Ein Datacenter im Zeichen der Nachhaltigkeit
Quelle: Swiss IT Magazine

Ein Datacenter im Zeichen der Nachhaltigkeit

Mit dem Rechenzentrum Stollen Luzern versucht Energie Wasser Luzern, ein möglichst nachhaltiges Datacenter zu betreiben. Können sich andere Schweizer RZ-Betreiber hier etwas abschauen?

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2023/06

     

Rechenzentren (RZ) sind aus der heutigen IT und damit der gesamten Wirtschaft nicht mehr wegzudenken. Das gilt ganz besonders für die Schweiz, die sich in den letzten Jahren aus mannigfaltigen Gründen einen Ruf als Rechenzentrumsland erarbeitet hat. Der Elefant im Raum: Der Energieverbrauch für Server, Kühlung und Infrastruktur ist gigantisch. Und das wohl wichtigste Abfall- respektive Nebenprodukt – die Abwärme – wird bei vielen Rechenzentren nicht einmal richtig genutzt.

Das wirft Fragen zur Nachhaltigkeit auf, die immer mehr Beachtung in der Öffentlichkeit finden. Im Kanton Zürich etwa setzt man sich derzeit politisch mit einem Vorstoss auseinander, der Rechenzentrumsbetreiber dazu zwingen soll, ihre Abwärme nutzen zu müssen. Auch bekommen Negativbeispiele vermehrt mediale Aufmerksamkeit und rücken damit ins Bewusstsein von Bevölkerung und Politik, wie im Interview mit GLP-Nationalrat Jörg Mäder in der Print-Ausgabe nachzulesen ist. Mäder vertritt im Gespräch die Ansicht, dass es für nachhaltigere IT-Technologie Vorzeigeprojekte geben muss, die nachhaltige Innovationen kompromisslos umsetzen und damit Vorbilder für die Branche sein können. Die Schweiz sei dank ihres hohen Bildungs- und Technologiestands prädestiniert, solche Leuchtturmprojekte in Angriff zu nehmen, wie er überzeugt ist.


EWL (Energie Wasser Luzern) ist der Energieversorger der Stadt Luzern und betreibt über die Tochterfirma EWL Rechenzentrum das Rechenzentrum Stollen Luzern, welches an zentraler Lage in der Stadt Luzern in einem alten Zivilschutzbunker untergebracht ist. Das Datacenter will – dank einem ganzheitlich gedachten Nachhaltigkeitskonzept – gewissermassen das sein, was Nationalrat Mäder im erwähnten Gespräch angesprochen hat: Ein Vorzeigeprojekt im Bereich ökologisch konzipierter Rechenzentren, von dem sich zukünftige RZ-Projekte einige Ideen borgen könnten.

«Swiss IT Magazine» traf sich im Rechenzentrum Stollen Luzern mit dessen Geschäftsführer Marco Reinhard und erhielt einen exklusiven Blick hinter die Kulissen eines etwas anderen Schweizer Datacenters.

Der Bunker am See

An malerischer Lage, direkt am Ufer des Vierwaldstättersees, liegt der Wartegghügel. Er ist von Bunkerröhren durchzogen, die als Zivilschutzanlage seit 1969 den Schülern der nahegelegenen Kantonsschule und den Mitgliedern des Regierungsrats im Falle einer Eskalation des kalten Kriegs Schutz bieten sollten. 2011 war dann Schluss – die Anlage wurde ausgemustert und ging vom Kanton in den Besitz der Stadt über.


Spaziergänger, die dem See und dem Wartegghügel entlanggehen, passieren nur wenige Schritte vom Ufer entfernt ­einen am grünen Hügel etwas fremdartig wirkenden Eingang: Ein fabrikneues schlichtes Tor, versehen mit zahlreichen Sicherheitskameras. Davor ragen dicke, ausfahrbare Absperrpfosten aus dem Boden. Aufmerksame Passanten ahnen wohl schon, dass hier schützenswertes Gut lagert. Und damit täuschen sie sich nicht – seit Sommer 2022 werden hinter den Türen des Stollens Daten verarbeitet und gespeichert.

