Ohne Strategie kein ECM-Erfolg

Firmen sind sich der Notwendigkeit eines ganzheitlich verstandenen Enterprise Content Management kaum bewusst. Dabei verbindet ECM Business und IT.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/11

     

An technischen Systemen zur Beherrschung der Informationsflut in den Unternehmen mangelt es nicht. Allerdings werden sie vielfach falsch eingesetzt. Ein Hauptproblem ist die bisherige Sichtweise auf Geschäftsprozesse, die sich stark auf klar voneinander abgegrenzte Aktivitäten und die darin jeweils benötigten Daten fokussiert. So ruft ein Mitarbeiter während des Verkaufsprozesses den Lagerbestand zu einer Produktnummer aus dem ERP-System ab. Dabei befindet sich das für die Entscheidung notwendige Wissen auf einer höheren Betrachtungsebene: Welche Bedeutung hat das entsprechende Produkt für die Sales-Strategie? Welche Erfahrungen haben andere Verkäufer bei der Akquise für dieses Produkt gemacht? Wie beurteilen es Anwender im Vergleich zu Konkurrenzprodukten? Diese Art von Informationen bestehen, werden aber von jedem Mitarbeiter nach individuellen Kriterien bewirtschaftet und von Kollegen kaum gefunden. Dabei wäre das für den Unternehmenserfolg entscheidend.



Falscher Umgang mit ECM

Der Umgang der Unternehmen mit Enterprise Content basiert letztlich auf jahrtausendalten Mechanismen aus der papiergebundenen Informationsklassifizierung. Die wichtigste Art, Informationen zu strukturieren, ist beispielsweise immer noch die Ablage in einem einzigen, fest zugewiesenen Knotenpunkt in einer grösstenteils unkontrollierbaren Baumstruktur, welche nur eine einzige logische Sicht auf die in ihr abgelegten Informationen ermöglicht. Die Vorteile und Möglichkeiten moderner elektronischer Medien, wie beispielsweise die Möglichkeit, Informationen mehrdimensional zu beschreiben, bleiben praktisch ungenutzt. Es ist folglich an der Zeit, einen Schritt nach vorne zu machen und Informationen sowie Informationsflüsse in den Fokus des Unternehmens zu stellen.


Dazu müssen Informationsstrukturen geschaffen werden, die global und anwendungsübergreifend genutzt werden können. Schon allein die Vielzahl bereits bestehender heterogener Systeme, die keine gemeinsamen logischen Strukturen aufweisen, veranschaulicht die Dimension der heutigen Probleme. Hier genau beginnt die Arbeit: Es werden Informationsstrukturen benötigt, die nicht technische oder organisatorische Gegebenheiten widerspiegeln, sondern in der Lage sind, Informationen im Kontext von Businessprozessen zu beschreiben und somit das künftige Rückgrat von Enterprise Content Management zu bilden. Ebenso spielt die Benutzerfreundlichkeit eine wichtige Rolle – ein Aspekt, der bislang meist vernachlässigt wurde.


Brücke zwischen IT und Business

Der Wirkungsbereich von Informationsstrukturen geht weit über die IT-Systeme hinaus, in denen sie nutzbar gemacht werden. So schlagen sie auch eine Brücke zwischen Business und IT, indem sie die Geschäfts- und die IT-Strategie miteinander verbinden. Die Informationsstrukturen entstehen nämlich auf Basis des Business-Modells, welches wiederum die Geschäftsstrategie widerspiegelt. Zudem werden die Business Units dank der neuen Informationsstrukturen stärker an der Konzeption sämtlicher IT-Vorhaben beteiligt. Und zu guter Letzt werden dadurch die IT-Spezifikationen von der technischen Ebene los gelöst und in die Sprache und Abläufe des Business übertragen.


Doch wie steht es mit der Umsetzbarkeit derartiger Mammutvorhaben? Die bisherige Entwicklung ist schliesslich voll mit Beispielen gescheiterter und erfolgsarmer Versuche, unternehmensweite, vollumfängliche Informations-strukturen zu implementieren und anzuwenden. Eine bedeutende Schwachstelle ist die Starrheit der bisherigen Ansätze. Sie sind nicht in der Lage, sich flexibel auf die sich rasant ändernden Gegebenheiten von Unternehmen und Märkten anzupassen.


Informationsstrukturen stellen logische Verbindungen zwischen sämtlichen «Elementen» einer Organisation her, von Prozessen über Marktinformationen bis hin zu Projekten und Funktionsbereichen.



Dynamische Informationsstrukturen

Der Informationsaustausch hat sich schon immer den jeweiligen Umständen, verfügbaren Mitteln und Bedürfnissen angepasst. Flexibilität ist demnach Trumpf, die Informationstechnologie darf sich nicht durch selbst auferlegte Korsette dieser ihr inhärenten Eigenschaft berauben.


