Auch die Inder kochen nur mit Wasser


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/01

     

von Markus Häfliger

Sie gelten als umtriebig und aufstrebend und machen seit Jahren den hiesigen IT-Dienstleistern und internationalen Outsourcern das Leben schwer: Die indischen Anbieter, die von Offshore-Entwicklung über Support-Auslagerung bis hin zum Betrieb ganzer Infrastrukturen die IT-Welt umkrempeln wollen und ihren Unternehmenskunden im Westen das Blaue vom Himmel versprechen. Tatsächlich gibt es auch für viele IT-Firmen oder Unternehmenskunden gute Gründe, gewisse Dienstleistungen oder Teile von IT-Projekten auszulagern – und es gibt durchaus Stimmen die sagen, dass sich nach einer gewissen Eingewöhnungszeit und nach entsprechendem Erfahrungsaustausch die Zusammenarbeit mit Indern, Chinesen oder Vietnamesen durchaus rechnet.


Was nun aber in Indien aufgeflogen ist und über die IT-Welt hinaus viele IT-Verantwortliche zum Nachdenken gebracht hat, ist schon allerhand: Der Satyam-Konzern, Software-Entwickler und Outsourcer, ist in einen veritablen Skandal verwickelt. Es geht um Bestechung, Betrug und Bilanzfälschung im ganz grossen Stil. Der Satyam-Boss Ramalinga Raju hat über Jahre seine Anleger mit gefälschten Zahlen hinters Licht geführt. So hat er beispielsweise über Jahre hinweg die Bilanzen gefälscht und das Unternehmensvermögen um rund 1 Millarde Franken künstlich aufgebläht. Darüber hinaus hat er den Umsatz allein im letzten Quartal um 22 Prozent höher als effektiv angegeben und die Gewinn-Marge getürkt: Tatsächlich hat im erwähnten Bilanzzeitraum diese nicht wie ausgewiesen 24, sondern lediglich 3 Prozent betragen.

An den Tag kam das ganze, weil Raju von sich aus in einem Brief an die Börsenaufsicht und an den Verwaltungsrat seine Betrügereien minutiös aufge-listet hat. Was dann folgte, kann man sich wie in einem Krimi vorstellen: Raju war verschwunden, es sollte eine Krisensitzung einberufen werden, die die Polizei aber verbot, dafür aber Raju, seinen Bruder und schliesslich auch seinen Finanzchef in Handschellen legte und in Untersuchungshaft steckte. Es folgte Schadensbegrenzung seitens des Konzerns, Erkärungsversuche gegenüber den Medien und den Anlegern sowie Beschwichtigungen genüber den Kunden. Mittlerweile ist der Staat eingeschritten und schliesst ein finanzielles Unterstützungspaket nicht aus.

Bei all den schier unfassbaren Tatsachen stellt sich die Frage, wie ein Betrug in diesem Ausmass überhaupt möglich wurde und was sich daraus für Schlüsse ziehen lassen. Wie konnte es beispielsweise passieren, dass der Wirtschaftsprüfer Pricewaterhouse Coopers über Jahre die Fälschungen nicht entdeckt haben will? Bestechung vielleicht? Was machen die Kunden, wenn Satyam hoch geht? Vorzeitig abspringen und zu einem anderen Anbieter wechseln ist aus juristischen und praktischen Gründe keine einfache Sache. Viele haben ohnehin keine andere Wahl, als bei Satyam zu verbleiben.

Am meisten aber müssen sich die Beobachter, und dabei nehme ich mich selbst als Verteter der Presse nicht aus, fragen, weshalb offenbar bei Erfolgsgeschichten der gesunde Menschenverstand so leicht versagt. Es sollten eigentlich die Alarmglocken läuten, wenn ein Anbieter, der dauernd seine Konkurrenz unterbietet und dennoch mit rekordverdächtigen Gewinn-Margen aufwartet. Wie so oft hat aber der Satyam-Skandal auch sein Gutes: Er zeigt uns, dass auch die Inder nur mit Wasser kochen und dass lokale IT-Dienstleister nicht nur mit ihrer örtlichen und kulturellen Nähe ein Verkaufsargument für sich haben. Und dass IT-Verantwortliche vielleicht lieber einmal zu wenig als einmal zuviel Dienste aus Fernost in Anspruch nehmen werden.


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