«Die Migration ist kein IT-, sondern ein Bankprojekt»

Kaspar Schweizer ist bei der Basellandschaftlichen Kantonalbank unter anderem für die IT zuständig. Das aktuelle Grossprojekt: Die Migration der Anwendungsplattform.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/06

     

Die BLKB bezeichnet sich als führende Bank für die Finanzierung der KMU in der Region. Mit 1,8 Milliarden Franken Neugeld, 12’000 neuen Kunden, einer Zunahme an Spargeldern um 803 Millionen Franken und einer Eigenkapitalquote von 1,7 Prozent hat sich die BLKB auch im stürmischen Finanzjahr 2008 gut behauptet. Die BLKB geniesst nach wie vor das höchste Standard&Poor’s Rating AAA.


Die Bilanzsumme des BLKB-Konzerns, der neben dem Stammhaus auch einige Tochtergesellschaften wie die AAM Privatbank umfasst, lag 2008 bei knapp 17 Milliarden Franken, der Bruttogewinn bei knapp 185 Millionen. Die BLKB beschäftigt in 35 Niederlassungen rund 800 Personen mit 717 Vollzeitpensen.


Infoweek: Herr Schweizer, Sie sind als Leiter Corporate Services unter anderem für die Informatik der Basellandschaftlichen Kantonalbank verantwortlich. Wie haben Sie Ihre IT organisiert?


Kaspar Schweizer: Wir haben die Informatik mehrheitlich ausgelagert. Im eigenen Haus gibt es nur eine kleine Gruppe, die sich vor allem um koordinative und strategische Aufgaben kümmert.


Für Entwicklung, Betrieb und Wartung sind zwei Outsourcing-Partner zuständig. Die Realtime Center AG (RTC) entwickelt die Bankenapplikationen (Ibis), besorgt im weitesten Sinne das Application Management und betreibt die Anwendungen im RTC-Rechenzentrum in Bern.


Die dezentrale Informatik, also die ganzen PC-Netzwerke, die Softwareverteilung und auch der Helpdesk, ist Sache des IT-Kompetenzzentrums Sourcag in Münchenstein.


Wie viele interne Mitarbeiter sind für IT-Aufgaben angestellt?


Je nachdem, wie man die Grenze zieht, sind es vier bis fünf Stellen. Diese Leute vergeben die Aufträge an die Outsourcing-Partner und machen die Qualitätskontrolle.


Hatte die BLKB die Informatik schon immer ausgelagert?


Bis 1998 hatten wir eine umfassende Informatikabteilung – wir haben damals alles im eigenen Haus erledigt. Vor elf Jahren haben wir uns dann entschieden, die Kernapplikationen der RTC zu übertragen. Gleichzeitig haben wir zusammen mit der Baselstädtischen Kantonalbank BKB die Sourcag gegründet, an der wir noch heute zu 50 Prozent beteiligt sind.


Was war der Grund für den Umstieg von der eigenen IT-Abteilung auf Outsourcing?


Es gab zwei Aspekte: Die Informatik wurde als Ganzes immer komplexer und benötigte immer mehr Personal – der Kostenblock wog immer schwerer. Zweitens verstärkten die Kantonalbanken ihre Zusammenarbeit generell, um Synergien zu schaffen, zum Beispiel im gesamten Backoffice. Wir führten mit der BKB Gespräche über eine vermehrte Kooperation. Daraus entstand unter anderem die Sourcag, an die wir übrigens nicht nur IT-Funktionen, sondern insbesondere auch ganze Geschäftsprozesse ausgelagert haben: Die Sourcag erledigt seit zehn Jahren den gesamten Zahlungsverkehr und die Wertschriftenabwicklung.


Ist diese enge Zusammenarbeit typisch für Kantonalbanken?


Punkto Business-Prozesse sind wir die einzigen, die so eng zusammenarbeiten. Bei der Informatik wird zumindest in Teilbereichen kooperiert. Die RTC betreibt zum Beispiel zur Zeit noch die Applikationen von vier Kantonalbanken sowie der Migros Bank.


Nach etwas über zehn Jahren steht bei der BLKB erneut ein Plattformwechsel bevor – was haben Sie geplant?


