere in Japan. Mittlerweile hat die Firma bereits mehr als drei Jahre Erfahrung im Betrieb von IPv6-Netzwerken über den eigenen Backbone.


Japan zeigt Geräte

Japan und China übernahmen schon früh die Führung in Sachen IPv6. Im März 2001 wurde beispielsweise das staatliche «e-Japan Priority Policy Program» veröffentlicht, mit dem der Aufbau eines landesweiten IPv6-Netzwerks bis 2005 verkündet wurde.
Inzwischen hat man im Land der aufgehenden Sonne einen Showroom eingerichtet, in dem Hersteller ihre IPv6-fähigen Geräte zeigen, und Elektronikriese Sony hat vor mehr als einem Jahr angekündigt, dass ab 2005 für sämtliche Geräte IPv6-Support verfügbar sein wird. Hier einige Beispiele aus dem Showroom:






Toshiba zeigt einen Kühlschrank und ein Mikrowellengerät mit eingebautem Router und IPv6-Support. Die Geräte können über ein Panel bedient werden und sind über Webzugriff und E-Mail kontrollierbar.



Sanyo präsentiert eine IPv6-fähige Digitalkamera, ein TV-Gerät sowie einen Homegateway. Mit der Kamera können digitale Bilder von unterwegs über ein öffentliches Funk-Netzwerk direkt nach Hause geschickt werden. Das TV-Gerät kann von unterwegs über das Internet gesteuert werden. Verschiedene Teilnehmer können damit von verschiedenen Orten aus gemeinsam Bilder und Filme anschauen.



Canon stellt ein Webkamerasystem aus, das von unterwegs gesteuert werden kann.



Nokia Japan hat in Zusammenarbeit mit NTT/Verio einen Internet-Terminal entwickelt, der Wireless-, RFID- und Mobile-IPv6-Technologie kombiniert. Damit soll Mobilität kombiniert mit einem sicheren und zertifizierten Internetzugriff auf Basis von IPv6 demonstriert werden.


Im Gesundheitswesen

Dass dies nicht nur utopische Zukunftsszenarien sind, zeigen Projekte wie das Guardian Angel System (GANS) in Deutschland. Dies ist ein Pilotprojekt des Universitätsspitals Tübingen und der Universität von Stuttgart, welche zusammen mit Ericsson ein System entwickelt haben, das einem Notfallteam im Einsatzwagen oder auf einer Unfallstelle permanenten Kontakt mit einem Spezialistenteam in der Klinik ermöglicht. Die Umsetzung basiert auf IPv6 und Mobile IPv6, welche die Verbindung aufrechterhalten können, auch wenn die Ambulanz auf der Schnellstrasse unterwegs ist. Die Integration beinhaltet Technologien wie 2G-, 3G- und Wireless-Netzwerke und transportiert drei Datenströme parallel, Sprache, Daten und Bild. Dieser Pilot ist Teil des 6WINIT-Projektes, einer EU-Initiative.


Im Auto

Der Fahrzeughersteller Renault arbeitet mit Cisco Systems am vernetzten Auto der Zukunft. Bereits wurde der Öffentlichkeit ein Prototyp vorgestellt, in den ein Cisco Router mit einer Mobile-IPv6-Implementation eingebaut ist. Somit steht im Wagen ein IPv6-basierendes Netzwerk zur Verfügung, welches für die verschiedensten Funktionen und Dienste verwendet werden kann. Auf der einen Seite wird das Netzwerk für Überwachungs- und Steuerungsfunktionen verwendet. Auf der anderen Seite können Strassenzustands-, Wetter- und Verkehrsinformationen über das Netzwerk bezogen werden.





Für Unternehmen eröffnet die Vernetzung des Autos neue Möglichkeiten für effizientes Flottenmanagement. Mitfahrer können das Netzwerk verwenden, um mit einem Notebook oder einem anderen IP-fähigen Gerät ins Internet zu gelangen. Dank der Implementation von Mobile IPv6 kann der Router das Netzwerk wechseln, um je nach Standort die beste Verbindung zur Verfügung zu stellen, ohne dass die Teilnehmer und Geräte im Wageninneren ihre Verbindung verlieren. Andere Fahrzeughersteller wie beispielsweise BMW und DaimlerChrysler arbeiten an ähnlichen Projekten.


Mobiltelefonie über IP

Der grösste Boom könnte in den Bereichen Mobiltelefonie und Voice over IP (VoIP) entstehen. Viele Firmen haben heute intern VoIP eingeführt oder mindestens ein Projekt bereit, um bei der nächsten Investition in die Telefonie die Umstellung durchzuführen. Heute steht meist ein Router am Übergang, welcher von extern wie eine normale Telefonzentrale erreichbar ist und die Anrufe intern über IP an die gewünschten Teilnehmer weiterleitet. Im nächsten Ausbauschritt dürfte die Telefonie generell und global über IP laufen, was eine Verschmelzung von Fixnetztelefonie, 3G- (UMTS-) und anderen Drahtlos-Netzwerken bedeutet. Die Deutsche Telekom geht heute davon aus, dass bis im Jahr 2020 die ganze globale Telefonie IP-basiert sein wird.


