Start-up Perspective Food: Künstliche Intelligenz gegen ­Food Waste
Quelle: Perspective Food

Start-up Perspective Food: Künstliche Intelligenz gegen ­Food Waste

Weniger Food Waste, stärkere Margen und bessere Qualität dank Daten und KI: Perspective Food bringt Machine Learning in die Gastro-Planung.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2023/03

     

In einigen Wirtschaftszweigen sind digitale Innovationen und deren Akzeptanz noch recht überschaubar. Wie Torsten Petersen, Geschäftsführer des Start-ups Perspective Food, klarstellt, ist die Food-Branche eine davon. «Man kann sich heute einen Tisch übers Internet reservieren. Ob das nun digitale Transformation ist, darüber lässt es sich trefflich streiten», wie er zu Beginn schmunzelnd bemerkt und anfügt: «Speziell die Themen künstliche Intelligenz und Machine Learning sind im Food-Bereich respektive in der Gastronomie Neuland.» Natürlich hatte die Pandemie auch in der Gastro unerwartete Digitalisierungssprünge zur Folge (z.B. im Bereich ­Essenslieferungen), aber wirklich angekommen ist die Digitalisierungswelle bis heute nicht, so Petersen.


Hier setzt Perspective Food an: Die Verpflegungsbranche soll sich KI und Machine Learning zu Nutze machen können. «Wir wollen der Gastronomie datenbasiert Prognosen, Planung und Strukturen bieten», so der Geschäftsführer. Das erklärte Ziel und Kundenversprechen: Höhere Einnahmen und weniger Food Waste bei gleichbleibender oder gar gesteigerter Qualität. Und das alles als zeitgemässe SaaS-Lösung.

Menüs für die Tonne

Torsten Petersen hat seinen Hintergrund im Bankenwesen und investierte in der Vergangenheit bereits in ein Unternehmen, das sich mit Warenwirtschafts-Software für die Gemeinschaftsverpflegung beschäftigte – also mit der Essensversorgung in Schulen, Unternehmen, Spitälern oder Altersheimen. Petersen: «Der damalige Geschäftsführer Hans-Dieter Raebel und ich dachten uns, dass es möglich sein muss, mit künstlicher Intelligenz Prognosen zu machen, die das Konsumverhalten der Gäste genau voraussagen.»

So suchten die beiden die Zusammenarbeit mit einer Bildungseinrichtung, die im Bereich KI forscht, und wurden an der St. Galler Hochschule HSG fündig. Damit stiessen der damalige dortige Direktor Markus Brönnimann und der Informatikprofessor Ivo Blohm zum Team der Gründer. Als Fünfter kam schliesslich noch Petersens Sohn, Jan Thore Petersen, hinzu, der seinen Hintergrund im Private-Equity-Geschäft hat. Mit diesem Kompetenz-Cocktail aus den Bereichen Warenwirtschafts-Software, KI, Strategie, ­Banking und aktuellem Schweizer Private­­Equity-Business wurde Ende 2017 Perspective Food in Form einer GmbH gegründet.


Die erste Überlegung war es, datengesteuerte KI-Unterstützung für traditionelle Restaurants und Restaurant-Ketten anzubieten. Die Umsetzung wäre hier laut Petersen zwar recht einfach gewesen, «aber wir haben auch gemerkt: Die Einsparungen rechtfertigen den Aufwand nicht. Wir mussten es also da versuchen, wo die Margen dünn sind, wo hohe Menü­-­Umsätze stattfinden, wo der meiste Food Waste anfällt und wo man durch präzise Prognosen Geld sparen kann.» Und dieser Use Case fand sich dort, wo man bereits Erfahrung und Kontakte hatten: in der Gemeinschaftsverpflegung. Petersen rechnet vor: «In grossen Uni-Mensen wurden vor Corona mehr als 4000 Menüs pro Tag serviert. Bei nur 5 Prozent Food Waste werden damit täglich 200 Menüs weggeworfen. Das geht richtig ins Geld.»

Food-Trends aus Social Media

Die Herangehensweise von Perspective Food ist es, einen riesigen Fächer an Daten zu sammeln und diese mithilfe von Machine Learning für die Prognose der Menüs und weitere Dienste zu nutzen. Die Ergebnisse werden in einer Web-Oberfläche ausgegeben. Der wichtigste und naheliegendste Datensatz sind die Kassendaten – also die tatsächlich konsumierten Menüs – aus der Vergangenheit. Sie dienen nachträglich auch als Massstab beziehungsweise Referenz für die Vorhersagen, die Perspective Food trifft.

Hinzu kommen zahlreiche weitere Datenpunkte. Ein einfaches Beispiel aus ­einer Zürcher Uni-Mensa: Wenn schönes Wetter ist, setzen sich die Studenten an die Limmat, essen dort Take-Away und die Mensa bleibt auf ihren Schnitzel-­Pommes sitzen. Weitere Einflüsse können etwa öffentliche Veranstaltungen, Stundenpläne oder gar Fahrplandaten sein. Noch mehr Komplexität bieten Spitalküchen, wo Diäten oder privatversicherte Patienten die Menüplanung erschweren. Für die perfekte Vorhersage greift man tief in die Trickkiste: Die KI arbeitet unter anderem auch mit Food-Trends von Social Media und ganz neu mit GPT-3 (die Basis von ChatGPT), um Prozesse in der Küche zu automatisieren, noch genauere Verkaufsprognosen zu ermöglichen und der Küche Vorschläge zur Menüverbesserung machen zu können.


