Die Attraktivität der Computerviren

Viren sind nicht nur in der Medizin faszinierende Schöpfungen. Auch im Computer haben sie seit je her ein interessiertes Breitenpublikum gefunden.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/22

     

Viren sind nicht nur in der Medizin faszinierende Schöpfungen. Auch im Computer haben sie seit je her ein interessiertes Breitenpublikum gefunden. Immer wieder haben sie es in den letzten zehn Jahren in die Schlagzeilen geschafft, auch wenn sie daraufhin rasch wieder vergessen wurden. Oder wer mag sich noch an "Michelangelo" erinnern, der am 6. März 1992 die Computerwelt hätte lahmlegen sollen? Es kam nicht dazu. Doch seither vergeht kein Jahr, an dem nicht ein, zwei oder drei Mal über eine weltweite Computerviren-Epidemie zu lesen ist.



Doch was macht Computerviren so faszinierend? Da wäre zunächst der Name der Schadprogramme. Zwar gibt es inzwischen Zehntausende verschiedene Virentypen, doch "Stars" geworden sind immer nur solche, denen zuvor auch ein attraktiver Name verpasst worden war. "Code Red" zum Beispiel. Oder "Tschernobyl". Der Name sorgt für Aufmerksamkeit. Was einen Namen wie "Melissa" hat, ist mehr als eine blosse Ansammlung von einigen Befehlen: Es ist ein Ding mit Persönlichkeit geworden. Hätte das Ding nur eine Identifikationsnummer wie 29398 getragen, so hätte es mindestens in den Medien keinen Erfolg gehabt. Doch daran ist die Antivirenindustrie verständlicherweise nicht interessiert.




Faszination löst regelmässig auch das aus, was diese kleinen Schadprogramme anrichten können. Der Schaden, den ein Virus durch Datenmanipulationen oder -zerstörungen verursachen kann, kann natürlich erheblich sein. In Tat und Wahrheit beschränken sich die Schadprogramme jedoch meist nur auf das Weiterverbreiten, Einnisten und Anzeigen von gewissen Mitteilungen. In den meisten Fällen sind aber eben diese scheinbar harmlosen Aktivitäten jene, die die betroffenen Unternehmen das meiste Geld kosten - sei es durch das Säubern aller Systeme, sei es durch die Zusatzbelastung der Ressourcen durch Mail- und Server-Viren.


Auf vielen Systemen daheim

In technischer Hinsicht haben Viren ebenfalls viel Interessantes zu bieten, so etwa die Würmer vom letzten Sommer, die selbständig fremde Server hacken und sich so rasend verbreiten konnten. Oder der erst letzte Woche aufgetauchte Virus, der sowohl Systeme unter Linux als auch mit dem Windows-Betriebssystem infizieren kann: Er ist ein Vorbote einer neuen Klasse von Hybrid-Viren, mit denen Experten künftig rechnen.



Was Computerviren jedoch besonders faszinierend macht, sind nicht sie selbst, sondern die Tatsache, dass Benutzer sich immer wieder durch die Programme täuschen lassen - und zwar ohne grossen technischen Aufwand. So möchte man glauben, dass spätestens nach "I love you" ein jeder Internetbenutzer die Masche der Virenschreiber kennt, über E-Mails irgendwelche verheissungsvolle Inhalte zu präsentieren. Klickt der neugierige Benutzer das Dokument in der Mail an, wird das Virenprogramm aktiviert. Das Motto "sex sells" gilt eben auch für Computerviren: Nach Britney Spears und Kurnikowa gibt es seit letzter Woche bereits auch einen Mail-Wurm auf den Namen der Latino-Sängerin Shakira - mit angeblich heissen Fotos. Und es wird angeklickt.





Abwehrmassnahmen unumgänglich

Der gängige Ratschlag gegen solche Virenplagen ist meist schnell gefunden. Es muss ein Antivirenprogramm installiert werden, das ständig auf dem neuesten Stand gehalten wird. Tatsächlich verzeichnen die Anbieter solcher Tools nach jeder Viren-Epidemie, auch wenn sie nur medialer Natur ist, jedes Mal einen starken Zulauf an Kunden. Inzwischen gehört es zu den üblichen Vorkehrungen eines jeden Unternehmens, auf seinen Systemen auch Antivirenprogramme im Einsatz zu haben. Sie sind Standard und werden in aller Regel auch fleissig aktualisiert, was übers Internet heute sehr einfach und automatisch möglich ist.



Dass aber die Flut an Computerviren nicht ab-, sondern weiterhin stetig zugenommen hat, macht deutlich, dass der Schutz dieser Tools letztlich trotz allem nur beschränkt sein kann.




Die wichtigste solche Massnahme ist ein Antiviren-Training der Mitarbeiter. Ich behaupte, dass über 98 Prozent der Viren, auf die ein "normaler" User im Büro heute trifft, von diesem mit der gehörigen Aufmerksamkeit und hinreichendem Wissen auch ohne Antivirentools erkannt und unschädlich gemacht werden kann.



Doch wenn Firmenangestellte heute noch immer scharenweise Anhänge von E-Mails, die irgendwelche "heissen" Bilder enthalten sollen, vor lauter Neugier trotzdem öffnen, so hat das fragliche Unternehmen etwas falsch gemacht. Dabei liesse sich gerade dieses Thema den Mitarbeitern auf spielerische und auch eindrückliche Weise sehr gut näher bringen - und sei es, dass man sie die Viren auf einem isolierten PC geschützt ausprobieren lässt. Aus der Welt werden die Schadprogramme dadurch zwar nicht verbannt. Doch sie verlieren auf diese Weise in den Medien jenes Rampenlicht, das zweifellos Virenschreiber mit dazu bewegt, immer neue Kreationen zu lancieren.



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