Nach einer eingehenden Evaluation haben wir uns für den Umstieg von der bisherigen RTC-Bankenapplikationsplattform Ibis auf das Avaloq Banking System entschieden. Daraus ergibt sich auch eine neue Aufteilung der Outsourcing-Partner: Bisher bezogen wir alles, was die Kernbankenapplikationen betrifft, aus einer Hand, sprich von der RTC. Künftig übernimmt Comit zu einem Teil das Application Management der Avaloq-Anwendungen. Für den Betrieb wird das Rechenzentrum von Swisscom IT Services im Auftrag von Comit zuständig sein. Die Überlegungen zur dezentralen Informatik sind zur Zeit gerade in Bearbeitung.


Sie werden künftig also mehr Outsourcing-Partner haben.


Richtig, es kommt ja noch der Lieferant der Software dazu, also Avaloq selbst. Insgesamt werden wir deutlich mehr Partner haben und somit auch mehr interne IT-Mitarbeiter für die Koordination benötigen. Wir möchten auch wieder mehr Wissen über Applikationen, Netzwerke und Schnittstellen im Haus halten, um die Leistung der Outsourcer zu überprüfen. Ich rechne mit zwei bis drei zusätzlichen Stellen. Kostenmässig handelt es sich maximal um eine Verschiebung: Nach der Konsolidierungsphase erwarten wir auch Kosteneinsparungen durch den Plattformwechsel.


Wie kam es zum Entscheid, die Plattform zu wechseln?


Gerade in der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Situation ist dies kein einfacher Entscheid. Der Umstieg ist mit hohen Investitionen und grossem Aufwand verbunden. Die Bank muss sich eine Zeit lang intensiv damit beschäftigen und hat eventuell weniger Kapazität für andere Aufgaben. Ein Plattformwechsel generiert auch nicht automatisch neue Kunden.


Dennoch gibt es für uns gute Gründe – es geht in erster Linie um die Zukunftssicherung. Ausschlaggebend für Avaloq war nicht zuletzt die grössere Diversität der Anwenderbasis. Wir werden zwar nicht mehr in einem so engen Verbund integriert sein wie bisher, das Umfeld ist aber viel dynamischer: Mit Avaloq arbeiten nicht nur Kantonalbanken, sondern auch kleine und grosse Privatbanken, international tätige Banken und Retail-Banken. Wir erhoffen uns davon schnellere Lösungen und weitergehende Möglichkeiten, unseren Kunden neue und attraktive Produkte anzubieten. Bei der RTC sind wir zudem gleichzeitig Kunde und Eigentümer. Das ist keine ideale Situation. Eine reine Kunden-Lieferanten-Beziehung ist besser.


Wie wird das Umstellungsprojekt organisiert?


Wir haben dafür eine separate, vom täglichen Bankbetrieb unabhängige Projektorganisation. Ein Team mit Vertretern der Bank und der Implementationspartner erarbeitet das detaillierte Vorgehen. Da sind zwar viele Informatiker dabei, für uns besonders wichtig ist aber, dass es sich nicht um ein IT-Projekt handelt, sondern um ein Bankprojekt: Die neue Lösung muss aus der Bank heraus entstehen und von den Leuten gestaltet werden, die sich mit den Kunden und den Prozessen auskennen.


Und wie sieht der Fahrplan aus?


Ende Mai starten wir das Migrationsprojekt in einem gemischten Team mit den Teilprojektleitern, vor den Sommerferien arbeiten in einem grösseren Rahmen rund 80 Beteiligte daran. Der avisierte Termin, an dem die neue Plattform den Betrieb aufnehmen soll, ist der erste Oktober 2010. Davor kommen die üblichen Phasen der Projektabwicklung. Um die Komplexität zu reduzieren, werden wir zu Beginn ein sogenanntes Starter Kit von Avaloq nutzen, das mit einer vorparametrierten Modellbank arbeitet, und unsere speziellen Bedürfnisse per Gap-Analyse ergänzen. Auf dieser Basis wird die Parametrierung vervollständigt und zum Schluss ausgiebig getestet.


Wie viele Anwender sind von der Umstellung betroffen?