Racks statt Schutzbedürftige

Marco Reinhard, seines Zeichens Geschäftsführer von EWL Rechenzentrum, und Edwin Ebbing, Sales Manager Datacenter des Unternehmens, heissen uns vor dem Tor willkommen und öffnen uns über den Iris-Scanner am Eingang den Weg in den Stollen. Der Weg führt durch ein retrofuturistisch gestaltetes Foyer mit italienischen Designer-Sesseln, vorbei an einem Empfangsschalter hinter Panzerglas und durch eine Sicherheitsschranke. Nach dem Entgegennehmen des Besucher-Badges geht es durch die Schranke ins Innere der Anlage, in der bis zur Schliessung des Bunkers noch Betten, Küchen und sanitäre Anlagen für 1000 bis 2000 Menschen die Tunnels füllten.

Der Bau besteht neben dem Eingangsbereich aus fünf Haupt- sowie acht Nebenstollen (siehe Bild Orientierungsplan rechts). Da das Rechenzentrum derzeit noch nicht ausgelastet ist – genaue Zahlen zur Auslastung verrät EWL aber nicht –, ist ein Teil der Röhren derzeit noch leer oder nur teilweise mit Racks gefüllt. Der Gang durch die Stollengänge ist durchaus speziell. Wer schon einmal in alten Bunkeranlagen unterwegs war, kennt die eigenartige Stille im Inneren und das Gefühl, von der Aussenwelt abgeschnitten zu sein. Man bewegt sich dabei in einer etwas surrealen Vergangenheit, in der die Angst vor der Eskalation eines schwelenden Kriegs dominierte. Im Rechenzentrum Stollen Luzern ist die Abgeschnittenheit von der Aussenwelt nach wie vor spürbar, man fühlt sich aber vielmehr in die Zukunft versetzt – die Kühlung surrt im Hintergrund, hier und da erinnert ein Warnsignal des Sicherheitssystems daran, dass eine Türe ein wenig zu lange offen war. Am Ende des Ganges sorgt eine Reinigungskraft für pingelige Sauberkeit.


Das mulmige Gefühl, welches diesen alten Anlagen innewohnt, wurde im Rechenzentrum Stollen Luzern von einer High-Tech-Blase ersetzt, die im Inneren eines Reliktes aus vergangenen Zeiten errichtet wurde.

Klein aber fein

Das Rechenzentrum Stollen Luzern darf im nationalen Vergleich als klein, aber fein bezeichnet werden. Es bietet 1640 Quadratmeter IT-Systemfläche, was etwa 600 Racks entspricht. Zum Vergleich: Die drei bestehenden Green-Datacenters in Lupfig bieten zusammen alleine rund 10’000 Quadratmeter Rechenzentrumsfläche. Als gesamte Systemleistung für die Racks weist EWL 2,4 MW aus, die durchschnittliche Rack-Last entspricht 4,2 kW. Angeboten werden ausschliesslich Colocation-Leistungen.

Die meisten Kunden sind daher IT-Dienstleister, die hier die Workloads ihrer Kunden hosten. Verfügbar sind Colocation Racks (minimal ein Drittel eines Racks), Private Cages (ab acht Racks) und gänzlich abgeschottete Private Suites. Gebaut wurde nach der TÜVIT-Zertifizierung «Level 3 erweitert» (entspricht dem Uptime-Institute-Standard Tier 3), entsprechend zertifiziert wird das Datacenter dann im September 2023. Weiter verfügt man über die heute übliche ISO-27001-Zertifizierung und ist vollständig Carrier-neutral.


«Das Rechenzentrum ist ausserdem als Dark Site designt», wie Marco Reinhard ausführt. In anderen Worten: Es ist so konzipiert, dass für den Betrieb nicht zwingend jemand vor Ort sein muss. Die registrierten Kunden haben über das biometrische Zugangssystem 24/7 Zutritt, um ihre Hardware zu warten.

