Klaffende Schlucht trennt Hardware und Software

Die Wahl zwischen immer schneller und gleich schnell, aber viel günstiger, wird zur Qual: Wenn es schon 2 Gigahertz gibt, dann brauche ich die doch auch, oder etwa nicht?
17. Juni 2002

     

Software tritt an der Stelle

Nur wenige User profitieren jedoch wirklich von der Hardware-Explosion. Zum Beispiel Game-Süchtige, deren Grafikkarten gar nicht genug Millionen Polygone pro Sekunde verarbeiten können. Oder Wissenschaftler, deren täglich Brot aus komplexen Wettermodellen, verwirrlichen Strömungssimulationen oder knacknussartigen Finanzanalysen besteht. Was aber fängt Lieschen Normaluserin mit dem State-of-the-Art-PC an, den ihr die Marketingstrategen der Hersteller mit allen Mitteln schmackhaft machen wollen?



Der Brief an die Lieben schreibt sich mit hundert Megahertz nämlich genauso flott wie mit zweieinhalb Gigahertz; Gleiches gilt für Geschäftskorrespondenz aller Art. Auch die Multimedia-Euphorie ist beim Anwender beileibe nicht so gross wie beim Anbieter: Die wenigsten User schneiden auf ihrem PC ohne Unterlass Digitalvideos und benötigen wirklich ein High-End-System.





Kurz: Es fehlen alltagsgerechte Applikationen, die mit der enormen Hardwareleistung etwas anfangen können. Productivity-Software ist funktional auf dem Stand vor zwanzig Jahren stehengeblieben. Beispiel Office: Die XP-Generation überzeugt zwar mit farbigem Interface, besteht aber nach wie vor aus den gleichen Programmen. Die haben zwar immer mehr "Features", aber seit Jahren schon keine revolutionär neuen Grundfunktionen erhalten.



Noch immer gibt es zum Beispiel keine wirklich funktionierende Spracherkennung - weshalb wohl haben die PC immer noch eine Tastatur? Künstliche Intelligenz, von verschiedenen Staaten in aufgeblähten Forschungsprogrammen schon vor Jahren zur Chefsache erklärt, findet sich in allgemein verfügbarer Software allenfalls im Ansatz. Der "Computer" aus Star Trek, der mündliche Befehle nicht nur versteht, sondern aus Diktion und Stimmlage Seelenzustand und Absichten des Sprechers erkennt, ist so weit entfernt von der Realität wie Frankreich vom Weltmeistertitel. Noch grösser ist die Distanz zwischen handelsüblichen Übersetzungsprogrammen und brauchbaren Ergebnissen - wenigstens wartet diese Softwaregattung aber mit einem nicht unerheblichen Erheiterungsfaktor auf.



Vielleicht ist es ja so wie in der Autoindustrie: Solange bewährte, jahrzehntealte Konzepte wie Ottomotor und Office-Suite sich, leicht aufgemotzt, weiterhin so gut verkaufen lassen, besteht wenig Anlass zum Wechsel auf eine neue Generation. Weder die Wasserstoffwirtschaft noch der intelligente PC dürften in nächster Zeit Realität werden.



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