Insgesamt arbeiten rund 600 Nutzer im Stammhaus mit den Bankenapplikationen, dazu kommen etwa 80 Mitarbeiter bei unserer Tochter, der AAM Privatbank. Wir werden vier Monate vor dem Umstellungstermin mit der Schulung beginnen. Geplant sind auch Test- und Trainingstage: Der Betrieb eines ganzen Tages, der bereits mit dem bisherigen System abgewickelt wurde, wird auf der neuen Plattform nochmals durchgespielt, zum Beispiel an einem Wochenende. So erhalten die Mitarbeiter Gelegenheit, bekannte Vorgänge mit bekannten Kunden mit der Avaloq-Plattform zu testen und sich mit den Unterschieden vertraut zu machen. Das Allerwichtigste ist für mich sowieso das Change Management: Man kann nicht einfach schulen und dann an einem bestimmten Tag den Umstellungsschalter drücken. Der Wandel muss begleitet werden, die Mitarbeiter wollen rechtzeitig informiert werden und immer auf dem Laufenden sein. Sie müssen wissen, dass neben dem Alltagsbetrieb ein wichtiges Projekt läuft, das für alle eine grosse Bedeutung hat. Umgekehrt sollten die Projektverantwortlichen stets wissen, was die Bank bis in die letzte Kapillare über das Projekt denkt. Nur so können sich alle ins Zeug legen und die Zukunft der Bank mitgestalten.


Sehen Sie einen nahtlosen Übergang?


Es wird sicher Umstellungen bei den Bankprozessen geben. Manche Aufgaben, zum Beispiel die Gewährleistung der Datenqualität, werden sich besser zentralisieren und automatisieren lassen. Generell wird die neue Plattform mehr Möglichkeiten bieten, einige bisherige BLKB-spezifische Besonderheiten werden aber schwieriger umzusetzen sein. In solchen Fällen müssen wir prüfen, ob sich der Aufwand lohnt, weil es sich um ein Angebot handelt, das für die Kunden wichtig ist, oder ob man darauf verzichten kann.


Laufen bei der BLKB neben dem Plattformwechsel noch weitere wichtige IT-Projekte?


Ein Projekt zur Verbindung aller Filialen mit einem Glasfasernetzwerk wurde soeben abgeschlossen. Darauf aufbauend haben wir unternehmensweit auf IP-Telefonie umgestellt. Die IP-Telefonie erhält gerade den letzten Schliff. Im Moment werden zum Beispiel Ringschaltungen und Stellvertreterschaltungen optimiert. Ein weiteres aktuelles Projekt: Wir wollen unsere Kunden noch umfassender beraten und führen dazu ein Financial-Planning-Tool ein, mit dem die Mitarbeiter an der Front den Kunden rasch eine erste Anlageberatung bieten können, bevor dann bei Bedarf Spezialisten beigezogen werden, die mit der bereits vorhandenen Anlage- und Vorsorgelösung arbeiten. All diese Projekte sollten bis Mitte Jahr abgeschlossen sein, damit wir uns in den nächsten anderthalb Jahren ganz auf die Plattformumstellung konzentrieren können. Weitere grössere Projekte sind nicht vorgesehen. Wir sind eine eher kleine Bank und können nicht beliebig viele Anstrengungen parallel laufen lassen – dazu ist das Personal sowohl in der IT als auch bei den Bankfachleuten zu knapp. Das Bankgeschäft und der tägliche Betrieb haben stets Vorrang.


Informatik ist nicht gratis – wie sieht Ihr IT-Budget dieses Jahr aus?


Aufgrund des geplanten Plattformwechsels ist 2009 füruns ein Umbruchsjahr. Der laufende Betrieb verursacht in etwa die gleichen Kosten wie 2007. Dazu kommen nun aber die Investitionen in die Migration. Dieses Jahr und auch 2010 werden die Gesamtausgaben fürdie IT also höher liegen als bisher, und auch danach rechnen wir nicht mit einer «billigen» Lösung – schliesslich benötigen wir nur schon zusätzliches Personal für die vermehrten Koordinationsaufgaben. Mittelfristig erwarten wir aber ganz klar sinkende Kosten, weil sich mit der neuen Lösung viele Geschäftsprozesse automatisieren und optimieren lassen, die bisher manuell erledigt werden mussten. Daraus ergeben sich zwar keine Einsparungen beim IT-Budget, dafür aber beim Gesamtaufwand der Bank.

(ubi)


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