(Fast) ohne CO2

Einer der Claims von EWL ist, dass man im Stollen ein CO₂-neutrales Rechenzentrum betreibt. Daher kommt laut EWL ausschliesslich zertifizierter Schweizer Strom aus erneuerbaren Energiequellen zum Einsatz. «Das stimmt so lange, bis wir die Diesel-Notstromgeneratoren anstellen müssen, was jeden Monat zu Testzwecken notwendig ist», wie Reinhard einräumt. Das ist bisher leider eine Notwendigkeit, wie er anfügt – denn mit dem Einsatz von Biodiesel würde man die Garantie des Herstellers verlieren. Ein kleines bisschen fossile Energie steckt also auch hier im System – noch. Der Geschäftsführer ist sicher, dass sich künftig auch hierfür eine bessere Lösung finden lässt. «Im Normalbetrieb sind wir aber CO₂-neutral. Und natürlich speisen wir den bei Generator-Testläufen erzeugten Strom ins Strom- und die Abwärme ins Wärmenetz zurück», wie Sales Manager Edwin Ebbing ergänzt. Zusätzlich wird der Stickoxid-Ausstoss des Motors mit einem Partikelfilter und der Adblue-Lösung mit Harnstoff weiter reduziert.


Wie bei Rechenzentren üblich, ist aber noch ein weiterer Sicherheits-Layer für die Stromversorgung notwendig, der den Betrieb bis zum Anspringen des Dieselgenerators sicherstellt, auch bekannt als unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV). Oftmals werden hier Blei- oder Lithium-Akkus verwendet, was bezüglich Nachhaltigkeit wiederum fragwürdig ist, da diese von Zeit zu Zeit ausgewechselt werden müssen und durchaus kritische Rohstoffe enthalten. Auch für die USV gibt es eine umweltschonendere Lösung, welche im RZ Stollen zum Einsatz kommt: Schwungräder (Fly Wheels). Dies sind zylinderförmige Apparate, in deren Inneren im Vakuum ein 2-Tonnen-­Schwungrad mit 4800 Umdrehungen ununterbrochen vor sich hindreht. «Die Alternative zu den Schwungrädern wären bei uns etwa 150 Tonnen Blei gewesen», so Reinhard. «Und falls man zwei Stromausfälle nacheinander haben sollte, sind die Schwungräder besser positioniert als Batterien – sie sind im Gegensatz zu Batterien nämlich in wenigen Minuten wieder geladen», wie Edwin Ebbing ergänzt. Und, einmal mehr: Auch die Abwärme der Schwungräder, welche diese permanent produzieren, fliesst zurück ins Wärmenetz, so der Sales Manager.

Die Abwärmenutzung auf die Spitze treiben

Das schon mehrfach genannte Wärmenetz für den Transport von Wärme und Kälte betreibt EWL bereits seit mehreren Jahrzehnten unter dem Namen See-Energie. Kaltes Wasser wird für die Kühlung, etwa für Klimaanlagen, heisses für Warmwasser und Heizungen genutzt.

Das Kühl- und Abwärmesystem des Rechenzentrums funktioniert, vereinfacht gehalten, folgendermassen: Die Kälte im Stollen wird mit kaltem Seewasser erzeugt, welches von der Zentrale mit einer Temperatur von etwa 13 Grad Celsius hineingepumpt wird. Nach dem Weg durch die Kühlanlage des Rechenzentrums verlässt das Wasser die Site mit einer Temperatur zwischen 19 und 25 Grad (abhängig von der Auslastung) wieder. Mit diesem Temperaturunterschied wird mittels Wärmepumpen in der Zentrale dann das Warmwasser für das Wärmenetz aufgeheizt. Das ganze System ist in mehrere geschlossene Wasserkreisläufe unterteilt, welche ihre jeweiligen Temperaturen mit Wärmetauschern an den nächsten Wasserkreislauf übergeben.


«Die Nutzung der Abwärme treiben wir mit diesem System wirklich auf die Spitze», wie Reinhard stolz betont. «Damit haben wir hier drinnen keine Kältemaschinen mit Kompressoren, die besonders im Sommer viel Strom fressen würden, wie sie in vielen andern RZs zum Einsatz kommen. Wir brauchen lediglich Strom für die Pumpen.» Eine Notkühlung hat das Rechenzentrum natürlich auch – hierfür zapft man falls nötig vorübergehend das Trinkwassernetz der Stadt an.

