CIO-Interview: «Ein guter Mittelweg ist der beste»
Quelle: Geberit

CIO-Interview: «Ein guter Mittelweg ist der beste»

Markus Enz, Head of IT bei Geberit, musste ein Migrations-Grossprojekt unterbrechen, weil sein Unternehmen auf einen Schlag fast doppelt so gross wurde.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2016/09

     

Swiss IT Magazine: Wir mussten für diesen Interviewtermin mit Ihnen über zwei Jahre Geduld haben, weil Sie 2014 und 2015 jeweils zu stark in Projekte involviert waren. Jetzt interessiert uns natürlich, welche Projekte Sie von diesem Gespräch abgehalten haben.
Markus Enz:
In der Zeit gab es eine ganze Reihe von Projekten. Das grösste dabei war und ist sicherlich die Migration unserer Lotus-Notes-Umgebung sowie des CRM in die Cloud. Zudem haben wir im Frühjahr 2015 die Sanitec Gruppe übernommen, wodurch sich die gesamte Organisation praktisch verdoppelt hat – mit entsprechenden Auswirkungen unter anderem auch auf die IT-Prozesse und die IT-Infrastruktur.
Können Sie dieses Projekt ein wenig umschreiben?
Geberit war traditionell ein Lotus-Notes-Unternehmen. Um schnell einen einfachen standardisierten CRM-Prozess in den Vertriebsgesellschaften einzuführen, wurde vor zehn Jahren ein Lotus-Notes basiertes CRM-Tool eingeführt. Allerdings genügte dieses einfache Standard-Tool für Deutschland, unseren wichtigsten und komplexesten Markt, nicht. Die lokalen Anforderungen wurden dort mit über lange Zeit entstandenen Lotus-Notes-Applikationen abgedeckt. Nachdem der CRM-Prozess nun in der ganzen Gruppe etabliert war, sollte er durch eine wirklich skalierbare State-of-the-Art-CRM-Lösung unterstützt werden. In dem Zusammenhang haben wir auch unsere Collaboration-Umgebung angeschaut und entschieden, uns von Lotus Notes zu lösen.

Für welche Lösung hat man sich dann entschieden?
Wir führten eine grosse Evaluation durch, bei der wir am Schluss vor dem Entscheid für die Kombination Salesforce und Google Office oder Microsoft Dynamics und Office 365 sowie Sharepoint standen. Entschieden haben wir uns dann für die Microsoft-Schiene.


Warum dieser Entscheid?
Einerseits aus Kostengründen. Andererseits waren wir auch der Meinung, dass die Microsoft-Produkte näher an den Werkzeugen sind, die unsere Mitarbeiter bereits kennen.

Wie ist die Implementation der neuen Lösungen dann abgelaufen?
Dazu muss ich etwas ausholen. Das Vertriebsmodell von Geberit ist ein sogenanntes Push-/Pull-Modell. Vereinfacht ausgedrückt sorgen wir bei Sanitärinstallateuren, Architekten oder Endkunden für Nachfrage, diese kaufen aber nicht direkt bei uns, sondern beim Grosshandel, mit dem unser direkter geschäftlicher Kontakt stattfindet. Mit diesem Modell muss unsere CRM-Lösung Funktionen abdecken, die ein klassisches CRM-Tool nicht unbedingt «out of the Box» bietet. Entsprechend war für die Implementation noch einiges an Entwicklung notwendig. Daneben legen wir bei Geberit grossen Wert darauf, dass unsere Systeme gut integriert sind, dass beispielsweise Produkt- oder Kundendaten automatisch mit unserem SAP-System abgeglichen werden. All diese Anforderungen sorgten dafür, dass der Pilotimplementierung, die wir in Österreich ausgerollt haben, rund neun Monate Entwicklungszeit vorausgingen. Und trotz dieser sorgfältigen Vorbereitung verlief beim Start mit dem neuen System nicht alles reibungslos.


Wo lagen denn die Stolpersteine?
Geberit versucht eigentlich nicht, im Bereich IT an vorderster Front bezüglich neuer Technologien mitzuspielen. Mit dem Entscheid, CRM und Collaboration aus der Cloud mit Interfaces zu SAP on-premise zu realisieren, sind wir technologisch aber neue Wege gegangen, und mussten entsprechend Lehrgeld bezahlen. Dinge, die on-premise etabliert sind, gab es als Cloud-Service schlicht noch nicht und sie mussten deshalb mit Work-arounds umgesetzt werden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Es war nicht möglich, direkt in der Cloud eine E-Mail ins CRM zu schieben. Das funktionierte nur über den Outlook-Client zusammen mit dem CRM-Add-on. Das hatte zur Folge, dass so bereits relativ viel Technologie wieder auf dem PC lief. Unterdessen ist das gelöst. Hinzu kommt, dass wir die Anforderung haben, dass gewisse Mitarbeiter offline arbeiten können. Lotus Notes war für diese Aufgabe natürlich prädestiniert. Mit der Cloud-Lösung aber wurde dies etwas schwieriger und bedeutete, dass auf den jeweiligen PCs ein SQL Server läuft. Solche Geschichten machen alles ein wenig kompliziert, bis alles zusammenspielt.

