Verkaufsargument Zertifikat

Indische Software-Entwickler werben mit CMM-Level-5-Zertifizierungen als Qualitätsbeweis. Schweizer Anbieter lehnen diese vor allem aus finanziellen Gründen ab.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/01

     

Für die grosse Masse der heimischen KMU ist Outsourcing zur Zeit kein vordringliches Thema wie unsere kürzliche Umfrage (InfoWeek Ausgabe 21/2003) ergeben hat. Schweizer Grosskonzerne mit stark amerikanisch geprägtem Management verordnen demgegenüber heute ihren IT-Abteilungen Offshore-Outsourcing teilweise von oben. Dabei geht es neben dem klassischen Hosting immer mehr auch um die Applikationsentwicklung. Als Trumpf ziehen dabei die vorwiegend indischen Offshore-Anbieter gegenüber den Schweizer Softwarehäusern die CMM-Level-5-Zertifizierung (Capability Maturity Model, siehe Kasten) aus dem Ärmel. Die heimischen Anbieter kommen mit ihrer Qualitätssicherung meist höchstens auf Level-3-Niveau. Zertifiziert ist dabei nach unseren Recherchen kein einziger.




Vital Meyer, bei der Zürcher Netcetera fürs Qualitätsmanagement zuständig, bestätigt den Trend. Qualitätszertifikate seien ein Thema, das man bei Netcetera in den letzten Monaten intensiver verfolge. Die verstärkte Präsenz von vorwiegend indischen Outsourcing-Anbietern, welche auf Level 5 zertifizierte Services anbieten, habe dabei auch seinen Einfluss, so Meyer. Grundsätzlich habe dies aber mehr mit Fortschritten in der Software-Entwicklung und mit einer Verbesserung ihrer (Qualitäts-)Standards zu tun. Allerneueste Technologien interessieren heute im Gegensatz zu den Internet-Boom-Zeiten nur noch am Rande. Qualität und Preis stehen heute im Vordergrund.


CMM als Richtschnur

Für Netcetera kommt im speziellen dazu, dass ein Teil der Codierarbeit von einer Tochterfirma in Mazedonien geleistet wird. "Das zwingt einem zu mehr Formalitäten und einer präziseren Definition der Prozesse", wie Meyer präzisiert. Eine Zertifizierung an sich sei für Netcetera zur Zeit aber kein akutes Thema. Man nehme CMM hingegen als Richtschnur, anhand derer die internen Prozesse optimiert werden.




Bei Projektvergabeentscheiden zählt heute praktisch ausschliesslich der Preis, konstatiert Stefan Arn von AdNovum. Prozesse und Qualitätssicherung müssen darum so schlank wie möglich und so effizient wie nötig sein. Zudem hätten alle in Frage kommenden Grosskunden heute eigene standardisierte Prozesse implementiert, an die man sich halten müsse. Qualitätssicherung und nachvollziehbare Entwicklungsprozesse seien von den Kunden zwingend gefordert, aber hätten sich an deren Abläufe und nicht an CMM zu halten. Der beträchtliche Zertifizierungsaufwand würde vor allem unnötigerweise die Kosten in die Höhe treiben, erklärt Arn weiter, warum sein Unternehmen vorderhand keine Zertifizierung im Auge habe.


CMM als Entscheidungsfaktor

Trotzdem gibt es Grossanwender, die der Meinung sind, dass künftig auch Schweizer Hersteller sich zertifizieren müssen, wenn sie gegenüber den Indern konkurrenzfähig bleiben wollen. Für Heinz Buser, beim Basler Agrobusiness-Konzern Syngenta weltweit für die IT-Application Services zuständig, sind Zertifizierungen zwar nur ein Faktor für die Entscheidungsfindung, bei einer Kombination aus tiefen Preisen mit hohen, verbrieften Qualitätsstandards - wie dies indische Hersteller anbieten - aber durchaus ein zentraler. Buser kann nicht verstehen, wieso Schweizer Firmen, die "qualitativ hochstehende" Services verkaufen wollen, auf diesem Gebiet nicht führend sind.




Für die indischen Anbieter wie Infosys, TKs-Teknosoft oder Wipro gehören die Zerifikate denn auch zu den wichtigsten Verkaufsargumenten. Mit ihnen wollen sie belegen, dass ihre Arbeit im Gegensatz zu früheren Zeiten durchaus internationales Qualitätsniveau erreicht. Die Einführung von strikten Qualitätsmanagement-Prozessen ist für Offshore-Anbieter im Gegensatz zu heimischen Firmen aber auch aus anderen Gründen unumgänglich: Ohne standardisierte Prozesse ist die auf Grund von kulturellen Unterschieden und geographischer Distanz schwierigere Kommunikation mit dem Kunden gar nicht zu managen. Aber nicht nur das; immer mehr CIOs sind nicht mehr Techniker sondern kommen von der wirtschaftlichen Seite und sind sich Qualitätsmanagement-Instrumente von daher gewohnt. Wer ihnen solche Tools in die Hand gibt, erhöht damit ganz einfach auch die Chancen berücksichtigt zu werden.


Druck auf Schweizer steigt

Ob Qualitätszertifikate wie CMM, Six Sigma oder ISO 9001 im Einzelfall Sinn machen ist gar nicht entscheidend. Der Trend zur Umorganisierung der Datencenter in Service-orientierte Dienstleistungsabteilungen, die an die Geschäftsprozesse angebunden sind und die selber grosse Teile ihrer Produkte von Aussen beziehen, bedingt über kurz oder lang ein verifizierbares Qualitätsmanagement. Dazu kommt der Druck durch legislative Auflagen wie Basel II oder Sabanes Oxley, welcher die Anforderungen an die Dokumentation und Prozesse in der IT in nächster Zeit massiv ansteigen lässt, wie Buser zu bedenken gibt.




Grafik: Das Capability Maturity Model (CMM) für Software




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