Alles okay bei der virtuellen Zusammenarbeit?

Spricht man mit den Kunden von Unternehmen, dann zeigt sich oft, dass sie die Folgen der verstärkten virtuellen oder hybriden Zusammenarbeit bei ihren Lieferanten und Dienstleistern in Form einer sinkenden Qualität spüren. Deshalb staut sich bei ihnen Unmut an.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2023/01

     

Alles paletti; alles läuft rund.» Diese Aussage hört man oft von Führungskräften und Mitarbeitern von Unternehmen, wenn man mit ihnen über die seit Ausbruch der Coronapandemie verstärkte virtuelle Zusammenarbeit beziehungsweise das vermehrte Arbeiten im Home Office spricht. Zwar beklagen die Gesprächspartner dann zuweilen die reduzierte persönliche Kommunikation mit ihren Kollegen, doch ansonsten ist aus ihrer Warte «alles paletti».

Kunden spüren ein Nachlassen der Qualität

Anders äussern sich oft die Kunden dieser Unternehmen, wenn man mit ihnen über das Thema spricht. Diese beklagen nicht selten, dass sie durchaus die Auswirkungen der veränderten Zusammenarbeit spüren – zum Beispiel in Form einer verzögerten oder zuweilen sogar ausbleibenden Reaktion auf ihre per Mail an die Lieferanten und Dienstleister artikulierten Fragen und Anliegen. Auch ist eine steigende Zahl von Fehlern und Nachlässigkeiten zu verzeichnen, die sich in die Auftragsbearbeitung einschleichen. Und zwar vor allem dann, wenn an der Leistungserbringung beim Lieferanten mehrere Mitarbeiter oder Bereiche mitwirken, die sich wechselseitig informieren und ihre Arbeit koordinieren müssen. Dann treten an den Schnittstellen, die eigentlich Nahtstellen sein sollten, bei einer weitgehend virtuellen Zusammenarbeit oft vermehrt Probleme auf – zum Beispiel, weil bei der digitalen Übergabe des Staffelstabs:

- wichtige Kunden- respektive Hintergrundinfos verloren gehen,


- unklar bleibt, wer was genau bis wann tut,

- sich letztendlich jeder Prozessbeteiligte nur für seine Teilaufgabe verantwortlich fühlt, aber niemand dafür, dass das Kundenanliegen als Ganzes wunschgemäss erfüllt wird.

So beklagte zum Beispiel unlängst der Inhaber eines mittestständischen Betriebs, dass er zunehmend das Vertrauen in die Steuerkanzlei verliere, mit der er seit über 25 Jahre zusammenarbeite und die auch die Lohnabrechnung für seine Mit­arbeiter mache. Denn seit die Kanzleimitarbeiter weitgehend im Home Office tätig seien, also verstärkt virtuell zusammenarbeiten, häuften sich die Fehler. So seien zum Beispiel wichtige Steuerunterlagen noch fast ein Jahr nach dem Umzug seines Unternehmens wiederholt an die alte Büroadresse gesendet worden, «obwohl ich mehrfach darum gebeten hatte, dass unsere Adresse auch in den Briefvorlagen aktualisiert wird.» Aus diesem Grund sind wiederholt per Mail mitgeteilte Infos über das Ausscheiden von Mitarbeitern und Lohnänderungen bei den monatlichen Lohnauswertungen nicht berücksichtigt worden. Der zuständige Sachbearbeiter war gerade mal wieder im Home Office, krank oder in Urlaub. «Und generell», so der Firmeninhaber, «registriere ich, wenn ich mich heute per Mail mit einem Anliegen an die Kanzlei wende, dass es länger dauert bis eine Resonanz erfolgt, wenn überhaupt. Auch eigeninitiativ wird sie seltener aktiv.»

Kommunikation und Kooperation weist Defizite auf

Über solche Defizite, die sie als eine Verschlechterung der Qualität wahrnehmen, klagen Kunden gehäuft. Betroffen sind davon vor allem Unternehmen, die für ihre Kunden recht komplexe Dienstleistungen erbringen, die eine Zusammenarbeit mehrerer Mitarbeiter beziehungsweise Bereiche auf Seiten des Leistungserbringers erfordern. Auch zu Defiziten kommt es, wenn ein Unternehmen (wie der Steuerberater) mehrere Leistungen für einen Kunden erbringt, die von unterschiedlichen Mitarbeitern oder Bereichen erbracht werden. Dann spüren die Kunden oft in der Auftragsabwicklung und bei ihrer Betreuung einen aus der virtuellen Zusammenarbeit resultierenden Mangel an Kommunikation und Koordination.


Dies kann speziell für Unternehmen, die primär von Stammkunden leben und bei denen die Vertrauensbeziehung zu ihren Kunden ein zentraler Erfolgsfaktor ist, fatale Folgen haben. Denn dann staut sich bei Kunden nicht selten mit der Zeit ein Unmut über die gesunkene Arbeits- oder Betreuungsqualität an, und irgendwann platzt ihnen der Kragen. Das heisst, sie beenden die Zusammenarbeit. Und ihr Dienstleister beziehungsweise Lieferant fällt aus allen Wolken: «Jahrzehntelang haben wir doch gut zusammengearbeitet. Stets war unser Kunde zufrieden. Wieso…?»

Viele Kleinigkeiten führen zu sinkender Zufriedenheit

Stimmt! Deshalb sah der Kunde ja so lange über die Nachlässigkeiten hinweg. Doch irgendwann ist die gute Zusammenarbeit in der Vergangenheit Schnee von gestern. Also kündigt der Kunde entweder eigeninitiativ die Partnerschaft, oder er gibt, sofern er von einem anderen Anbieter hofiert wird, dessen Liebeswerben nach.

