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Kolumne: Alter ist nicht mit Stillstand zu verwechseln

Guido Sieber über falsche Vorurteile gegenüber älteren IT-­Spezialisten.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2025/10

     

Wer sich heute in der IT von Schweizer Unternehmen auf eine Stelle bewirbt und über 50 ist, gilt oft als Oldtimer, obschon der Bewerber für gewöhnlich über einen grossen Erfahrungsschatz verfügt. Diese Experten haben den Sprung von Lochkarten zu Cloud-native Architekturen miterlebt, sie haben komplexe Systeme mehrfach migriert und in Krisenprojekten Ruhe bewahrt. Dennoch entscheiden viele HR-Abteilungen nicht nach Können, sondern nach Klischees.

Das Vorurteil lautet: Ältere seien nicht mehr lernfähig, hätten kein Interesse an neuen Frameworks oder seien zu schwerfällig für agile Methoden. Zudem seien sie fit in Anwendungen, die heute nicht mehr gefragt seien. Start-ups und schnell wachsende Firmen sehen im Alter gar ein Risiko für den «Cultural Fit». Doch wer so denkt, verwechselt Alter mit Stillstand und blendet die Realität aus.


Die Folge ist ein selbstverstärkender Mechanismus. Wer auf viele Bewerbungen nur Absagen kassiert, verliert die Motivation für weitere Bewerbungen. Gleichzeitig fehlen Weiterbildungsangebote, die das bestehende Wissen updaten. Denn gerade die Schweiz zeigt, dass sich Weiterbildung lohnt. Das Bundesamt für Statistik (BFS) weist hohe Renditen bei älteren Arbeitnehmenden nach. Erfahrung und Gelassenheit verstärken Innovationskraft.
Gerne wird ins Feld geführt, ältere Arbeitnehmende seien zu teuer. Gerade in einem Hochlohnland wie der Schweiz ist die Gelddebatte ein Topthema. Wer aus Angst vor «zu hohen Ansprüchen» auf erfahrene Bewerbende verzichtet, verliert allerdings wichtige Fachkräfte aus dem Fokus. Die Folgen sind, dass Projekte nicht fertig werden und Unternehmen Wettbewerbsfähigkeit einbüssen.

In jeder übersehenen Fachkraft steckt Know-how, das man nicht googeln oder in einem Online-Kurs erwerben kann. Dieses Erfahrungswissen kann man an keiner Hochschule erwerben. Gerade ältere Arbeitnehmer haben schon unterschiedliche Krisen und in besonderen Drucksituationen Lösungen gefunden. Dieses Wissen stillschweigend auszuschliessen, ist fahrlässig.


Die Schweizer IT ist eine der wichtigsten Disruptionstreiber. Doch in Sachen Altersdiversität herrscht Stillstand. Nötig ist ein Kulturwandel. Das beginnt bei der Stellenausschreibung. Dort sind klare Kompetenzprofile gefragt, anstatt die Suche nach «maximal fünf Jahren Erfahrung» oder dem Werben mit dem «jungem Team».

Dazu sind gerade Lernangebote, die praxisnah und flexibel gestaltet sind, interessant für ältere IT-Experten. Das Angebot sollte so vielschichtig wie möglich gestaltet sein. Also von Teilzeitkursen bis hin zu kollegialem Lernen.

Ein oft übersehenes Detail ist dazu, dass Mentoring in beide Richtungen funktionieren kann. Jüngere bringen digitale Trends, Ältere geben Wissen in Architektur und Projektführung weiter. Das Altersparadoxon im IT-Arbeitsmarkt ist ein hausgemachtes Problem.

Guido Sieber

Guido Sieber ist Managing Director und Senior Regional Director bei Robert Half. Er hat mehrere auf IT spezialisierte Personalberatungen als CEO aufgebaut und geleitet. Der Tech-Experte berät seit Jahren branchenübergreifend Unternehmen zu allen Aspekten der IT und ihrer Digitalisierungsprogramme mit Schwerpunkt Consulting und Personalgewinnung, darunter Weltmarktführer und DAX40-Unternehmen.


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