Start-up BrainE4: Kollektive statt künstliche Intelligenz
Quelle: BrainE4

Start-up BrainE4: Kollektive statt künstliche Intelligenz

Während derzeit viel über die Chancen und Gefahren künstlicher Intelligenz zu lesen ist, setzt das Schweizer Start-up BrainE4 auf Schwarmintelligenz und unser aller Denkvermögen als Problemlösungsinstrument.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2023/06

     

Intelligenz existiert in unterschiedlichen Formen. Die derzeit wohl am meisten und gleichzeitig auch heissesten diskutierte ist die Künstliche. Sie entwickelt sich rasant und entsprechende Technologien und Lösungen ermöglichen uns inzwischen bereits viele Dinge, die so vor kurzem noch undenkbar gewesen wären. Was aber, wenn menschliches Denken gefragt ist? Also wenn man zum Beispiel unverzerrt den Kontext verstehen oder in noch nicht dagewesenen Situationen Urteile fällen muss? Dann kann uns das Aargauer Tech-Start-up BrainE4 mit seiner in eigenen Worten mobilen Denkfabrik unterstützen.

BrainE4 will, durch die Vernetzung kreativer Ressourcen und die digitale Verschmelzung menschlicher Ideen und Meinungen, Organisationen aller Art zu mehr Innovation verhelfen. Das Stichwort lautet Schwarmintelligenz, auch kollektive Intelligenz oder Gruppenintelligenz genannt – ein Begriff, der dank der kürzlich im Fernsehen ausgestrahlten Thril­ler-Serie «Der Schwarm», basierend auf dem Besteller von Frank Schätzing, inzwischen fast so geläufig wie KI ist.


Schwarmintelligenz bezeichnet die Fähigkeit von Gruppen, gemeinsam Entscheidungen zu treffen und durch ihre Zusammenarbeit bessere Ergebnisse zu erzielen, als dies einzelne Menschen könnten. «Sie bringt Ideen und Fortschritte hervor, die im Alleingang nicht zu erreichen sind», führt BrainE4-Gründer und CEO Andreas Seonbuchner aus. Ein Schwarm umfasst dabei in der Regel 20 bis mehrere Tausend Personen.

Vom individuellen Denk­ver­mögen zum kollektiven Gehirn

BrainE4 bietet Schwarmdialoge an, mit denen das individuelle Denkvermögen von Mitarbeitenden, Kunden, Mitgliedern oder ganzen Bevölkerungsgruppen gesammelt und quasi als «kollektives Gehirn» genutzt werden kann. Kern dieser Dialoge ist eine gleichzeitig stattfindende quantitative und qualitative, digitale Gruppenbefragung in Form von Duellen. Dabei treten fortlaufend zwei Ideen oder Themen gegeneinander an und der Nutzer entscheidet mit einem Klick, was ihm wichtiger ist. Zudem kann man im selben Moment eigene Inhalte einbringen und darüber abstimmen lassen.

«Schwarmintelligenz wirkt immer dann, wenn alle unabhängig voneinander ihre Einzelmeinungen selbstorganisiert abgeben können, ohne Beeinflussung durch die Lautesten und ohne Gruppendruck», erklärt Seonbuchner. Am besten veranschaulicht dies ein konkretes Beispiel. Das Hightech Zentrum (HTZ) Aargau wollte kürzlich wissen, wie die Rahmenbedingungen für KMU verbessert werden können und startete dazu am KMU SWISS Symposium 2023 in Baden zusammen mit BrainE4 einen Schwarmdialog, der vier Wochen online war. Das Ergebnis: Durch den Schwarm wurden über 60 Ideen generiert und fast 7000 Duelle spielerisch ausgetragen. «Es ist genial zu sehen, wie Schwarmintelligenz funktioniert und welch breites und interessantes Spektrum an Antworten entsteht», meint BrainE4-Gründer Seonbuchner.


Entwickelt wurden die inzwischen sechs Dialogmodule von BrainE4, die alle als Web-App zur Verfügung stehen und damit auf jedem Gerät und Browser laufen, hier in der Schweiz. Die Schweizer Fahne wird auch bezüglich Hosting hochgehalten: Die gesammelten Daten werden alle hierzulande gespeichert – und übrigens auch nicht weiterverarbeitet. «Wir haben weder Eigentumsrechte an den Inhalten noch das Recht zur weiteren Verwendung oder zur Weitergabe der Daten», versichert Seonbuchner. BrainE4 ist also datenschutzkonform, sowohl nach Schweizer als auch nach EU-Recht.