Oft ist aber gerade bei technischen Problemlösungen ein unmittelbarer Lieferantenwechsel für Kunden gar nicht möglich. Zum Beispiel,


- weil ihren Mitarbeitern das erforderliche technische Know-how fehlt,

- weil sie über langfristige Leasing- oder Wartungs-Verträge an ihren Lieferanten gebunden sind,

- weil die von den Lieferanten gelieferten Teile, Problemlösungen oder Features integrale Bestandteile ihres Maschinenparks oder ihrer IT-Landschaft sind und daher für ihre Leistungserbringung unverzichtbar sind.

Dann versucht der unzufriedene Kunde seine reale oder empfundene Abhängigkeit von seinem bisherigen Lieferanten aufzulösen – zum Beispiel, indem er neben seinem aktuellen Lieferanten einen weiteren engagiert. Oder indem er nach einer ganz neuen Problemlösung sucht. Entsprechend sensibel sollten Industriezulieferer und -dienstleister darauf reagieren, wenn bei Stamm- oder Bestandskunden von ihnen plötzlich Mitarbeiter eines anderen Unternehmens ein- und ausgehen, das ein ähnliches Leistungsspektrum hat. Es gilt auch Vorsicht walten zu lassen, wenn Kunden in ihre bestehenden Maschinen- oder IT-Anlagen und -Systeme ohne Rücksprache Komponenten anderer Anbieter integrieren. Denn dann liegt in der Regel etwas mit der Kundenbeziehung im Argen.

Prozesse und Standards neu definieren

Bröckelnde Kundenbeziehungen sind aktuell gehäuft, denn die meisten Unternehmen haben in den fast drei Jahren, die seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie vergangen sind, firmenintern eine recht hohe Routine in der virtuellen respektive hybriden Zusammenarbeit entwickelt. Das heisst, bei ihr treten kaum noch unvorhergesehene Probleme auf. Deshalb gehen sie fast selbstverständlich davon aus, dass dies auch bei der Zusammenarbeit mit ihren Kunden so ist. Dies ist aus Kundensicht aber oft nicht der Fall: Und sei es nur, weil sie sich regelmässig darüber ärgern, dass sie nun, wenn sie ein Anliegen haben, meist in einer telefonischen Warteschleife landen, ihre Nachricht nur auf einer Mailbox hinterlassen können oder aufgrund der weitgehend digitalisierten Zusammenarbeit und Kommunikation, ihre Anliegen und Daten stets in eine Maske auf der Webseite ihrer Lieferanten eintippen müssen, statt diese wie gewohnt schnell und einfach telefonisch durchgeben zu können.

Entsprechend wäre es zurzeit in vielen Unternehmen wichtig, zu klären, wie dieses Problem angegangen werden kann. Folgende Fragen können helfen:


- Inwieweit hat sich durch die virtuelle beziehungsweise hybride Zusammenarbeit – und die Digitalisierung vieler Prozesse – die Qualität unserer Leistung aus Kundensicht verschlechtert?

- An welchen Punkten sollten wir deshalb unsere aktuellen Prozesse überdenken und eventuell neue Standards definieren, um unseren Kunden weiterhin eine Top-Qualität zu bieten?

- Inwieweit haben sich durch die veränderte Zusammenarbeit, ausser den Anforderungen an die Mitarbeiter, auch die an die Führung verändert und wo sollten wir folglich nachjustieren?

Ausserdem sollten sie gemäss der Formel Menschen-Tools-Prozesse ermitteln, welche digitalen, aber auch nicht-digitalen Tools sie aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen ausser zum Optimieren ihres Vertriebs und ihrer Marktbearbeitung auch für die Kundenpflege und -bindung nutzen können?

Die Kunden erwarten schlicht: Es funktioniert!

Dies zu tun, wird umso dringlicher, je stärker sich die virtuelle und hybride Zusammenarbeit zum neuen Normal in den Betrieben entwickelt. Denn im Verlauf dieses Prozesses verändern sich auch die Erwartungen ihrer Kunden.

Zu Beginn der Coronapandemie waren sie noch bereit, situationsbedingt über gewisse Unzulänglichkeiten in der Auftragsbearbeitung und Kundenbetreuung bei ihren Dienstleistern und Lieferanten hinwegzusehen. Doch diese Zeiten sind mittlerweile vorbei, genug Zeit zum Adaptieren ist verstrichen. Heute – also fast drei Jahre später – erwarten Kunden schlicht, dass die Kommunikation und Kooperation mit ihnen reibungslos funktioniert; und zwar unabhängig davon, ob deren Mitarbeiter gerade im Betrieb, zuhause im Home Office, auf einer einsamen Insel oder auf dem Mond arbeiten. Das ist ihnen schlichtweg egal, denn ihre Dienstleister und Lieferanten hatten genug Zeit, ihre Leistungserbringungsprozesse den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Zu Recht erwarten die Kunden im B2B-Bereich dies, denn auch ihre Kunden erwarten von ihnen, dass sie diesen Prozess vollzogen haben.

Der Autor

Peter Schreiber ist Inhaber der B2B-Vertriebs- und Managementberatung Peter Schreiber & Partner in Ilsfeld bei Heilbronn (www.schreiber-training.de). Er ist unter anderem Dozent an der IHK-Akademie München in Westerham und Referent bei WEKA Industriemedien in Wien sowie Lehrbeauftragter an der Hochschule Mannheim.


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