Hier kommen dynamische Informationsstrukturen ins Spiel. Sie erlauben auf Basis von kategorisierten Informationen kontextuell unterschiedliche Formen der Navigation und Suche. Diese werden dem Benutzer bedarfsgerecht im Rahmen der jeweiligen Aufgaben dynamisch zur Verfügung gestellt. So wird zum Beispiel eine Information über die optimale Verhandlungsstrategie mit einem Lieferanten in einem systemgestützten Einkaufsprozess im Kontext eines spezifischen Prozessschritts durch einen Einkäufer erfasst. Diese Information wird dann auf die gleiche Art und Weise anderen Einkäufern Prozessschritt-basiert zur Verfügung gestellt, ohne dass diese vorgängig überhaupt explizit wissen müssen, dass diese Information existiert, geschweige denn, wo sie abgelegt worden ist.


Die Kategorisierung erfolgt dabei mehrdimensional, so dass auf unterschiedliche Anwendungszwecke und Sichtweisen angepasste Wege zu einer Information ermöglicht werden. Kombiniert mit einer Rollen-bezogenen Personalisierung und Navigationsmechanismen, die sich adaptiv der Geschäftssituation oder dem Benutzer anpassen, entsteht so ein logisches Bezugssystem, das sämtliche relevanten Geschäftsvorfälle, Aufgaben und Bedienungsansätze der Benutzer gleichermassen berücksichtigt. Ansatz und verwendete Strukturen sind modular und garantieren Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit.


Es führen also viele Wege ans Ziel, nämlich einer aus organisatorischer Sichtweise, einer aus Ablauf-orientierter Sicht und einer aus Dokumenten-basierter Perspektive. Der Kontext einer Aufgabe, der ihr zugeordnete Informationsfluss und die Begriffswelt der Benutzer entscheiden darüber, welcher Weg jeweils verfügbar gemacht oder genutzt wird.


Dem Praktiker dürfte klar sein, dass dieser Ansatz nicht an Systemgrenzen enden darf und die daraus resultierenden Informationsstrukturen systemübergreifend über die Präsentationsebene der Informationssysteme verfügbar gemacht werden müssen. Somit kann über verschiedene Applikationen hinweg eine beispielsweise rein prozessorientierte Benutzerführung realisiert werden. Das manuelle Klicken durch herkömmliche Informationshierarchien – zum Beispiel Navigationsmenüs in einem Intranet – wird dadurch immer stärker durch im Kontext zum Prozess stehende Informationsflüsse abgelöst.


Eine solche Informationsstruktur deckt sowohl die Bedürfnisse zur eindeutigen Klassifikation von Informationen, wie in heutigen Dokumenten-Management-Systemen üblich ab, unterstützt und optimiert aber auch unscharfe Zuordnungen, wie sie zum Beispiel beim Social Tagging zu finden sind. Es handelt sich also um eine aufgrund ihrer Flexibilität zukunftskompatible Basis für das Informations- und Enterprise-Content-Management. Die fünf Elemente einer dynamischen Informationsstruktur: Bewährte Ansätze wurden weiterentwickelt und aus ihrer bisherigen Isolation zu einer ganzheitlichen Unternehmenslösung zusammengeführt.


Informationen als Katalysator der Veränderung

Die Umstellung auf einen ganzheitlichen Ansatz zur Steuerung und Unterstützung von Informationsflüssen bringt grosse Änderungen hinsichtlich IT-Strukturen und -Systemen mit sich. Noch bedeutender stellen sich in der Praxis jedoch die dadurch ausgelösten Veränderungen in den Arbeitsabläufen der Mitarbeiter dar. Change Management spielt demnach eine grosse Rolle.


Zusätzlich entwickelt sich die neue Form des Umgangs mit Informationen zum Katalysator der Veränderung des Unternehmens. Mehr Transparenz, Behandlung von Informationen als Wertschöpfungsfaktor, Erhöhung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit jedes Einzelnen durch einen besseren Informationsstand – all das kann zu einer bedeutenden Transformation und zur Schaffung eines Umfelds mit bisher nicht dagewesenen Möglichkeiten führen.


Das passiert jedoch nicht von selbst. Aufgrund ihrer Tragweite ist zum Gelingen einer solchen Initiative eine breite Unterstützung im Unternehmen erforderlich, von der Spitze über das Middle-Management bis hin zu den Mitarbeitern.


Deshalb darf Informationsmanagement nicht im Alleingang der IT oder einzelner Fachbereiche respektive Stabsstellen betrieben werden, sondern muss Eingang in die strategische Agenda der Organisation finden. Das ist kein triviales Unterfangen. Die besten Chancen für eine vom Management getragene Informationsmanagement-Strategie bestehen dann, wenn es gelingt, eine direkte Verknüpfung der Ziele des Informationsmanagement mit den Unternehmenszielen herzustellen. Auf dieser Grundlage können sich Informationen zum echten Produktionsfaktor entwickeln, der wie andere Ressourcen auch professionell gemanagt wird.



Schwieriger, aber lohnenswerter Weg

Am Anfang steht die Erkenntnis, dass Informationen im Informationszeitalter tatsächlich die wichtigste strategische Ressource eines jeden Unternehmens darstellen. Ohne diese Einsicht wird es nicht möglich sein, dauerhaft das notwendige Commitment und die zur Umsetzung erforderlichen Mittel für ein ganzheitlich verstandenes Informationsmanagement zu erreichen. Dieses Ziel ist für jedes Unternehmen lohnenswert, für die meisten wird es in Zukunft sogar erfolgsentscheidend sein.




Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Wie hiess im Märchen die Schwester von Hänsel?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER