Wie die Wolke die IT verändert
Quelle: Vogel.de

Wie die Wolke die IT verändert

Bei der Nutzung von extern bereitgestellten Diensten kommt der IT eine neue Rolle zu. Sie wird vom Leistungserbringer zum Leistungsintegrator.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2010/04

     

Von den diversen IT-Themen, die sich derzeit einer ausserordentlich grossen Aufmerksamkeit erfreuen, ist das Themenfeld «Cloud Computing» sicher am nachhaltigsten in aller Munde. Die Frage ist, welche Veränderung diese Innovation für Anbieter und Anwender mit sich bringt und wie sie die Geschäftsmodelle mittelfristig verändern wird.


In einer engeren Auslegung ist Cloud Computing gemäss Forrester Research ein «Pool aus abstrahierter, hochskalierbarer und verwalteter IT-Infrastruktur, die Kundenanwendungen vorhält und falls erforderlich nach Gebrauch abgerechnet werden kann». Im weiteren Sinne ist aber auch die On-Demand-Bereitstellung von Plattformen unter dem Begriff Cloud Computing subsumiert (mehr zu den verschiedenen Arten des Cloud Computing und zu den Angeboten finden Sie in der Marktübersicht ab Seite 32).

Cloud Computing verspricht Unternehmen weniger Kapitalbindung durch Vermeidung hoher Vorabinvestitionen, direkte Kosten ohne Abschreibungen, schlanke Einführungsprojekte, hohe Verfügbarkeit, einfachere Skalierung und einiges mehr. Ob das alles zutrifft, sei hier dahingestellt. Wir wollen zwei andere Aspekte betrachten. Erstens: Was bedeutet Cloud Computing für die Unternehmens-IT? Und zweitens: Wie wird die zunehmende Nutzung dieses Angebotes das Geschäftsmodell der Unternehmens-IT verändern?


Die Industrialisierung der IT

In der Diskussion über Geschäftsmodelle wird neben der technischen Innovation auf der Angebotsseite auch immer mehr die IT als Unternehmensteil hinterfragt. In den 1990er Jahren wurde die IT als Sekundärprozess in den Unternehmen gesehen. Zur Jahrtausendwende wurde der IT sehr hohe Bedeutung beigemessen und die IT-Leiter waren auf dem Sprung in die Geschäftsleitungen und Vorstände. Heute wird für die Einordnung der IT immer mehr das Bild einer Produktionsfunktion bemüht und davon die Notwendigkeit einer «Industrialisierung der IT» abgeleitet. Diese analoge Anwendung von industriellen Methoden und Prozessen auf die IT bringt folgende Forderungen mit sich:

? Produkt- statt Projektorientierung


? Standardisierung der Leistungserbringung


? Kunden- und Marktorientierung zum internen oder externen Geschäftspartner


Speziell die Standardisierung der Leistungserbringung ist es, bei der das Cloud Computing ins Spiel kommt. Diese Standardisierung wurde in der industriellen Fertigung unter anderem mit einer Reduktion der Fertigungstiefen erreicht. Der Hersteller einer Leistung ist primär Leistungsintegrator der internen und externen Leistung hin zum Endkunden. Wesentliche Konzepte dieser Entwicklung finden sich zum Beispiel beim Kompetenzzentrum Industrialisierung des Informationsmanagements der Universität St. Gallen oder in internationalen Standards wie ITIL (IT Infrastructure Library) oder IIM (Modell des Integrierten Informationsmanagements) wieder.

Cloud Computing könnte nun als mögliche Komponente der externen Leistungserbringung in einer nach-industriell geprägten Unternehmens-IT gesehen werden.


Cloud-Computing-Strategien

Im Wesentlichen kommt es darauf an, ob Cloud Computing die Anforderungen der Kunden wirklich erfüllen kann. Sowohl die Entwicklung anderer solcher Hype-Themen als auch die heutige Sicht auf das Thema Outsourcing im klassischen Sinn lassen hier einige Zweifel aufkommen.

Das Ansinnen, grössere Verantwortungsbereiche der IT ausser Haus zu geben, führt stets zu Fragen nach Qualität, Flexibilität, Preis und Sicherheit. Bei betriebswirtschaftlicher Software kommt auch der Aspekt hinzu, ob die Anwendungen zumindest die differenzierenden Prozesse des Unternehmens wirklich inhaltlich unterstützen, ohne Brüche im Tagesgeschäft zu verursachen. Zusätzlich sei auch darauf hingewiesen, dass bei einer Insolvenz eines Hard- oder Softwareherstellers erst mal alles, was im Haus ist, weiterfunktioniert, während bei einem On-Demand-Service vermutlich kurzfristig die Lichter ausgehen können. Damit kann ein Risiko für die Unternehmensführung entstehen. Weitere Risiken sind analog zum Outsourcing im Bereich der Sicherheit und des Datenschutzes zu sehen – eventuell sogar stärker, insbesondere bei Verwendung global agierender Provider, bei denen für den Kunden intransparent sein kann, wo seine Daten liegen. Das kann auch interessante rechtliche Folgen haben.


Die Risiken lassen sich im Vergleich zum klassischen Outsourcing durch die Wahl mehrerer Anbieter minimieren. Hier stellt sich jedoch die Frage, ob sich dieser Overhead bezüglich Integration und Management amortisiert – verbunden mit dem Fehlen einer Gesamtverantwortung.

