RFID - Ubiquitous zu Recht?
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/12
Objekte, die mit dem RFID-Chip versehen sind, können somit elektronisch identifiziert aber auch örtlich verfolgt werden. Zudem ist es aufgrund der Lokalisierung und der Sensortechnologie möglich, dass Zustandsveränderungen der betreffenden Objekte festgestellt werden können, wie beispielsweise, ob das zulässige Verbrauchsdatum eines Lebensmittels oder eines Medikamentes abgelaufen ist. Mittels RFID sind damit Identifikation, Ortsverfolgung und Zustandsüberwachung dank Notifikation von Objekten möglich.
Wenn die physische Welt nahtlos mit RFID-Lesegeräten ausgerüstet wäre und viele Objekte RFID-Chips eingebaut hätten, wäre theoretisch die Identifikation und Ortsverfolgung eines jeden Gegenstandes möglich, und wir hätten das Ubiquitous-Computing, d.h. die nahtlose Durchdringung der physischen Welt mit Informationssystemen nahezu erreicht.
Es gibt verschiedene Pilotprojekte, welche betriebswirtschaftliche Abläufe vereinfachen sollen. Dazu gehört der Einsatz der RFID-Technologie, um den Weg verderblicher Ware (Lebensmittel) vom Wareneingang bis zur Distribution über das Kaufhausregal verfolgen und daraus Informationen für die Optimierung, d.h. die Beschleunigung des Durchlaufs zu ziehen. Ein anderes Pilotprojekt prüft ein Workflow-System für intelligente Dossierverwaltung, mit welchem zu jedem Zeitpunkt der Arbeitszustand (wer, was, wo) eines Dossiers über Web-Browser abgefragt werden kann. Mögliche Einsatzgebiete sind auch Zutrittskontrollen bei Skiliften oder für Personentransport (Bahn, Bus, Tram, etc.) die Identifikation und Verteilung von Transportgepäck, beispielsweise im Flughafen oder die Überwachung und Registrierung von Büchern bei der Ausleihe aus einer Bibliothek.
Interessante Einsatzgebiete finden sich auch bei der Verhinderung von Straftaten. So können beispielsweise Ort und Zustand von Produkten in einer Minibar eines Hotels überprüft werden und somit auch Diebstähle verhindert werden. Es wäre auch möglich, dass jederzeit zu jedem Objekt der rechtmässige Eigentümer und Besitzer eruierbar wäre und somit Diebstahl generell verhindert oder leicht aufgedeckt werden könnte. Auch die Fälschung von Geld würde mit der Integrierung eines Chips in die Banknoten, auf welchen der Geldwert gespeichert wäre, massiv erschwert.
Der verbreitete Einsatz von Technologien wie der Radiofrequenzidentifikation, könnte auch unser Alltagsleben generell revolutionieren. So wäre es möglich, dass die Waschmaschine selbständig feststellt, wie warm die ihr überlassenen Wäschestücke gewaschen werden müssen, der Kühlschrank feststellt, wann welche Produkte verzehrt oder nicht mehr verzehrt werden können bis hin zur Verfolgung der Entsorgung des privaten Abfalls.
Jeder Eigentümer einer Sache oder dessen Stellvertreter wird mit Recht für sich beanspruchen, wissen zu wollen, wo genau zu einem bestimmten Zeitpunkt sich sein Eigentum befindet, sei es beispielsweise das Medikament zwischen Wareneingang, Lagerung und Weiterverkauf. Aus der Identifikation, Ortsverfolgung und Zustandsüberwachung dieser Objekte durch den Eigentümer werden Folgerungen gezogen, die für Vertragspartner wie Zulieferanten, Kunden oder Aufsichtsbehörden, wichtig sein können. Dies muss im Rahmen vertraglicher Regelungen (Rahmenverträge) mit den entsprechenden Vertragspartnern vorgesehen werden. Die Vertragsparteien müssen sich insbesondere darüber einig sein, auf welchen Parametern Identifikationen, Ortsverfolgungen und insbesondere Zustandsüberwachungen durchgeführt werden, ob die Verfahren und deren Ergebnisse von den Parteien akzeptiert werden (Beweis!) und welche Konsequenzen sich dabei auch in rechtlicher Sicht für die Parteien ergeben.