Etwas, das es so noch nicht gibt

Die Grundidee für BrainE4 entstand 2016, während eines Managementseminars in den Bündner Bergen. «Ich hatte im Rahmen eines Workshops die Aufgabe, einen Businessplan zu entwerfen und wollte dabei herausfinden, ob das Teilen von Wissen auch im grossen Stil funktioniert», berichtet Seonbuchner. Diese Idee hat ihn seither nicht mehr losgelassen und führte zwei Jahre später schliesslich zur Gründung des eigenen Unternehmens, für welches das Herz des ehemaligen Partners und Geschäftsleitungsmitglieds von Namics bis heute schlägt. «Wir haben mit BrainE4 etwas geschaffen, dass es so auf dieser Welt noch nicht gibt.»

Gestartet ist BrainE4 im Jahr 2020 mit einem klaren Fokus auf den öffentlichen Sektor. Dies im Rahmen eines Innosuisse-Projektes, das vom Bund mit einem namhaften Betrag unterstützt wird. Man habe dann aber sehr schnell erkannt, wie mächtig Schwarmdialoge auch für andere Bereiche, Themen und Branchen seien, so Seonbuchner. Aktuell bietet man, wie bereits erwähnt, sechs Dialogmodule an, und diese Liste wird länger werden. So denkt man beispielsweise über ein Modul für den Bildungs- und Sportbereich nach, aber auch die Begleitung von Firmenübernahmen wäre laut Seonbuchner ein interessanter Anwendungsbereich. «Wir lernen den Markt nach wie vor kennen», so der CEO, ergänzt aber gleich umgehend, dass man nur anbiete, was wirklich nachgefragt werde.


Wir, das sind übrigens Andreas Seonbuchner sowie Joël Arnold und David Graf, denen BrainE4 mitgehört. Sie bringen zusammen über 30 Jahre Erfahrung in der Software-Entwicklung in das noch junge Unternehmen. Noch arbeiten nicht alle zu 100 Prozent für das Aargauer Start-up. Das soll sich aber bald ändern, befindet man sich doch gegenwärtig auf der Suche nach Investoren, mit denen man anschliessend weiter wachsen möchte. Mit an Bord sind zudem Marco Looser als Senior Account Manager sowie ein Freelancer im Bereich Marketing und Kommunikation.

KI als praktisches Hilfsmittel

Neben den fünf operativ tätigen Personen kann BrainE4 auf ein grosses Advisory Board von derzeit sieben Mitgliedern zählen. Mit weiteren interessanten Persönlichkeiten sei man im Gespräch. Das Advisory Board und die Wissenschaft sind für das Start-up von grosser Bedeutung. «Wir können BrainE4 nur glaubwürdig weiterentwickeln, wenn wir namhafte Wissenschaftler sowie Technologiepartner hinter uns wissen», erklärt CEO und Gründer Seonbuchner. «Darum arbeiten wir eng mit Hochschulen wie der OST, ZHAW, HSLU sowie FHNW zusammen.»

Neben der bereits angesprochenen Investorensuche will BrainE4 in diesem Jahr die Produktentwicklung weiter vorantreiben. Neben Modulen für neue Zielmärkte ist beispielsweise die Simultanübersetzung ein Thema. Man möchte Schwarmdialoge künftig auch über verschiedene Sprachgrenzen hinweg für multinationale Firmen und Organisationen ermöglichen, wobei dies laut Seonbuchner zum aktuellen Zeitpunkt bereits in Englisch möglich ist.


Simultanübersetzungen sind eine Stärke von KI, womit wir eine Brücke zum eingangs erwähnten Hype-Thema schlagen. Auch BrainE4 nutzt künstliche Intelligenz, dies in weniger sensitiven Anwendungen innerhalb der App, beispielsweise für die Erkennung von Duplikaten. Die Entscheidungsfindung basiere allerdings immer auf menschlicher Intelligenz, stellt Seonbuchner klar, der KI richtig eingesetzt als ein sehr sinnvolles Instrument ansieht. «Am Ende entscheidet bei BrainE4 immer ein urteilsfähiger Mensch mit der gebündelten menschlichen Intelligenz.»

Apropos Mensch: Wie stellt BrainE4 eigentlich sicher, dass Schwarmdialoge nicht manipuliert werden? Man könnte zur Beantwortung der Duelle zum Beispiel Bots einsetzen oder sich offline absprechen, um bestimmte Ideen und Themen zu pushen. «Dies haben wir gemeinsam mit unseren Hochschulpartnern wissenschaftlich detailliert untersucht und Massnahmen umgesetzt», so Seonbuchner, in dem bereits die nächste, grosse Idee schlummert. Während man mit BrainE4 aktuell in erster Linie das wirtschaftliche, wissenschaftliche und politische Umfeld anspreche, könnte die Schwarmintelligenz in Zukunft auch das persönliche Leben erleichtern. Wie das gehen wird? Lassen wir uns überraschen. (mv)


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