Editorial

Wiki und die starken Männer


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/14

     

Vor mehr als 1000 Jahren waren die Küstenregionen Norwegens und Schwedens von furchtbaren Seefahrern bewohnt – den Wikingern. Einer davon war Wickie, der Sohn des rauhbeinigen Halvar aus Flake. Wickie ist der kleine Junge mit den guten Einfällen, von dem ich als Kind immer glaubte, er sei ein Mädchen. Doch wen kümmert schon seine Erscheinung, wenn er Mal für Mal seiner Mannschaft aus der Patsche hilft?


Wickie ist nicht der einzige, der komisch aussieht und doch erfolgreich ist. Seinem webbasierten Namensvetter zum Beispiel – dem Wiki – geht es ähnlich. Wikipedia, die Mutter aller Wikis, sieht aus wie eine unordentliche Bücherwand aus den 70ern. Kein Design, nix hübsch, aber sehr praktisch. In anderen Internet-Goldgruben zeigt sich das gleiche Bild. Google ist so gut wie Webdesign-frei, und Ebay sieht aus, als hätte es der Student von nebenan gemacht.



Hier zeigt sich: beliebte Anwendungen müssen nicht durch­designt sein. Viel wichtiger ist, dass sie ein wichtiges Bedürfnis effizient erfüllen. Schliesslich konnte man schon vor 20 Jahren gut mit Computern arbeiten, obwohl damals ein Text-Interface das höchste der Gefühle war. Und die Werbespots mit der besten Rücklaufquote gewinnen nie den Preis für besondere Originalität.


Szenenwechsel: Wenn Sie mit SharePoint im Intranet Suchresultate darstellen, sehen diese denen von Google zum Verwechseln ähnlich. Gleiche Farben, gleiche Informationen, alles ist ganz schlicht. Doch die erste Kritik, die normalerweise von den Benutzern kommt, ist, dass die Suchresultate nicht schön dargestellt werden. Das gleiche Spiel, wenn Sie einem durchschnittlich versierten Benutzerkreis zum Beispiel Ihre neue Collaboration-Plattform mit tollen Features vorstellen. «Uhh, die Seite ist mir etwas zu weiss» und «Ühh, könnte man die Benutzerober­fläche nicht komplett mit Silverlight machen?», aber kein Wort über die Funktionalität.


Ja, was soll man dazu sagen? Haben diese Leute denn nicht begriffen, worum es wirklich geht? Ausserdem sehen diese neuen Lösungen doch out-of-the-box schon viel besser aus als das alte handgestrickte Intranet!


Diese Leute, die sofort an der Oberfläche zu kratzen beginnen, interessieren sich doch gar nicht für die neue Funktionalität ihrer Collaboration-Lösung oder ihrer Suche. Vielleicht denken sie, sie brauchen keine, haben Berührungsängste oder halten generell nichts von technischem Fortschritt. Jedenfalls machen sie sich nicht die Mühe, die Vorteile zu sehen, sondern gehen auf Konfrontation, indem sie dort nörgeln, wo sie können: beim Aussehen des Interface. Es könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass der Benutzer mit der Umsetzung der Lösung überfordert ist, sich aber scheut, dies anzusprechen. Oder noch einfacher: Wenn die Suchergebnisse schlecht sind und man sich mühsam durchblättern muss, merkt man schneller, dass einem die Darstellung nicht gefällt, als wenn man sein Gesuchtes sofort kriegt.


Und was sagt uns das? Wenn wir neue Lösungen implementieren, sollten wir uns zweimal überlegen, ob diese eine Funktion beinhalten, für die es ein echtes Bedürfnis gibt. Und unsere Lösung muss dieses Bedürfnis effizient erfüllen. Sonst nützt auch ein schönes Interface nichts. Denn über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten.


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