Start-up AtlasVR: Die virtuelle Revolution
Quelle: AtlasVR

Start-up AtlasVR: Die virtuelle Revolution

VR-Technologie kennt man vor allem aus dem Gaming-Umfeld. Das Start-up AtlasVR aus Flüelen möchte nun mit VR-Trainings das Lernen im industriellen Bereich umkrempeln.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2023/05

     

Der Lernprozess «Learning by doing» ist nicht grundlos eine der effektivsten Lernmethoden. Aufgrund seiner Effektivität wird er häufig auch im Industrie­bereich angewendet, jedoch ist das Ganze nicht mehr so simpel, wenn industrielle Maschinen ins Spiel kommen. Das Lernen an der realen Maschine ist zeit- und ressourcenintensiv, denn es bedarf einer Fachperson, die nicht produktiv arbeitet, und bringt einen Ressourcen- und Rohstoffverschleiss mit sich, damit geübt werden kann. Zu guter Letzt besteht auch noch das kleine, aber dennoch vorhandene Risiko einer Verletzung oder Beschädigung durch eine Fehlbedienung.


Dass das auch einfacher geht, haben Joy Gisler, Valentin Holzwarth und Christian Hirt während ihrer gemeinsamen Forschung an der ETH erkannt. Die drei Gründer des Start-ups AtlasVR suchten anhand von Studien nach Möglichkeiten, wie sich VR-Technologie für indus­trielles Lernen sinnvoll nutzen lässt. «Die Technologie Virtual Reality eignet sich sehr gut fürs industrielle Training im Aus- und Weiterbildungsbereich. Besonders geeignet ist sie für Hands-on-Aufgaben, wenn es darum geht, einen Prozess zu erlernen, den man anschliessend auch in echt durchführen muss», erläutert Mitgründer Holzwarth. Dies sei auch der grosse Unterschied im Vergleich zu einem Lernvideo, bei dem man lediglich ein passiver Zuschauer sei und infolgedessen der Lerneffekt viel geringer ausfalle, betont Holzwarth.

Industrieller Bedarf eruiert

Damit die Forschung möglichst praxisnah ausfällt, wurde bereits während der Forschung mit Partnern aus der Industrie gearbeitet. «In Zusammenarbeit mit Firmen wie Hilti oder Geberit erkannten wir, dass ein industrieller Bedarf am Learning mittels VR besteht», erklärt Holzwarth sichtlich stolz. Basierend auf dieser Erkenntnis entschieden sich die drei Gründer, ein Spin-off auf die Beine zu stellen, das dann sehr schnell mit echten Kunden arbeitete und Ende 2021 zur Gründung von AtlasVR mit Sitz in Flüelen im Kanton Uri führte. Der Name selbst entstammt der griechischen Mythologie. Ausserdem war den Firmengründern ein einfacher Name wichtig, wie Holzwarth schmunzelnd anfügt.


Heute beschäftigt das Unternehmen inklusive der Gründer acht Personen. Es gab also bereits kräftiges Wachstum, obwohl das Start-up noch nicht die Phase der effektiven Skalierung erreicht hat. Ein Kunde der ersten Stunde ist Suissetec, welche Ausbildungszentren betreibt, weshalb eine Zusammenarbeit nahe liegt. «Wir setzen dort an, wo das Training entsteht und helfen den Firmen, diese Technologie einzusetzen», erklärt Holzwarth. Derzeit arbeitet AtlasVR mit drei ausgewählten Kunden zusammen, um die Technologie weiter zur Marktreife hin zu entwickeln. Rein technisch ist die Lösung für den Endkunden bereits voll einsatzbereit und die Kunden arbeiten kommerziell erfolgreich damit, wie Holzwarth festhält. Allerdings muss aus Sicht von AtlasVR der Entwicklungsaufwand reduziert werden, bevor VR-Trainings im grossen Stil generiert werden können. «Das heisst aber nicht, dass wir uns als eine geschlossene Gesellschaft sehen, wir sind nach wie vor am Markt und an neuen Kunden interessiert», bekräftigt Holzwarth.

