Editorial

Niemand will den Goldesel schlachten

Die Geschichte eines Software-Riesen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/39

     

Es war einmal ein Riese, ein Software-Riese, der war sehr mächtig. Das war nicht schon immer so, aber der Riese begann, als er noch jung war, alles zu fressen, was in seine Nähe kam und für ihn hätte zu einer Bedrohung werden können. Dadurch wurde er immer kräftiger und mächtiger, bis er schliesslich ein ausgewachsener Riese war. Vor allem andere Riesen, auch Software-Riesen, die nicht ganz so gross waren wie dieser, bekamen es allmählich mit der Angst zu tun. Und schliesslich wurde gefordert, dass etwas unternommen werden müsse, da sonst der Riese zu viel Macht haben würde. Es wurde lange überlegt, was das beste Mittel wäre, um seine Macht einzuschränken. Irgendwann wurde dann beschlossen, dass der Riese zweigeteilt werden solle. Soweit kam es aber nicht. Niemand wollte den Riesen, der letztlich auch ein Goldesel ist, schlachten - wir nennen ihn Microsoft. Und hier hört denn das Märchen auch auf - die Geschichte allerdings, die ist noch nicht abgeschlossen.



Sofern die zuständige Bezirksrichterin oder einer der 18 klagenden Bundesstaaten keine Einwände gegen den aussergerichtlichen Vergleich haben, den Microsoft mit dem US-Justizdepartement ausgehandelt hat, zeichnet sich für Microsoft eine märchenhafte Aussicht ab (Seite 7). Auch wenn Bill Gates in einem ersten Kommentar den Vergleich lediglich als "fair" bezeichnete. Die Feststellung, dass Microsoft sein Monopol ausgenutzt hat, würde fallengelassen, und die Firma könnte mehr oder weniger so weiterarbeiten, wie sie es in den letzten Jahren getan hat.




Den PC-Herstellern müsste Microsoft allerdings mehr Freiheit geben, bei Browser, E-Mail-Client und weiteren Applikationen, damit sie auch Software von Drittherstellern problemlos zusammen mit dem Windows-Betriebssystem einsetzen können. Software-Hersteller hätten die Möglichkeit, sämtliche Betriebssystem-Schnittstellen zu nutzen und könnten hoffen, mit einem PC-Hersteller (von denen es auch immer weniger gibt) ein gutes Geschäft auszuhandeln. Und deshalb fragt man sich, wer das überhaupt tun wird; vielmehr noch, weil in vielen Bereichen die Konkurrenz bereits ausgeschaltet ist und kaum mehr eine Bedrohung für Microsoft darstellt. Hinzu kommt, dass Microsoft mit Windows XP das Spiel bereits weiter treibt. Die Verknüpfung von Betriebssystem, Anwendungen und Internet könnte Microsoft auch nach dem Inkrafttreten des aussergerichtlichen Vergleichs munter weiter treiben. Dass diese Dominanz für die Anwender Gefahren birgt, zeigte sich letzte Woche deutlich, als Microsoft ein massives Sicherheitsleck beim Authentifizierungsdienst Passport eingestehen musste.



Für Sun ist der Vergleich ein Schlag ins Gesicht, und deshalb will sich die Firma nun selbst aufmachen, um Microsoft vor Gericht das Mütchen zu kühlen. Zudem droht Microsoft im noch laufenden EU-Monopolprozess Ungemach. Die EU-Wettbewerbshüter könnten durchaus härter mit Microsoft ins Gericht gehen als das US-Justizministerium. Und letztlich könnte der Vergleich auch durch einen der 18 US-Bundesstaaten noch zu Fall gebracht werden. Nur wenn der Riese zumindest ein wenig zurückgebunden wird, kommt das Märchen schliesslich trotzdem noch zu einem gütlichen Ende.




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