Eine ebenfalls beim klassischen Outsourcing problematische Strategie, die bei Cloud Computing jedoch vorstellbar wäre, ist, entsprechende Backup-Services bei anderen Providern vorzusehen. Dies setzt jedoch eine konsequente Standardisierung und damit einfache Substituierung der Services voraus. Realistischerweise ist das jedoch nur auf den unteren Ebenen, also im Bereich IaaS (Infrastructure as a Service), eventuell auch bei Platform-as-a-Service-Lösungen zu erwarten, nicht jedoch bei Software as a Service (SaaS).


Heute fehlen diese Standards noch – auf allen Ebenen. Nichtsdestoweniger illustriert diese Wahlmöglichkeit einen wichtigen Fortschritt gegenüber dem klassischen Outsourcing: Eine feinere Granularität ermöglicht eine differenziertere Entscheidung, welcher Service von wem – sowohl intern als auch extern – betrieben wird. In diesem Kontext gibt es auch die Möglichkeit eines gemischten Betriebsansatzes (hybride Cloud) im Kontrast zu einem ausschliesslich internen (private Cloud) oder externen (öffentliche Cloud) Ansatz.


Eine neue Rolle für die IT?

Bei der Nutzung von extern bereitgestellter Infrastruktur, Plattformen oder Anwendungen kommt der IT eine neue Rolle zu: Nicht mehr der Betrieb von internen Systemen und das Steuern von Projekten steht im Vordergrund, sondern das Management der Leistung von Dienstleis-tern. Das beginnt in einem Lifecycle von der Anforderungsableitung und -definition, der Evaluierung des Cloud-Providers über die Nutzung bis zum Wechsel des Providers.


Das Modell der IT kann sich damit nachhaltiger verändern als je zuvor. Denn je mehr die IT vom primären Leistungserbringer zum Leistungsintegrator wird, umso mehr werden auch die Anforderungen an das interne Kundenmanagement steigen. Denn die IT muss ihren internen Mehrwert gegenüber dem Business beweisen, ansonsten könnte der Vertrieb ja theoretisch auch direkt mit dem On-Demand-CRM-Dienstleister zusammenarbeiten.

Damit wird die Verbindung zwischen der IT und dem Business zu einer ernsthaften Geschäftsbeziehung, in der sich die IT weniger über inhaltliche Kompetenz, sondern über Führungs- und Steuerungsfähigkeiten differenzieren muss. Dies jedoch weiterhin verbunden mit der Beratungsfähigkeit, durch welche Services Geschäftsprozesse optimal unterstützt oder ermöglicht werden.


Nicht zu unterschätzen ist auch die notwendige Architekturkompetenz, wenn es darum geht, die am Markt verfügbaren Services zu bewerten und in einem zweiten Schritt zu integrieren. Sowohl die technische (zum Beispiel bei einer hybriden Cloud) als auch die Prozess-ebene spielen dabei eine sehr wichtige Rolle. Schlussendlich ist eine gesamtheitliche IT-Governance sicherzustellen, die weiterhin Aufgabe des Unternehmens bleiben muss.


Cloud Computing heute und morgen

Je mehr Allgemeingut, also je weit verbreiteter eine IT-Leistung ist, desto mehr ist die Nutzung einer Cloud sinnvoll und auch machbar. Virtualisierte Datencenter, Online-Services und Collaboration-Plattformen wie E-Mail oder Portale können schon heute mit guten und seriösen Angeboten als Cloud-Service genutzt werden.


Auch Plattformen wie Amazon S3 oder Microsoft Azure sind für kleinere Unternehmen und Testsysteme interessant, obschon sich diese Angebote aktuell primär an Dienstleister richten, die damit ohne grosse Investitionen professionell bereitgestellte Webdienste anbieten können.


Bei den Business-Anwendungen steht die Frage der Integration dieser Services in andere Services oder unternehmensintern bereitgestellte Anwendungen im Vordergrund – ein CRM-Service ohne ERP-Integration ist mittelfristig eine Insellösung, mit überschaubarer Perspektive.

Häufig ist die Frage der Unterstützung von differenzierenden Unternehmensprozessen noch ein Hindernis bei der Nutzung von On-Demand-Plattformen, da hier ein systematischer Widerspruch besteht: Auf der einen Seite versucht ein Anbieter die Funktionalität seiner Leistung auf einen gemeinsamen Nenner zu beschränken, der aber per se nicht differenzierend sein kann. Dieser Aspekt ist jedoch nur bei SaaS relevant, bei IaaS und PaaS ist es derzeit eher unwahrscheinlich, Firmenspezifika abbilden zu müssen. Bei Business-Anwendungen ist also die Anpassbarkeit der Angebote der Indikator für deren Nutzbarkeit von verschiedenen Unternehmen.


Im Fazit: «Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht was Besseres findet!» Die solide Evaluierung im Sinne einer Architekturdiskussion muss am Anfang aller Cloud-Überlegungen stehen. Nicht die Features und der Preis einer Lösung sind die Kriterien, sondern die Integration in die vorhandene Unternehmensarchitektur und die Total Costs of Ownership (TCO) inklusive aller internen Managementaufwände und nötigen Anpassungsmassnahmen. Und da eine Nutzung von Cloud Computing auch das Geschäftsmodell der IT massgeblich beeinflusst, muss eine Adaptierung oder sogar Neugestaltung dieses Geschäftsmodells parallel erfolgen.




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