Mit Ersparnissen gestartet, mit Investoren am Ball

Das Unternehmen auf die Beine gestellt haben Gisler, Holzwarth und Hirt alleine mit ihren Ersparnissen. In die Karten gespielt hat dem Team, dass es mit seiner Idee sowohl den Innerschweizer Start-up-Preis als auch das Avenger-Kick-Programm gewonnen hat. Kumuliert konnte AtlasVR so 225’000 Franken gewinnen und reinvestieren, um weiter an der Software zu arbeiten. Ein weiterer Erfolg konnte erst kürzlich verbucht werden, indem eine Investorenrunde abgeschlossen wurde und so die weitere Zukunft und Finanzierung des Start-ups gesichert ist. Der Break-even-Point wird im Jahr 2025 angepeilt, jedoch hängt dieses Ziel von diversen Trends wie beispielsweise dem Industrial Metaverse oder der VR-Hardware-Entwicklung ab, die von AtlasVR nicht beeinflusst werden können. Die Hardware kauft die Firma ein, einen bevorzugten Zulieferer nennt Holzwarth nicht, stattdessen wird das am meisten geeignete Gerät gemeinsam mit dem Kunden bestimmt.

Die Tradition ist der grösste Konkurrent

Obwohl direkte Konkurrenz in Form eines anderen Players in der Schweiz nicht vorhanden ist, hat das Unternehmen dennoch mit einer Art «Mitbewerber» zu kämpfen: nämlich mit dem bisherigen, weit verbreiteten Trainings vor Ort an der Maschine. So wird es in der Industrie bereits seit 100 Jahren gemacht, entsprechend festgefahren sind die dazugehörigen Abläufe, ungeachtet der hohen Kosten, die so ein Training bei entsprechender Komplexität mit sich ziehen kann. «Weil man sich diese Form von Training jedoch so sehr gewohnt ist, ist der Status Quo tatsächlich unser grösster Mitbewerber», konstatiert Holzwarth.

Umso erstaunlicher ist diese Tatsache, wenn Holzwarth ein Einsparungspotenzial mittels VR-Training für bis zu 75 Prozent im Falle eines globalen Industriekunden vorweisen kann, da Personal-, Material- und allfällige Reisekosten wegfallen. Aber selbst ein kleineres KMU sei in der Lage, Kosten und Aufwand mit der VR-Lösung erheblich zu reduzieren.


Die Auszubildenden sind nämlich in der Lage, das Training völlig autonom und sogar ortsunabhängig zu absolvieren. Das Headset inklusive Controller wird von AtlasVR fixfertig und vorinstalliert ausgeliefert, sodass das Training direkt nach dem Auspacken gestartet werden kann. Weitere technische Anforderungen bestehen nicht, da die Applikation lokal auf der VR-Brille läuft. So sind beispielsweise weder eine Internetverbindung noch ein spezieller Raum notwendig. Theoretisch könnte das gesamte Training trotz industriellem Bezug von zu Hause aus getätigt werden.

Die Software ist Dreh- und Angelpunkt

Das Geheimnis des guten Starts ins Unternehmertum sowie der Schlüssel für den langfristigen Erfolg liegen in der Software, respektive in deren Skalierbarkeit. Wäre jedes VR-Training eine komplette Neuentwicklung, würde dies zu viel Geld verschlingen. Deshalb arbeitet das Team von AtlasVR intensiv daran, bei gleichbleibender Interaktivität den Aufwand für die Individualisierung der Trainings zu senken. Zukünftig soll es für die Kunden sogar möglich sein, für sie erstellte Trainings via Browser selbstständig anzupassen oder gar komplett neue Trainings zu kreieren. Atlas VR würde sich dann als Plattform-Anbieter und Supporter sehen. Programmierkenntnisse werden seitens der Kunden nicht gefragt sein. Dafür ist das Unternehmen selbst immer auf der Suche nach Software-Entwicklern, die auf der Unity-Plattform entwickeln können. Wie Holzwarth ausführt, ist dies kein Kompetenzprofil, das en masse auf dem Markt vorhanden ist.

Kleine Schritte, grosse Ziele

Für die nahe Zukunft möchte AtlasVR zusätzlich zu den drei bestehenden Referenzkunden weitere dazugewinnen, um sich eine hervorragende Reputation zu erarbeiten. Ausserdem möchte man sich auch im benachbarten Ausland einen Namen verschaffen, da dies ebenfalls vielversprechende Märkte sind. Um den Bekanntheitsgrad zu steigern, ist AtlasVR auch auf verschiedenen Industriemessen präsent, an denen Interessierte die Technologie vor Ort ausprobieren können. Einen ansprechenden, intuitiven und gleichzeitig vielseitigen Baukasten für VR-Trainings zur Marktreife zu entwickeln ist das grosse Ziel der Firma. «Um langfristig auf dem Markt bestehen zu können, ist eine hohe Individualisierbarkeit in Verbindung mit einem ansprechenden Preismodell entscheidend», hält Holzwarth fest. (dok)


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