CIO-Interview: «Dann krieche ich selbst unter den Tisch»
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CIO-Interview: «Dann krieche ich selbst unter den Tisch»

250 Mitarbeiter, 35 Filialen, eine eigene Ski-Produktion und ein Informatiker: Das ist die Ausgangslage bei Stöckli Swiss Sports. IT-Leiter Marc Hauser erklärt die Situation.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2011/06

     

Swiss IT Magazine: Sie sind der einzige Informatiker bei Stöckli, einem Unternehmen mit 250 Mitarbeitern und 60 Millionen Franken Umsatz. Eine aussergewöhnliche Ausgangslage.
Marc Hauser: Definitiv. Die Situation kommt daher, dass Stöckli in den letzten Jahren sehr stark gewachsen ist. Wie so häufig bei einem solchen Wachstum hinken gewisse Strukturen dann etwas hinterher. So ist es auch in der Informatik bei Stöckli der Fall. Ich übe die Funktion als IT-Leiter in der Firma nun seit fünf Jahren aus, und in dieser Zeit ist bereits einiges passiert. 2002 gab es im ganzen Unternehmen beispielsweise genau zwei PCs. Sie müssen verstehen, Stöckli ist im Prinzip ein Retailer mit eigener Ski- und Bike-Produktion, und die Informatik ist Mittel zum Zweck. Wir müssen uns als kleiner Schweizer Hersteller mit den grossen Anbietern auf dem Weltmarkt messen, und der Kostendruck ist entsprechend hoch. Deshalb müssen wir versuchen, mit möglichst geringen Mitteln möglichst viel herauszuholen und innovativ zu sein.

Also wird Informatik bei Stöckli weitgehend als notwendiges Übel angesehen?
Früher war das sicher so. Mittlerweile konnten wir den Spiess aber umdrehen und der Geschäftsleitung und den Mitarbeitern zeigen, dass es möglich ist, dank funktionellen IT-Lösungen Prozesse zu automatisieren und die Arbeit zu erleichtern.


Ist ein Teil Ihrer Aufgabe also auch, der Geschäftsleitung zu zeigen, dass IT nicht nur kostet, sondern auch Nutzen bringt?
Auf jeden Fall. Doch dies ist ein wenig eine Winkelried-Funktion. Die Geschäftsleitung sieht zuallererst die Kosten, weshalb man behutsam vorgehen und den Nutzen einer Lösung aufzeigen muss, was zuweilen eine Herausforderung ist.

Ist diese Überzeugungsarbeit nicht auch ermüdend?
Nein, im Gegenteil. Ich empfinde dies als eine spannende Herausforderung, die anspornt.

Sie sind Mitglied der Geschäftsleitung und damit nahe an der Stöckli-Führung. Hilft das bei Ihrer Aufgabe?
Sicher, ja. Ich habe nebst der Informatik noch andere Verantwortungsbereiche bei Stöckli – etwa die Bereiche Finanzen oder Personal. In all diesen Bereichen hilft es mir enorm, nahe bei den Entscheidungsträgern zu sein.

Und wie steht es um das Verständnis ihrer Geschäftsleitungskollegen für Informatikfragen?
Dieses ist sehr unterschiedlich. Hilfreich ist sicher, dass Beni Stöckli, unser CEO, unter anderem Wirtschaftinformatik studiert hat und entsprechend über IT-Affinität verfügt. Er war es beispielsweise auch, der 2004 die Einführung einer ERP-Lösung vorangetrieben und eingeführt hat. Ebenfalls hilfreich ist zudem sicher, dass ich selbst auch der Finanzchef bin (lacht).
Können Sie mir dieses ERP-System erläutern?
Im Bereich ERP arbeiten wir mit einem externen Partner zusammen. Unsere Lösung ist stark Warenbewirtschaftungs-lastig, gekoppelt mit einer tollen Kassenlösung. Das Besondere ist die Tatsache, dass es bei uns relativ komplexe Prozesse im Hintergrund gibt durch die Tatsache, dass wir zum einen Retailer und zum anderen auch Hersteller sind und auch die Logistik selber machen. Entsprechend hoch sind die Anforderungen an unsere Lösung, und ein grosses System wie etwa SAP konnten und wollten wir uns nicht leisten. Doch wir hatten das Glück, dass wir die 2004 eingeführte Lösung DIAS gemeinsam mit unserem Partner Acommit stark weiterentwickeln konnten und immer noch weiterentwickeln. Die Server fürs ERP betreiben wir übrigens inhouse.