«Für uns ist das Verbessern unserer Software damit ein ständiger Prozess: Die fortlaufende Sammlung und Optimierung all dieser Daten sowie die Gewährleistung deren Qualität», so Petersen. Und je länger dieser Prozess dauert, desto besser wird das Produkt, denn dank Machine Learning macht jeder hinzugezogene und genutzte Datensatz das Modell genauer.

Compliance Check für die Speisekarte

Doch nicht nur der Input (die Daten) wird stetig verbessert, auch beim Output hat sich während der Entwicklung gezeigt, dass die Software mehr kann als nur Menü-­Prognosen zu liefern. Im Rahmen der sogenannten Food Compliance können die Menüs auf gewisse Vorgaben geprüft werden. Wird etwa zu viel derselben Stärkebeilage verkocht oder zu viel frittiert, kann das System entsprechende Hinweise geben. «Ein heute sehr gern gesehenes Asset für die Sicherung der Qualität», so Petersen.

Weiter bietet die Lösung, nun auch GPT-3-basiert, Features wie Vorschläge für die Menüplanung oder auch datenbasierte Personalplanung. Weitere Funktionen und Use Cases werden wohl in der laufenden Entwicklung dazukommen. Petersen: «Wir sind bis heute in dieser Entwicklung und sprechen intensiv mit den Küchenchefs und dem Management, um zu wissen, was gebraucht wird.»


Der Kunde kann den Output in der Web-Oberfläche der SaaS-Lösung beziehen oder sie sich von Perspective Food seinen Wünschen entsprechend zuschicken lassen. Die Kosten für die aktuell angebotenen Module Menüprognose, Food Compliance und Umsatzplanung liegen zusammen bei rund 500 Franken pro Monat. Dazu kommt ein personalisiertes Onboarding, dessen einmalige Kosten sich auf etwa 2000 Franken belaufen.

Schätzwettbewerb

Um den Fuss in die Tür eines Caterers zu bekommen, werden Pilotprojekte mit ­einem Schätz-Wettbewerb zwischen KI und Küchenchef durchgeführt. Laut Petersen erreicht man hierbei mittlerweile recht genaue Werte und kommt dem Prüfwert der Kasse meist so nahe, dass so gut wie kein Food Waste mehr zu verzeichnen ist. Die Betriebe erreichen in der Folge bessere Margen und können gleichzeitig noch etwas Gutes für die Umwelt tun. Gerade letzteres passt ausgezeichnet zum Zeitgeist und kommt damit auch dem Marketing zugute, wie Petersen anfügt.


Seit dem Spätsommer 2022 ist die Software produktiv bereits bei einigen Kunden im Einsatz, darunter namhafte Schweizer Grossbanken, Universitäten und Versicherungen. Neben dem Ausbau des Kundenstamms soll nun auch die Internationalisierung in Angriff genommen werden. Petersen: «2023 wird unser Jahr!»

Aus eigener Tasche

Hinter den Datenbergen und den Menüprognosen steht ein siebenköpfiges Team um Petersen, der die kaufmännische und organisatorische Verantwortung innehat. Weiter arbeiten vier Daten- und IT-Spezialisten bei Perspective Food. Die sechste Arbeitskraft ist ein Abgänger der Luzerner Hotelfachschule, der mitverantwortlich für den Verkauf ist, sein Gastro-Netzwerk einbringen soll und die Schnittstelle zum Küchenchef bildet. Als siebte Arbeitskraft kümmert sich neu eine Studentin der Hotelfachschule ums Marketing, «welches bisher gegenüber der Forschung und der Entwicklung schmählich vernachlässigt wurde», so Petersen.

Nach der Finanzierung des Unterfangens gefragt, stellt Petersen sofort klar, dass sein Unternehmen nicht fremdfinanziert ist. Man startete 2017 als GmbH mit finanzieller Beteiligung aller Gründer und auch die Umwandlung zur AG im Jahr 2020 stemmte man mit eigenen Mitteln. Eingehende Umsätze, das Startkapital und mehrere in der Höhe unbenannte Darlehensrunden reichten dem Unternehmen dank sparsamem Wirtschaften bis heute.


Zentral ist dabei ein traditioneller Start-up-Gedanke, den man hierzulande wohl nur noch selten antrifft: Die vollumfängliche Beteiligung der Angestellten. «Alle operativ tätigen Mitarbeiter sind auch Gesellschafter», so Petersen. Damit steigen das Engagement, der Durchhaltewille und der Glaube an den Erfolg. Und obwohl oder vielleicht auch genau weil der Banking-Spezialist Petersen selbst aus dem Private-Equity-Geschäft kommt, würde er jedem hiesigen Start-up ans Herz legen, nach Möglichkeit kein fremdes Kapital in den ersten Gründungsjahren zu nutzen. Damit liegt jedoch die Frage auf der Hand, zu welchem Zeitpunkt sich die IT-Profis und Datenspezialisten von Perspective Food den Lohn werden auszahlen dürfen, den sie im offenen Arbeitsmarkt verlangen könnten. «Vielleicht schon 2023», antwortet Petersen zuversichtlich lächelnd. «Wir sind da sehr optimistisch und stehen kurz davor, richtig voranzukommen.» (win)


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