Aber inzwischen laufen die Systeme?
Inzwischen laufen die Systeme sogar sehr gut. Allerdings mussten wir im letzten Jahr die Prioritäten ändern, als Geberit wie schon erwähnt die Keramikfirma Sanitec übernommen hat. Die Integration von Sanitec und dessen Mitarbeitern war dann dringender.

Wie kommen Sie mit der Integration voran?
Bezüglich Infrastrukturintegration ist das Gröbste inzwischen gemacht. Was die Systeme und insbesondere das ERP angeht, werden wir noch länger beschäftigt sein.


Und was bedeutet das für Ihr Cloud-Projekt?
Nachdem die Systeme in Österreich reibungslos laufen, wäre der nächste Markt, in dem wir die Cloud-Lösungen ausrollen wollten, eigentlich Deutschland gewesen. Wegen der Übernahme mussten wir das Projekt unterbrechen. Im Mai 2016 haben wir die Arbeiten wieder aufgenommen, und im Mai 2017 wird Deutschland live gehen.

Migrieren Sie Land für Land? Immerhin ist Geberit in 42 Ländern tätig, da sind Sie auf Jahre hinaus beschäftigt.
Wir migrieren Land für Land, aber in den kleineren Ländern, in denen es auch mehr Standardanforderungen als in Deutschland gibt, wird der Roll-out dann wesentlich rascher geschehen. Was den Collaboration-Bereich angeht, ist der Wechsel auf Office 365 bereits zu rund 90 Prozent umgesetzt. Beim wesentlich komplexeren CRM-Teil werden wir die Migration wohl bis 2018 abgeschlossen haben.

Abgesehen vom Cloud-Projekt: Welche Merkmale rund um Ihre IT würden Sie ansonsten noch als wesentlich bezeichnen?
Wesentlich ist sicher, dass wir über eine zentrale IT-Organisation verfügen. Wesentlich ist aber auch, dass wir eine sehr gute Verbindung zur Geschäftsleitung besitzen. Für mich als IT-Leiter ist das einer der grossen Vorteile von Geberit – die enge, zum Teil auch informelle Zusammenarbeit innerhalb des Managements, die es auch ermöglicht, eine homogene IT-Strategie zu fahren, die eng mit der Geschäftsleitung abgestimmt ist und von dieser auch mitgetragen wird. Abgesehen davon ist Geberit traditionell ein SAP-Anwenderunternehmen, wobei wir vor einigen Jahren noch sechs oder sieben SAP-Instanzen betrieben haben, die in den letzten Jahren konsolidiert wurden, so dass es auf Geberit-Seite nur noch zwei Instanzen gab. Durch die Sanitec-Übernahme sind nun aber wieder sechs SAP-Instanzen dazugekommen, plus ein nordisches ERP für Skandinavien und ein russisches ERP für die Ukraine. All diese Instanzen und Systeme werden wir nun in den kommenden Jahren auf eine SAP-Instanz konsolidieren.


Es scheint, als müssten Sie durch die Sanitec-Übernahme die ganze Arbeit doppelt machen.
Nein, so schlimm ist es nicht. Für das Cloud-Projekt beispielsweise waren ursprünglich drei Jahre eingeplant, nun sind es vier – wir verlieren also ein Jahr.

Sie haben angesprochen, dass Ihre IT stark zentral organisiert ist. Können Sie das etwas ausführen?
Bei Geberit wird die gesamte Konzern-IT zentral durch mich und mein Team geführt. Die Mitarbeiter sind aber nicht alle am gleichen Ort. Auch hier gilt, dass wir vor der Übernahme etwas zentraler organisiert waren als heute. Zuvor gab es zwei grosse IT-Standorte, einen hier in Jona mit gut 60 Mitarbeitern, und einen weiteren im deutschen Pfullendorf mit etwa 35 Mitarbeitern. Daneben gab es noch einige Aussenstandorte, Produktionswerke mit jeweils einer guten Handvoll IT-Spezialisten. Durch die Sanitec-Übernahme sind nochmals gut 60 IT-Mitarbeiter hinzugekommen, so dass wir heute global rund 190 IT-Mitarbeiter zählen. Die ehemaligen Sanitec-Mitarbeiter sind aber weiter verteilt – in Polen, Deutschland, Finnland, Schweden, Frankreich und so weiter. So sind wir heute zwar zentral organisiert und geführt, die Mitarbeiter aber sind recht weit verteilt.

