Communitys – die neuen Kartelle


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2010/10

     

Open Source ist auf dem Vormarsch. Nicht nur in der Business Software. Auch in der traditionellen Industrie findet das Modell einer Öffnung der eigenen Technologie-Entwicklung für andere Marktteilnehmer in Form von Open Innovation immer mehr Anhänger. Die idealistischen Open-Source-Software-Pioniere jubilieren: Das ko-operative Gute siegt über das abgeschlossene Reich des egoistischen Bösen. Ein weiterer Bereich wird demokratischer.


So weit, so gut. Bloss, kaum ein Unternehmen verfolgt seine Strategie aus purem Idealismus. Wenn gestandene Konzerne wie Siemens oder ABB heute offene Entwicklungspartnerschaften propagieren, hat das genauso handfeste wirtschaftliche Gründe, wie wenn ein globaler Berater den Hauptexponenten der Schweizer OSS-Szene auf seine Gehaltsliste nimmt. Mit einer Öffnung der eigenen Technologien für Dritte erhöhen Firmen nämlich ganz einfach die Chancen, dass die eigenen Produkte langfristig auf einer als Standard anerkannten Basis aufbauen. Je mehr Unternehmen eine Technologie verwenden, desto eher wird sie von den Anwendern als strategische Zukunftsplattform eingestuft.



Proprietäres Gebaren nur für Monopolisten

Mit einem proprietären Zug drohen in der globalisierten Wirtschaft selbst grosse Konzerne auf dem Abstellgleis zu landen, denn im weltweiten Konkurrenzkampf gibt es auch kaum mehr lokale Nischen für den Zweitbesten. Selbst für vergleichbare Konkurrenten ist das Risiko, aus einer Standard-Auseinandersetzung als Verlierer hervorzugehen und damit sämtliche Investitionen abschreiben zu müssen, heute schlicht zu gross. Ein proprietäres Gebaren können sich nur Quasi-Monopolisten leisten.


Denn auch wer eine Auseinandersetzung gewinnt, kann sich nur bedingt freuen. Dies haben die Formatkriege um VHS und Betamax in den 1980er-Jahren und der kürzliche Kampf zwischen Blu-ray und HD-DVD klar vor Augen geführt. Der Verdrängungskampf zwischen Standards verlangsamt die Aufnahme einer Technologie massiv. Wenn die Käufer nicht sicher sind, welches der Formate in fünf Jahren noch auf dem Markt sein wird, warten sie ganz einfach ab. Damit verkürzt sich auch für den Sieger die Zeit, in der er seine Technologie wirtschaftlich ausbeuten kann, bis sie von der unweigerlichen Nachfolgetechnik verdrängt wird.


Open-Source statt Kartelle gegen Volatilität

Zugespitzt formuliert ist die gegenwärtige Open-Source-Mode nichts anderes als ein Neuauftritt der ehemaligen Kartelle in zeitgeis-tigen Kleidern. Weil die Liberalisierung die alten Strukturen zur Zukunftsabsicherung genommen hat, formieren sich die Unternehmen jetzt einfach in Open-Innovation-Gruppierungen. Das Ziel ist das gleiche: Man will die für alle bestehenden Anbieter unerwünschte Technologie-Volatilität aus dem Markt nehmen.


Damit sie mich nicht falsch verstehen: Die Firmen tun nur, was sie müssen. Hinterfragen müssen sich allerdings die Anhänger einer vollständigen Liberalisierung. Offensichtlich formiert sich der Markt schnell immer wieder selber in Absprache-ähnlichen Strukturen, sobald Barrieren abgebaut werden, um einen noch freieren Konkurrenzkampf zu erreichen.



Bessere Lösung statt bessere Welt

Der Grund liegt in der Mathematik von gekoppelten Systemen: Die globale Wirtschaft muss die durch die Liberalisierung vergrösserte Komplexität wieder verringern, um stabil zu bleiben. Das macht sie entweder durch Monopolbildungen oder durch die Formierung von (Open-Source-)Gruppen.


Der Kauf einer Open-Source-Software verliert damit den ideellen Nimbus, zusätzlich ein Beitrag für eine bessere Welt zu sein. Er wird zu dem, was jeder Business-Software-Kauf unabhängig vom Lizenzierungsmodell sein soll: Ein Entscheid für ein passendes, kosteneffizientes und zukunftsträchtiges Werkzeug zur optimalen Unterstützung der eigenen Geschäfte. Aber das reicht ja auch.




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