Bau im Ballungszentrum

«Der Stollen war seit dem Ende des Kalten Krieges weitgehend ungenutzt. Die ersten Ideen für ein Rechenzentrum kamen dann vor rund zehn Jahren auf», wie Marco Reinhard erklärt. Vorgängig wurden zahlreiche Studien und Abklärungen gemacht. Dies war im Falle des Rechenzentrums Stollen Luzern besonders wichtig und aufwändig, weil der Plan, das Rechenzentrum zu einem Teil des bestehenden Wärme-Ökosystems der Stadt Luzern zu machen, auch zahlreiche Abhängigkeiten nach sich zog. Finanziert wurde das rund 30 Millionen Franken teure Rechenzentrum von EWL selbst, «da ist keinerlei Fremdfinanzierung drin», wie Reinhard versichert.


Mit dem Bunker bereits eine bauliche Basis für das Rechenzentrum zu haben, ermöglichte den Initianten gewisse Einsparungen – sowohl bei den Baukosten wie auch bezüglich Nachhaltigkeit. Um spezielle bauliche Massnahmen kam man dennoch nicht herum, der gesamte Eingangsbereich musste für die Anlieferung der Gerätschaften und die Sicherheitseinrichtungen etwa erweitert werden. Reinhard: «Durch die Umnutzung der bestehenden Bauten haben wir aber verhältnismässig wenig Beton gebraucht.» Der Stollen hat einen weiteren Vorteil: Während die Schweiz über Wohnungsnot und Verdichtung diskutiert, konnte hier ein Rechenzentrum an zentraler Lage realisiert werden. Durch die Stadtnähe kann die Abwärme effizienter genutzt werden, ohne dabei wertvollen Raum im Ballungsgebiet der Stadt zu verschwenden.

Vorbild oder Unikum?

Bei der Betrachtung des Rechenzentrums Stollen Luzern stellt man sich unweigerlich die Frage, ob Projekte wie dieses als Vorbild für weitere Rechenzentren mit Nachhaltigkeitsfokus dienen können. Ehrlicherweise muss man wohl sagen: teilweise. Denn einiges, was die Luzerner Lösung ausmacht, ist an anderen Orten kaum in dieser Form reproduzierbar. Das System muss etwa nahe am Wasser und an einem Ballungsgebiet sein, damit beim Transport der Kälte und Wärme nicht zu viel Energie verloren geht. Weiter sind – wie immer beim Rechenzentrumsbau – Daten- und Stromleitungen enorm wichtig, was die Standortwahl einschränkt. Das Rechenzentrum profitiert hier auf mehreren Ebenen: Ein Wärmenetz war seitens EWL bereits im Aufbau. Weiter kann man als Rechenzentrum mit einem Energieversorger als Betreiber weitere Synergien nutzen – etwa bei der Stromversorgung oder beim Monitoring. Und nicht zuletzt waren die bereits bestehenden Räumlichkeiten, in denen das Datacenter gebaut wurde, betreffend Lage wie auch Sicherheit gewissermassen eine Steilvorlage.

Das Konzept des Datacenters einfach als perfekte Blaupause betrachten zu wollen, ist damit wohl eher fehl am Platz. Dennoch hat man hier viel Aufwand betrieben, eine möglichst sinnvolle und umweltschonende Lösung zu finden und ist damit weit gekommen. Man kann sich bei der Planung eines Rechenzentrums somit gegebenenfalls einiges, aber aufgrund der zahlreichen genannten Besonderheiten sicher nicht alles, abschauen.


«Alle diese einzelnen Elemente – die Kühlung ohne Kältemaschinen, die Nutzung von sauberem Strom und die exzessive Abwärmenutzung – lassen sich grundsätzlich in anderen Rechenzentren implementieren. Ob es sinnvoll ist, unsere Lösung als Ganzes kopieren zu wollen, sei aber dahingestellt», so die Einschätzung von Geschäftsführer Marco Reinhard. «Doch ich bin überzeugt, dass es viele Projekte gibt, die ähnliches Potenzial hätten.» Als fortschrittliches Rechenzentrumsland sollten wir daher wohl die Augen offenhalten, um rechtzeitig zu handeln, wenn solches Potenzial brach liegt. (win)


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