Ich verstehe Sie richtig? Sie betreiben inhouse eine eigene Server-Landschaft und sind selbst der einzige Informatiker?
Das stimmt. Wenn es ein Problem mit den Servern gibt, versuche ich das zu lösen – im Sinne eines First-Level-Supports. Bei tiefergehenden Problemen rufe ich dann nach unserem Partner.


Wie sieht es beim Support der klassischen Informatik aus? Wenn bei einem Mitarbeiter der Drucker nicht funktioniert, kommt dann auch der IT-Chef von Stöckli und löst das Problem?
Dann kremple ich die Ärmel hoch und krieche selbst unter den Tisch, ja (lacht). Den First-Level-Support versuche ist tatsächlich selbst zu machen. Vor einigen Jahren bin ich auch selbst noch in die Filialen ausgerückt, wenn es Probleme gab. Heute aber haben wir eine Helpdesk-Lösung mit einem externen Partner. Doch auch hier spiegelt sich die Grundphilosophie des Unternehmens wieder: Wir versuchen mit möglichst wenig möglichst viel zu erreichen und jeder packt an, wo er kann.

Können Sie mir etwas zu laufenden Projekten erzählen?
Aktuell sind wir damit beschäftigt, über unsere IT eine Business-Intelligence-Lösung zu krempeln. Ich habe hier mit Webfocus eine schmale, aber sensationelle Lösung gefunden. Das BI soll das Sahnehäubchen des ganzen Systems werden. Ein weiteres Projekt, das im Moment läuft, ist die Einführung von VoIP. Hier arbeiten wir mit der Lösung One Netbase von Swisscom. Wir wollen zum einen die Telefonie umstellen, zum anderen unser schweizweites Netzwerk via IPSS realisieren, um mehr Flexibilität beim Bandbreiten-Management zu erhalten. Wir haben hier bereits den Hauptsitz in Wolhusen sowie zwei weitere Standorte aufgeschaltet und befinden uns aktuell in der Testphase. Für unseren Hauptsitz wird sogar extra eine Glasfaserleitung gezogen. Daneben versuchen wir dauernd, unsere Schnittstellen zu optimieren, um die Arbeit mit externen Partnern weiter automatisieren zu können. Weiter gibt es zahlreiche kleinere Projekte rund ums ERP-System, um die Prozesse zu verbessern. Ein Beispiel eines solchen Projekts, das wir im Juni noch abschliessen, ist die gesamte Export-Abteilung. Wir erfassen hier in Wolhusen Aufträge für rund 25’000 Paar Skis aus 30 Ländern und wir verpacken und verschicken diese Skis auch selber. Früher wurde dies alles von Hand abgewickelt, und nun versuchen wir, diese Prozesse ans ERP anzubinden und mittels MDE-gestützter Erfassung zu optimieren. Ebenfalls in Planung ist zudem, die gesamte Skiproduktion in unser ERP zu integrieren. Wir sind im Moment daran, die entsprechenden Anforderungen zu definieren.

Wie viele Projekte laufen bei Ihnen im Moment?
Aktuell habe ich 20 Informatik-Projekte am Laufen. So sehe ich meine Aufgabe im Moment vor allem als Projektleiter, der koordiniert. Daneben gibt es aber immer wieder kurzfristige Aufgaben, wenn beispielsweise irgendwo ein Anspruch an einen Prozess auftaucht und ich diesen zu erfüllen versuche.


Und was passiert, wenn Sie einmal für länger ausfallen würden?
Diese Frage bin ich vor allem während der letzten zwölf Monate angegangen. Wir arbeiten extern mit zwei Hauptpartnern zusammen, und mir war es wichtig, dass diese beiden Partner miteinander sprechen und ich mein Wissen an diese Partner weitergeben kann. So konnten wir das Wissen extern breit abstützen.