Planen Sie, das zu ändern?
Wir schätzen das Know-how der Mitarbeiter als wichtiger ein. Die Konzentraion auf weniger Standorte ist nicht zwingend. Obwohl die Teams teilweise über zwei oder drei Standorte verteilt sind, arbeiten sie sehr gut und effizient zusammen.


Wenn die IT im Wesentlichen zentralisiert ist, wer kümmert sich dann in Ihren zahlreichen Ländergesellschaften um die IT vor Ort?
Unsere grundsätzliche Strategie hierzu lautet, dass man für einen Standort mit mehr als 100 Mitarbeitern einen lokalen IT-Supporter rechtfertigen kann. Allerdings sind die wenigsten unserer Standorte so gross. Bei den kleineren Standorten geschieht das Gros des IT-Supports aus Jona oder Pfullendorf. Wir betreiben einen Helpdesk und bieten Telefon-Support zu Bürozeiten. Ausserdem kaufen wir die Infrastruktur zentral ein und setzen sie auch in der Schweiz oder Deutschland auf, um sie dann an die verschiedenen Standorte zu versenden. Viele kleinere Standorte kommen zudem ohne Server aus, so dass es wenig lokale Infrastruktur zu betreuen gibt.

Gibt es Besonderheiten in Ihrer IT-Umgebung, die man in anderen Unternehmen in dieser Form nicht findet?
Als Besonderheit empfinde ich schon die bereits angesprochene breit angelegte Unterstützung der Geschäftsleitung, auch wenn es darum geht, etwas Neues auszuprobieren. Wir waren beispielsweise sehr früh dabei mit iPads und Apps für den Aussendienst. Oder wir betreiben innerhalb der IT eine kleine Abteilung mit rund einem Dutzend Leuten, die Software für Kunden entwickelt. Ein Kernprodukt ist dabei ein Planungstool für Architekten und Sanitärplaner, das diese gratis nutzen können und das sie bei der Planung von Rohrleitungsystemen in Gebäuden unterstützt. Diese Software pflegen wir mit grossem Aufwand, wir veröffentlichen zwei Releases pro Jahr und setzen auch auf innovative Ansätze – beispielsweise auf maschinelles Lernen für die optimale Dimensionierung von Regenwassersystemen, wo wir Erfahrungswerte aus der Praxis einspeisen. Die Abteilung entwickelt und betreut auch mobile Apps, die wir Installateuren anbieten und die gratis von den App Stores heruntergeladen werden können.

Im Geberit-Organigramm ist die IT dem Finanzdepartement angegliedert. Trotzdem scheint die IT bei Geberit nicht einfach als Kostenblock gesehen zu werden. Wieso denken Sie ist das so?
Unsere Konzernleitung weiss, dass die IT ein wichtiger Faktor für den Geschäftserfolg von Geberit ist. Der Schlüssel dazu ist Kommunikation mit den Geschäftseinheiten. Das Beziehungsmanagement spielt in der IT eine wichtige Rolle, und zwar nicht nur für mich, sondern auch für meine Mitarbeiter in Führungspositionen. Zum Thema Kosten noch: Hier habe ich in meiner Karriere die Erfahrung gemacht, dass ein guter Mittelweg der beste ist. Hat man zu wenig Budget, wird es schwierig, das Nötigste umzusetzen. Doch hat man zu viel Geld zur Verfügung, läuft man Gefahr, dass die Effizienz leidet und dass Themen wie Standardisierung vernachlässigt werden, weil der Druck fehlt. Deshalb finde ich es wichtig, dass man auf Kostenseite einen gewissen Druck hat.


Apropos Kosten: Ihr Vorgänger bezifferte 2010 das IT-Budget von Geberit auf 1,4 Prozent des Umsatzes. Wie sieht das heute aus?
Heute ist es etwas höher und liegt bei rund 1,7 bis 1,8 Prozent. Allerdings ist diese Zahl abhängig davon, was alles mitgerechnet wird. Beispielsweise gehört die angesprochene Abteilung, die Software für unsere Kunden herstellt, ja eigentlich nicht zur Betriebsinformatik.