VoIP über WLAN

Die Hersteller sind derzeit damit beschäftigt, Möglichkeiten und Angebote zu testen. Intel zum Beispiel hat die VoIP-Startup-Firma Telesym gegründet, welche mobile VoIP-Angebote für Firmen zur Verfügung stellt. Anbieter wie Motorola, Avaya und Proxim arbeiten an Geräten, die WLAN und Mobilfunk integrieren. Ein mobiles Telefon wird dann eine IP-Adresse haben und über diese erreichbar sein. Viele mobile Telefongeräte im Handel bieten schon heute IPv4- und IPv6-Unterstützung. Was zur Unabhängigkeit von Standort und Gerät noch fehlt, ist, dass die Telefonanbieter IP in ihr Dienstangebot integrieren.





In Zukunft werden wir nur noch ein mobiles Telefongerät haben, welches mit dem Mobilnetz verbunden ist, solange wir unterwegs sind, und ins Firmen- oder Heimnetzwerk wechselt, wenn wir zurückkommen. Ein solches Szenario setzt eine Vielzahl von IP-Adressen und Mobilitätsmechanismen voraus, da ohne diese ein unterbruchsfreier Netzwerkwechsel nicht möglich ist.


VoIP in gemischten Netzen

Die Internet-Telefonie wird den Telekommunikationsmarkt revolutionieren. In der Vergangenheit basiert VoIP-Dienste in der Regel auf der H.323-Technologie. Heutige und zukünftige Dienste benutzen demgegenüber das Session Initiation Protocol (SIP), welches nicht nur für Internet-Telefonie die Grundlage darstellt, sondern auch das Protokoll der Wahl für eine ganz neue Generation von Multimediadiensten sein wird.
Das Hauptproblem bei der Ausbreitung stellen heute noch die vielzähligen NATs (Network Address Translator) und die Benutzung von privaten IPv4-Adressen dar. Der praktisch unbeschränkte Adressraum von IPv6 sowie die Möglichkeiten für Autokonfiguration und bessere Unterstützung von mobilen Diensten und Sicherheit werden hier Abhilfe schaffen.


Das Projekt 6net

Es ist jedoch anzunehmen, dass sich IPv6-Netzwerke nur schrittweise ausbreiten werden. Dies bedeutet, dass wir eine relativ lange Übergangszeit vor uns haben, in der beide Protokolle parallel vorkommen und miteinander kommunizieren können müssen. Aus diesem Grund hat das von der Europäischen Kommission unterstützte Projekt 6net (www.6net.org) eine Lösung erarbeitet, welche den Einsatz von VoIP in gemischten Netzwerken ermöglicht.
Dafür wurde eine SIP-basierende VoIP-Infrastruktur entwickelt, die sich aus folgenden Komponenten zusammensetzt:






• Der SIP Express Router, eine bei ISP und ASP breit eingesetzte und stabile Plattform für das Erstellen von VoIP-Sessions, wurde für den Einsatz mit IPv6 erweitert.


• Um eine VoIP-Session zu starten, kann ein man entweder ein IP-Telefon oder einen Softagenten auf einem PC einsetzen. Im Rahmen des 6net-Projektes wurde beispielsweise das Open-Source-Tool KPhone für den Einsatz mit IPv6 erweitert.


• Es wurde ein Übersetzungs-Gateway entwickelt, welches es IPv4- und IPv6-SIP-Geräten erlaubt, miteinander zu kommunizieren, indem die SIP-Nachrichten und die Mediadaten zwischen den IPv4- und IPv6-Netzwerken übersetzt werden.
Weitere Informationen über dieses Projekt findet man unter www.iptel.org. Dort kann man sich auch als User registrieren und die IPv6-basierenden VoIP-Dienste in Anspruch nehmen.


Autorin

Silvia Hagen ist Inhaberin und Senior Consultant des Netzwerkspezialisten Sunny Connection AG und Autorin des Buches «IPv6 - Grundlagen - Funktionalität - Integration», dessen Buchtaufe am 3. Juni im Rahmen des 2. Swiss IPv6 Summit im Zürcher Technopark stattfindet. Frau Hagen wird am Vortag des Summit, am 2. Juni, ein dreistündiges Tutorial zu IPv6 durchführen und am 3. Juni über den Business Impact referieren.


Infos: http://ch.ipv6tf.org




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