Können Sie mir etwas mehr zu ihren Partnern erzählen?
Auf ERP-Seite ist die Partnerschaft durch die Evaluation des Systems zustande gekommen. Hier arbeiten wir seit 2004 wie erwähnt mit Acommit. Wir haben damals einen Partner gesucht, der mit uns zusammen die Software weitertreiben will. Unser zweiter wichtiger Partner ist Turnkey Services. Ursprünglich haben wir im Bereich Clients mit einer kleinen Firma aus der Region gearbeitet, die dann von Turnkey Services übernommen wurde. Auch hier haben wir inzwischen eine sehr gute Partnerschaft aufbauen können. Unsere Philosophie ist so, dass wir nicht zwingend den günstigsten Partner suchen, sondern langfristige und enge Partnerschaften anstreben.
Wünschten Sie sich nicht manchmal, zumindest ein kleines Team inhouse zur Seite zu haben?
Das wäre teilweise sicher wünschenswert. Doch ich bin in der glücklichen Lage, dass die externen Partner sehr nahe am Unternehmen sind. Sehen sie, wir haben eine kritische Grösse im Unternehmen erreicht. Zum einen ist die Arbeitsbelastung übers Jahr verteilt nicht sehr homogen, es gibt immer wieder Spitzen, jedoch könnte ich einen Mitarbeiter nicht das ganze Jahr voll auslasten. Zum anderen müsste dieser Mitarbeiter solch ein breites Spektrum abdecken, dass es schwierig werden würde, jemand passenden zu finden.

Gibt es Projekte, die Sie eigentlich gerne umsetzen würden, dies aber aufgrund der Gegebenheiten nicht können?
Die gibt es. Das Problem ist aber nicht unbedingt, dass die Kapazitäten fehlen. Vielmehr müssen Projekte in die Unternehmensstrategie passen. Diese sieht zwar Expansion vor, nichtsdestotrotz versuchen wir haushälterisch mit unseren Investitionen umzugehen. Entsprechend müssen Investitionen in Projekte oder auch Ersatzinvestitionen in Hardware sehr fein mit der Unternehmensstrategie abgestimmt werden. Aber klar: Ein Wunschportfolio wäre vorhanden, und dieses ist grösser als das, was wir umsetzen können. Hier müssen Informatikprojekte dann manchmal zurückstehen.


Was reizt Sie besonders bei Ihrem Job hier bei Stöckli?
Auf der einen Seite sicher die Abwechslung – kein Tag ist wie der andere. Ich war lange für einen Konzern tätig, und schätze deshalb heute enorm die kurzen Entscheidungswege, die es bei uns gibt. Die Geschäftsleitung und der ganze Betrieb sind noch immer sehr familiär. Zudem ist man aufgrund der Branche sehr unkompliziert unterwegs, vieles ist sehr persönlich. Und man weiss, für wen und für was man arbeitet.

Und was nervt Sie an ihrem aktuellen Job?
Dass der Tag zu wenig Stunden hat (lacht).

Können Sie noch etwas zu Ihrem Werdegang erzählen?
Ich bin ursprünglich gelernter Buchhalter beziehungsweise Controller und war schon immer IT-affin – wenn auch vor allem Hobby-mässig. Meine Sporen habe ich in der Treuhand-Branche abverdient und war dann für zwei US-Konzerne tätig. Meine letzte Station vor Stöckli war im Ruag-Konzern, wo ich mich unter anderem um den Aufbau und das Restrukturieren von Geschäftsmodellen kümmerte und in diesem Zusammenhang auch in SAP-Projekte gerutscht bin. Dort habe ich auch meine Faszination für solche Lösungen entwickelt.

Eine klassische Informatiker-Ausbildung haben Sie in dem Sinne also nicht.
Ich würde mir auch nie anmassen zu behaupten, etwas von Informatik zu verstehen. Doch ich denke ich weiss, wo die Herausforderungen liegen, und ich verstehe etwas von Geschäftsmodellen und davon, Prozesse zu erarbeiten.

Hilft Ihnen die Tatsache, kein «klassischer» Informatiker zu sein, der vor allem auch die technischen Aspekte sieht, bei ihrer Arbeit?
Aus Sicht meiner Funktion ja. Nehmen wir das Beispiel ERP. Hier ist das technische Wissen über das System zwar sehr wichtig. Noch viel wichtiger ist es aber, aus betriebswirtschaftlicher Sicht Ziele zu definieren. (mw)


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