Projekte, die Sie gerne umsetzen würden, wenn Sie nicht gerade eine Grossübernahme integrieren müssten?
Letztlich sind unsere Projekte durch das Business getrieben. Geberit hat aktuell einen sehr ambitionierten Projektplan, was das Unternehmen und seine Produkte angeht. Das fordert natürlich auch uns in der IT. Beispielsweise wird aktuell das Logistikcenter in Pfullendorf ausgebaut und die Fläche des Lagers verdoppelt. Das bislang verwendete Warehouse Management Modul von SAP genügt dabei nicht mehr, also haben wir SAPs Extended Warehouse Management (EWM) auf Hana eingeführt, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Solche Projekte gibt es laufend. Ansonsten darf ich aber sagen, dass wir IT-seitig – abgesehen von den angesprochenen Projekten, die wir wegen der Sanitec-Übernahme zurückstellen mussten – sehr gut aufgestellt sind. Unsere Datacenter sind komplett virtualisiert und unsere SAP-Hauptinstanzen sind bereits auf Hana migriert, was grosse Vorteile bringt. Wir haben eine solide Applikations- und Infrastruktur-Architektur mit der wir sich ändernde Anforderungen aus dem Geschäft abdecken können.


Sie arbeiten wie erwähnt mit rund 190 Mitarbeitern. Wie ist Ihr Team im Wesentlichen strukturiert?
Eine relativ grosse Abteilung ist im ERP-Umfeld tätig, kümmert sich also um SAP und aktuell auch noch um die Nicht-SAP-Systeme. Diese Abteilung zählt bis zu 50 Leute. Zur Betreuung der HR-Systeme und des Reportings haben wir eine eigene Abteilung. Die andere grosse Abteilung ist die Infrastruktur-Truppe, die sich um die gesamte Infrastruktur, inklusive WAN, unsere Datencenter in Jona und Pfullendorf und auch den Servicedesk kümmert. Daneben gibt es eine grössere Collaboration-Gruppe, die mit der Migration von Lotus Notes in die Cloud beschäftigt war und ist. Wir sprechen hier von bis zu 850 meist Kleinapplikationen in Lotus Notes, die grösstenteils Richtung Sharepoint migriert werden. Dann haben wir eine Sales- und Marketing-System-Gruppe, die das CRM und das Produktdaten-Managementsystem betreut, sowie eine kleinere R&D-Gruppe, die vor allem im Bereich CAD-Systeme inklusive Anbindung ans SAP tätig ist.

Ist der Mangel an Fachkräften auch für Sie ein Thema?
Wir haben eine gewisse Flexibilität dadurch, dass wir einen Standort sowohl in der Schweiz wie auch in Deutschland betreiben. Allerdings stehen wir in Jona und in Pfullendorf in Konkurrenz zu nahegelegenen attraktiven Arbeitsorten. Das ist manchmal ein Nachteil, wenn man gewisse Fachkräfte sucht. Generell ist es schwieriger geworden, qualifizierte IT-Spezialisten zu finden. Ich darf jedoch auch sagen, dass wir eine relativ geringe Fluktuation haben. Das Arbeitsklima bei Geberit stimmt, und man kann als Informatiker spannende Projekte umsetzen.

Sie machen sehr viel selbst. War oder ist Outsourcing kein Thema für Sie?
Wir prüfen das Thema Outsourcing laufend. Der Punkt ist allerdings der, dass wir oftmals einen relativ pragmatischen Ansatz fahren. Eine 24/7-Uptime wird vom Business nicht wirklich verlangt. Wir können mit einem relativ geringen Einsatz von Ressourcen eine relativ hohe IT-Verfügbarkeit gewährleisten, ohne diese garantieren zu müssen. Müssten wie die Verfügbarkeit rund um die Uhr garantieren, dann wäre Outsourcing eher ein Thema, denn darauf ist Outsourcing ausgerichtet, was aber entsprechende Kosten mit sich bringt.


Zum Schluss noch: Was würden Sie aktuell als Ihre grösste Herausforderung bezeichnen?
Wie ich schon angetönt habe, hat sich das Unternehmen Geberit sehr viel vorgenommen. Vieles ist im Wandel begriffen. Das bringt entsprechend hohe Anforderungen an die IT mit sich. Das ist zwar spannend, aber auch anspruchsvoll.

Zum Unternehmen

Geberit mit Hauptsitz in Jona, gegründet im Jahr 1874, gilt als europäischer Marktführer für Sanitärprodukte. Im letzten Jahr übernahm Geberit für über eine Milliarde Franken das Unternehmen Sanitec, einen Sanitärkeramikproduzenten mit Hauptsitz in Finnland, und verdoppelte damit seine Mitarbeiterzahl auf einen Schlag auf 12’000. Geberit ist in 42 Ländern tätig und erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund 2,6 Milliarden Franken. (mw)


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