Viele Objekte haben während ihres Lebenszyklus Bezüge zu Subjekten, d.h. zu natürlichen Personen. Aus der Identifikation, Ortsverfolgung und auch Zustandsüberwachung der Objekte lassen sich somit Aussagen über Personen, insbesondere deren Verhalten machen. Man weiss nicht nur wo das Dossier ist, sondern auch bei wem es liegt und wie viel daran schon gearbeitet wurde. Man weiss nicht nur, wo die Skiwochenkarte sich befindet und wie viele Fahrten damit gemacht wurden, sondern auch wo sich der Eigentümer befindet und wie sportlich er ist...
Dem Wunsch nach maximaler Kontrolle von Objekten verbunden mit Prozessoptimierung stehen die Grundsätze der Datenschutzgesetzgebung und der informationellen Selbstbestimmung diametral entgegen. Darauf muss beim konkreten Einsatz entsprechend Rücksicht genommen werden, wobei relativ viele Anliegen der Eigentümer mit entsprechenden Informationen resp. Einwilligungen der betroffenen Personen realisiert werden können.
Im privaten Lebensalltag stellt sich mit dem vermehrten Einsatz dieser Technologie für den Benutzer wahrscheinlich hie und da die Frage, wer denn nun eigentlich Prozess-Owner sei. Oder mit anderen Worten, wer steuert die Waschmaschine, wer bestimmt über den Inhalt des Kühlschranks, etc. Wenn die Übersteuerung durch die Konsumenten einfach möglich und der Personenschutz gewährleistet ist, kann sich der sinnvolle Einsatz der RFID-Technologie als wertvolles Hilfsmittel erweisen.
Mit dem Einsatz von RFID erhofft man sich, an vielen Orten Diebstähle verhindern zu können oder diese leichter zu verfolgen. Bezieht ein Hotelgast etwas aus der Minibar, so wird ihm dies automatisch als Konsumation angelastet. Für einen Diebstahl besteht insofern kein Raum mehr, als er diesen automatischen Belastungsvorgang (in Allgemeinen Geschäftsbedingungen) als Vertragsabschluss seinerseits akzeptiert.
Dies gilt auch im Rahmen der Ortsverfolgung von Gegenständen in Warenhäusern, wo sofort festgestellt werden könnte, ob sie sich bei einem berechtigten neuen Eigentümer befinden oder nicht. Nur stellt sich die Frage für die Strafverfolgungsbehörde, ob unter dem forensischen Aspekt die Schlussfolgerungen der RFID-Technologie genügend Beweise für eine erfolgreiche Anklage und Verurteilung eines Täters bieten oder nicht.
Selbst in Ausweisdokumenten und in Verbindung mit biometrischen Verfahren soll die RFID-Technologie in Zukunft angewandt werden. Für den Staatsschutz oder auch grundsätzlich polizeiliche Ermittlungen eröffnet sich ein wahres El Dorado. Vor einem entsprechenden Einsatz müssen aber auf jeden Fall die notwendigen gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden, da sonst verfassungsmässige Grundrechte (Menschenrechte), wie die Bewegungsfreiheit und auch die Privatsphäre unzulässigerweise eingeschränkt würden.
Zusammenfassung
Der Einsatz von RFID erlaubt die Identifikation, Ortsverfolgung und Zustandsüberwachung von Objekten. Werden RFID-Lesegeräte flächendeckend eingesetzt, könnte damit der Orwell (Alp-)Traum vom Ubiquitous Computing umgesetzt werden.
Aus dem technisch Möglichen lassen sich aber nicht in allen Fällen auch die erwünschten rechtlichen Konsequenzen ziehen. Im privatrechtlichen Bereich müssen die Rechtsbedürfnisse in Rahmenverträgen geklärt und damit insbesondere auch der Datenschutz berücksichtigt werden. Speziell zu berücksichtigen sind im privatrechtlichen und öffentlichrechtlichen Bereich forensische Fragen. Zudem sind im Sinne eines erweiterten Schutzes des Privatrechts als verfassungsmässig garantiertes Menschenrecht gegenüber dem Staat entsprechende gesetzliche Grundlagen zu beachten, resp. erst noch zu schaffen.
Quelle: Informatikspektrum. Ausgabe: Heft 1/2004.